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Von einer Muse und vielen Heldinnen

In Biografien wird Richard Strauss gerne als „musikalisches Wunderkind“ beschrieben. Sein Talent ist unbestritten, doch bis heute geben sowohl seine Biografie als auch sein Schaffen durch ihre Vielschichtigkeit und zum Teil Widersprüchlichkeit Rätsel auf.

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Unverständlich bleibt etwa seine Rolle in der NS-Zeit und seine Entscheidung, von 1933 bis 1935 als Präsident der Reichsmusikkammer zu fungieren, obwohl er weder als Sympathisant der Nazis galt noch deren Antisemitismus teilte. Ähnlich widersprüchlich wird der Lebensstil des Komponisten beschrieben - als avantgardistischer Extremmusiker auf der einen Seite, als biederer Familienvater auf der anderen Seite. Und dann natürlich sein Verhältnis zu Frauen, in seinem Werk und im Alltag.

Als „Frauenversteher“ vergöttert

Strauss wird gerne als „Frauenversteher“ tituliert, als Künstler, der einer männerdominierten Welt die Vision der starken emanzipierten Frau vor Augen führt. Er bleibt dabei aber nicht einseitig: Von frechen Mädchen über männermordende antike Heldinnen bis hin zu gelangweilten Adeligen reicht das Repertoire der oft sinnlich-aufregenden Frauenfiguren in den Strauss-Opern.

Tatjana Troyanos und Leonie Rysanek in der Oper "Der Rosenkavalier" von Richard Strauss im September 1970

APA/dpa

„Der Rosenkavalier“ ist heute die meistgespielte Oper von Richard Strauss

Die verführerische Salome, die zu verstörenden Klängen das abgeschlagene Haupt des Täufers küsst, die von unstillbarem Hass getriebene Elektra und die alternde Marschallin, die am Ende des „Rosenkavaliers“ auf den jungen Geliebten Octavian verzichtet - für all diese Rollen wurde der Komponist von den Sängerinnen schon zeit seines Lebens vergöttert.

Die Liebe zu intelligenten und komplexen Frauen

„Es ist sehr klar, dass er Frauen geliebt hat, die Kraft hatten und intelligent waren - die aber auch komplex und manchmal schwierig waren“, sagte die US-amerikanische Sopranistin Renee Fleming im Interview mit der Deutschen Welle. „Er stellt die Frau in den Mittelpunkt. Frauen, die ihr eigenes Leben finden wollen. Sie alle leiden darunter, nicht emanzipiert zu sein, und sind auf dem Weg herauszufinden, wie unabhängig, integer und authentisch sie sind“, schwärmte auch Sopranistin Erika Sunnegardh.

Buchhinweise

Christoph Wagner-Trenkwitz: Sie kannten Richard Strauss. Ein Genie in Nahaufnahme. Amalthea, 224 Seiten, 22,95 Euro.

Daniel Ender: Richard Strauss. Meister der Inszenierung. Böhlau Verlag, 320 Seiten, 24,90 Euro.

Bryan Gilliam: Richard Strauss. Magier der Töne. C.H. Beck Verlag, 234 Seiten, 19,95 Euro.

Der internationale Durchbruch als Opernkomponist gelang Strauss 1905 mit „Salome“, die gleichermaßen zum Triumph und zum Skandal wurde. Während Cosima Wagner abschätzig von „nichtigem Unfug, vermählt mit Unzucht“ sprach und Kaiser Wilhelm (ohne die Aufführung gesehen zu haben) konstatierte, dass sich Strauss mit der provokativen neuen Oper „furchtbar schaden“ würde, war schnell klar, dass das Werk als der Inbegriff moderner Opernmusik galt. Der vom Kaiser prognostizierte „Schaden“, habe ihm seine Villa in Garmisch finanziert, durfte Strauss genugtuend feststellen, denn das Stück erwies sich als riesiger Erfolg.

