Konfetti, Tränen und die wahre Liebe
Musik kann schon was. Zum Beispiel eine fröhliche, ausgelassene Stimmung schaffen bei einem durchmischten Publikum in der Wiener Stadthalle, wenn Prince auftritt. Ein Mann, seine Energie, seine neue Band 3rdEyeGirl, ein paar tausend gut gelaunte Menschen - das war das Konzert am Samstagabend.
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Bereits vom ersten Riff des Eröffnungssongs an hatte Prince die Stadthalle im Griff: „Let’s go Crazy“. Das Publikum brüllte den Refrain mit - eine halbe Minute nach Konzertbeginn. Prince residierte auf dieser Bühne, mit einem Afro als Krone, einer bunten Gitarre als Zepter, einem langen, psychedelischen T-Shirt als Ornat und einer dicken Kette um den Hals, die in ihrem vorigen Leben wohl eine goldfarbene Vorhangkordel war.
Sein Hofstaat in Form der Band 3rdEyeGirl ist eine imposante Erscheinung - optisch irgendwo angesiedelt zwischen Riot-Girl in schwarzer Lederkluft mit auf einer Seite abrasierten schwarzen Haaren (Gitarristin Donna Grantis), Fun-Metal-Mädel mit blondem Haar und Haube samt lustigen Bärenohren (die Drummerin Hannah Ford Welton) und einer „Herr der Ringe“-Elfe mit Perlenstirnband, roten geflochtenen Zöpfen und violetter Robe (Ida Neilsen, die Bassistin). Rot, schwarz, blond - die Spice Girls des Funk. Prince und seine Truppe nahmen jedenfalls keine Gefangenen. Das erste Gitarrensolo heulte nach eineinhalb Minuten auf. Das Stadthallenvolk schien zufrieden mit dieser Form der Monarchie.
Zweieinhalb Stunden Daueranimation
Gleich danach noch ein weiterer Song des legendären „Purple Rain“-Albums von 1984: „Take Me With You“. Alle sangen mit. Das forderte der Zeremonienmeister auch ein. So mancher junge Musiker, der während eines ganzen Konzerts nicht mehr als ein „Hello“ herausbringt und lieber auf die Instrumente starrt als mit dem Publikum zu kommunizieren, könnte sich da ein Beispiel nehmen. Prince ist das genaue Gegenteil - man kommt ihm nicht aus.
Er gab zweieinhalb Stunden lang den Daueranimator. Einmal musste man die Hände schwenken, dann klatschen, dann etwas mitsingen oder nachsingen oder einfach an seiner statt singen oder die Bandmitglieder beklatschen. Prince hatte sein Publikum genauso unter Kontrolle wie seine Band, die er mit Fingerschnippen und kurzen Befehlen dirigierte. Es folgten „Raspberry Beret“ (1985, „Around the World in a Day“) und noch ein „Purple Rain“-Hit, „When the Doves Cry“.
Junge Männer in Schockstarre
„Little Red Corvette“ war 1982 Prince’ erster Hit (Album „1999“) und wurde am Samstagabend von ihm als Übergang zum langsamen Teil eingesetzt, in dem er unter anderem - „Uh, slow down“ - mit dem Publikum in Gesten luftkopulierte (in Analogie zur Luftgitarre), um dann mit der gesamten Stadthalle seinen Song „Nothing Compares 2 U“ zu singen, der Sinead O’Connor 1990 berühmt gemacht hatte.
Dann ein harter Schnitt: „Kiss“ (1986, „Parade“). Es wurde getanzt im Publikum, und zwar richtig. Interessant dabei die Typologie der Tänzer nach Alter und Geschlecht (Ausnahmen bestätigen die Regel). Frauen um die 45 und darüber tanzten am wildesten - und besten. Die jüngeren, 25 aufwärts, standen ihnen um wenig nach. Ältere Männer swingten (trotz Funks) gerade so viel und so brav, dass sie zu Hause von den Begleiterinnen nicht geschimpft werden. Die Männer in der Altersgruppe darunter wippten immerhin noch hin und her.
