Merkel: „Juncker unser Spitzenkandidat“
Nach der EU-Wahl läuft das Ringen über den Nachfolger des scheidenden Kommissionspräsidenten Jose Manuel Durao Barroso: Erstmals nach der Wahl treffen sich am Dienstag in Brüssel die Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfel. Dieser wurde lediglich als Abendessen angesetzt, für Diskussionsstoff ist aber gesorgt, schließlich bringen die 28 Politiker völlig verschiedene Vorstellungen mit.
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An einem Abend wird über die Personalien nicht entschieden werden - was die Spannung jedoch nicht mindert. Schließlich ist das Verfahren zur Kür des höchsten Beamten der EU kompliziert, denn das Vorschlagsrecht liegt bei den Staats- und Regierungschefs - doch das Parlament muss zustimmen. Im Spiel sind neben dem Konservativen Jean-Claude Juncker, dessen EVP die EU-Wahl gewonnen hat, und dem Sozialdemokraten auch einige andere Namen, etwa der irische Premier Enda Kenny, der polnische Regierungschef Donald Tusk und der Finne Jyrki Katainen.
Ungewohnt deutlich legte sich Dienstagabend mit Angela Merkel auch die gewichtige deutsche Stimme auf Juncker fest. Merkel sagte vor Beginn des Gipfels, dass „Jean-Claude Juncker unser Spitzenkandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten ist“. Nun gehe es darum, Konsultationen mit dem EU-Parlament aufzunehmen. Dazu werde EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ein Mandat gegeben.
EU-Parlament für Juncker
Im Vorfeld des Gipfels nahm Juncker am Dienstag bereits die erste Hürde: So stellten sich die Fraktionen des Europaparlaments hinter den konservativen Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Das teilte der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, in Brüssel mit. Damit hat Juncker den Vortritt bei dem Versuch, eine Mehrheit im EU-Parlament zu bilden.

AP/Yves Logghe
Das EU-Parlament steht überraschend klar hinter Juncker
In einem Brief an Ratspräsident Rompuy erinnerten die Fraktionschefs an „Buchstabe und Geist“ des EU-Reformvertrags von Lissabon. Demnach müssen die Staats- und Regierungschefs bei der Auswahl eines Kandidaten für den Brüsseler Spitzenposten das Ergebnis der Europawahl „berücksichtigen“. Den Wählern wurde zudem vor der Wahl versprochen, dass der Wahlsieger auch automatisch Kommissionspräsident werde. Dahinter steht der Vertrag von Lissabon, der besagt, dass der Europäische Rat das Ergebnis der Wahl zu berücksichtigen hat.
Sozialistische Fraktion nicht eindeutig festgelegt
Etwas weniger eindeutig klang wenige Stunden später die Vorsitzende der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke im Europaparlament, Gabriele Zimmer, gegenüber der dpa. Der konservative Spitzenkandidat: „Juncker hat praktisch den ersten Versuch und müsste sich dann der Diskussion mit uns stellen, mit dem Europaparlament“, so Zimmer. „Das hat gar nichts damit zu tun, ob wir Juncker unterstützen würden, ihn wählen würden oder eben nicht“, betonte Zimmer, die für die deutsche Partei Die Linke im Parlament sitzt.
Selbst Kontrahent Schulz machte sich am Dienstag für seinen konservativen Gegenpart als ersten Anwärter auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten stark. Es werde eine Empfehlung der Fraktionsvorsitzenden und des Parlamentspräsidenten dafür geben, Juncker das Mandat zu erteilen, so Schulz in Brüssel. Hinter diesem Beschluss stehe eine Mehrheit von über 500 der 766 Abgeordneten. „Ich hoffe, dass die EVP Juncker als Kandidaten nominieren und der Rat das respektieren wird.“
Schulz: „Nächster in der Reihe bin ich“
Sollte Juncker kein Mandat bekommen, wäre der Nächste in der Reihe der Kandidaten am Zug, fügte Schulz hinzu. „Und das bin ich“, wie der amtierende Parlamentspräsident betonte. Die EVP-Fraktion kommt laut vorläufigen Ergebnissen auf 213 Sitze, die Sozialdemokraten erreichen 190 Mandate. Der Rat schlägt nach Konsultationen mit dem Parlament einen Kandidaten vor.