Von „Elektra“ bis „Arabella“

Mit „Elektra“ (1909), für die Strauss erstmals mit Hugo von Hofmannsthal als Librettist zusammenarbeitete, gelang ihm die Wiederholung dieses Triumphes. Die Oper trat sofort nach der Uraufführung in Dresden ihren Siegeszug durch Europa und Amerika an. Erneut bewies Strauss, wie es ihm lag, die Psychologie des 20. Jahrhunderts auf der Opernbühne zu verankern.

Pauline Strauss als Sängerin Pauline de Ahna in der Oper Guntram

ORF/Richard Strauss Archiv Garmisch

Richard Strauss’ Frau Pauline

Auch wenn 1911 mit dem „Rosenkavalier“ die Kehrtwende in puncto Stil (nicht Erfolg) folgte und die moderne Tonsprache einem musikalischen Lustspiel wich, blieb Strauss seinem Interesse an der weiblichen Psyche und den starken Frauenrollen treu - „Ariadne auf Naxos“ (1916), „Die ägyptische Helena“ (1928) und „Arabella“ (1933), um nur ein paar davon zu nennen.

Inspiration aus „dem wirklichen Leben“

Zumindest zwei der vielen weiblichen Bühnengestalten sind, so schreibt Volksopern-Chefdramaturg Christoph Wagner-Trenkwitz, Autor von gleich zwei Büchern über Strauss, Abbilder von Strauss’ Ehefrau: die Christine in „Intermezzo“ und die Färberin in „Die Frau ohne Schatten“. Zu letztgenannter Rolle schrieb Strauss beschwichtigend an seine Frau: „Bezüglich Deines Porträts brauchst Du keine Angst zu haben, daß man Dich darin wiedererkennt. Aber woraus soll der Dichter schöpfen, wenn nicht aus dem wirklichen Leben.“ Das kann man in der Biografie „Sie kannten Richard Strauss. Ein Genie in Nahaufnahme“ nachlesen.

Pauline, eine Sopranistin mit viel Temperament, lebte 55 Jahre lang mit Strauss. Permanent eifersüchtig, aufbrausend und ihren Mann drangsalierend, war sie doch in all den Jahren stets die wichtigste Person in seinem Leben. Mehr als einmal soll sie ihm Untreue vorgeworfen haben, mehr als einmal drohte sie mit der Scheidung - trotz allem war sie ihm Muse, Vertraute und Lebensmensch, wie überlieferte Briefe belegen.

„Der Großpapa wäre nicht vorstellbar ohne die Pauline. Sie war seine Muse, seine Geliebte, seine Feindin, sie war eigentlich alles, und hat ihn unglaublich beschützt und bewahrt vor Äußerlichkeiten. Und hat ihn auch vor sich selbst bewahrt“, erzählt Enkel Christian Strauss in Thomas von Steinaeckers TV-Dokumentation „Richard Strauss und seine Heldinnen“. „Er wäre eher der Typ, der dann sitzen bleibt oder auch eine ganze Schachtel Zigaretten raucht, zu viele Süßigkeiten isst, im Alter natürlich. Sie war da wie ein Cerberus, aber in Liebe. Sie wird sehr verkannt, die Frau“, so der über 80-Jährige.

Die musikalische Liebeserklärung vor dem Tod

Ein Jahr nach seinem Tod wurden Strauss’ „Vier letzte Lieder“ uraufgeführt, die der Komponist in seinen letzten Lebensjahren nach Gedichten von von Hermann Hesse und Joseph von Eichendorff verfasst hat. „Wir sind durch Not und Freude / gegangen Hand in Hand“ heißt es im letzten Lied „Abendrot“, einer Auseinandersetzung mit Tod und Abschiednehmen - und zugleich eine der ergreifendsten Liebeserklärungen der Musikgeschichte, einer Liebeserklärung an seine Frau Pauline.

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