Ganz junge Frauen wippten auch. Aber die ganz jungen Männer: Schockstarre. Scheintodattacken. Wachkoma. Ein 20-Jähriger wäre beinahe von seiner Mutter in aller Öffentlichkeit gezüchtigt worden, weil er sich nicht bewegen wollte. Aber die nachkommende Generation verspricht interessanter zu werden. Ein Achtjähriger hatte den Funk sichtlich in den Knochen, während eine Altersgenossin ein paar Meter weiter dank Ohrenstöpseln friedlich einschlief, als die Halle kochte.

Reuters/Toby Melville
Ein Foto der aktuellen Tournee - aber nicht vom Wien-Konzert
Vom Alter hübsch gezeichnet
Das Konzert hatte kaum länger als eine Stunde gedauert, da verließ Prince die Bühne, aber nur, weil er zur Zeit so gerne Zugaben spielt. Vor seiner Rückkehr brachte ihm das Publikum ein Ständchen zum 56. Geburtstag dar: „Happy Birthday“. So richtig freute er sich nicht. Er sagte trocken: „Danke. Aber ich versuche jünger zu werden, nicht älter.“ Seine Methode: Keine Fotos zulassen, auf denen er alt aussieht.
Mehrfach wiesen die Band und er das Publikum darauf hin, dass das Fotografieren mit Handys verboten war: „Wir wollen eure Gesichter sehen, nicht irgendeinen Technik-Schnickschnack.“ Kaum nervige Screens also im Publikum. Dass auch Fotografen und Journalisten keine Bilder machen durften, sondern der Veranstalter nur ein einziges Foto zur Verfügung stellen durfte, ist hingegen lächerliches Getue. Wenigstens zeigte die Großbildleinwand hin und wieder das Gesicht von Prince. Er ist vom Alter gezeichnet - und zwar hübsch. Also wozu das Theater?
Jimi-Hendrix-Lookalike
Nach „Kiss“ kehrte Prince mit „The Beautiful Ones“ wieder zu „Purple Rain“ zurück, dann „You’re Always in My Hair“, eine B-Seite aus dem Jahr 1985. Es folgten ein langes Gitarrensolo und der Song „Guitar“ (2007, Album „Planet Earth“): „I love you, but not like I love my guitar“. Singt es, und schaut mit seinem Afro dabei aus wie Jimi Hendrix persönlich. Die Gitarrensoli, über die nach Prince-Konzerten gerne gemosert wird, waren diesmal zum Großteil kurz und knackig.
Dann durfte sich auch die neue Band ausleben, bei den Songs des nächsten, noch nicht veröffentlichten Albums: „Plectrumelectrum“, „Screwdriver“, „Funk’n’Roll“, gespickt mit zahlreichen Drum-, Bass- und Gitarrensoli, dazu Einsprengsel des Troggs-Klassikers „Wild Thing“. Die Musikerinnen waren vor ihrer Kooperation mit Prince Studioprofis und kaum bekannt. Prince sagt in Interviews, die Zusammenarbeit mit den Jungen halte ihn jung. Und die Frauen von 3rdEyeGirl streuen Prince ebenfalls Rosen. Die gemeinsame Spielfreude wirkt jedenfalls echt auf der Bühne.
„Vienna, I love you“
Aber der Höhepunkt des Abends, das waren natürlich nicht die neuen, geradlinigen, funkigen Lieder. Der Höhepunkt, das kann nur „Purple Rain“ sein. Es flossen Tränen im Publikum. 20 Minuten gemeinsames Schwelgen und Singen. Da schienen am Ende nicht einmal mehr die Konfettikanone und die weiß-violetten Luftballons kitschig, die Prince im Saal aufsteigen ließ. Sogar ein paar von den jungen Burschen erwachten kurz aus dem Wachkoma und bewegten ihre Lippen andeutungsweise zum „Uh-Uh-Uh-Uuh“.
Es wurden schließlich fast zweieinhalb Stunden Prince in der Stadthalle: weniger Funk als Keziah Jones, weniger Pop als Michael Jackson, weniger Rock als die Red Hot Chili Peppers. Aber die krude, unverwechselbare Mischung kommt an, vor allem live und weil Prince zur Zeit in einer Phase ist (das war nicht immer so), in der er dem Publikum gibt, was es will: die alten Hits. Und er führt sein Volk mit Liebe und Autorität: „Vienna, I Love You.“ Sicher, das sagen sie alle, in jeder Stadt. Aber in Wien hat es Prince oft gesagt. Sicher einmal öfter als überall anders. Das hat man gespürt.
Simon Hadler, ORF.at
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