Das letzte Wort hat wiederum das Parlament, das zunächst dem Kommissionspräsidenten und - nach Hearings mit allen Kandidaten - auch noch seinem 27-köpfigen Team zustimmen muss. Doch einfach dürften die Verhandlungen nicht werden. Schließlich fühlte sich der EU-Gipfel, also die Staats- und Regierungschefs, an den Vorschlag der Fraktionen des Parlaments zuletzt nie gebunden - dem Vertrag von Lissabon entsprechend muss sich der Rat jedoch grundsätzlich an Wahlergebnisse halten. Umso intensiver wird um Posten gestritten, zuletzt ging die deutsche Kanzlerin Angela Merkel von wochenlangen Verhandlungen über die Besetzung aller Führungsämter aus.
Schulz will Swoboda als Fraktionschef folgen
Schulz kündigte an, Swoboda als Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament nachfolgen zu wollen. Er werde sich am 18. Juni um das Amt des Fraktionsvorsitzenden bewerben, sagte Schulz am Dienstag in Brüssel. „Ohne uns gibt es keine Mehrheit“, betonte Schulz bei einem Treffen der Sozialdemokraten vor dem EU-Gipfel. Schulz will dann als EU-Parlamentspräsident zurücktreten und mit den Fraktionen die Verhandlungen über den nächsten EU-Kommissionschef führen, wie er sagte.
Cameron will Juncker verhindern
Unterdessen machte der britische Regierungschef David Cameron seinen Widerstand gegen die Wahl eines der Spitzenkandidaten deutlich. Die europakritischen Fraktionen Europäische Konservative und Reformisten (EKR) um Camerons Konservative Partei und die Fraktion Europa der Freiheit und der Demokratie (EFD) der britischen EU-Gegner UKIP trugen als Einzige die Erklärung der Fraktionschefs zur Unterstützung Junckers nicht mit, hieß es in Parlamentskreisen.
Laut Bericht der „Financial Times“ will Cameron insbesondere den als proeuropäisch geltenden Juncker verhindern. Der britische Premier versucht demnach, andere EU-Spitzen im Rat für einen anderen Kandidaten zu gewinnen. Er habe am Montag mit den Regierungschefs von Deutschland, Schweden, Irland, Ungarn und anderen Staaten gesprochen, hieß es aus London. Von diesen Staaten hat bisher nur Ungarn öffentlich klar gegen Juncker Stellung bezogen.
Österreich nennt Favoriten
Österreich wird bei der Kür des Kommissionspräsidenten Juncker unterstützen. Das machten Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) am Dienstag nach dem Ministerrat klar. Faymann ist dafür, die Kritiker notfalls zu überstimmen: „Da darf nicht ein Querulant stärker sein als die Mehrheit.“
„Keine Zeit für eine Nabelschau“
Swoboda, Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, forderte die Staats- und Regierungschefs auf, Juncker als Chef der stärksten Fraktion umgehend ein „klares Mandat“ für die Suche nach einer Mehrheit zu erteilen. Es sei nun „keine Zeit für eine Nabelschau“, so der SPÖ-Politiker. Die Konservativen um Juncker müssten den Sozialdemokraten ein Angebot zur Kooperation machen und ein gemeinsames Arbeitsprogramm erstellen, das Prioritäten wie Investitionen und Arbeitsplatzbeschaffung enthalte sowie eine europäische Migrations- und Integrationsstrategie und einen effizienten Plan zur Bekämpfung der Steuervermeidung.
Swoboda und der Fraktionschef der EVP, Joseph Daul, wollen im Vorfeld des Gipfels Gespräche mit EU-Ratspräsident Van Rompuy führen. Dafür treffen sich Regierungs- und Parteichefs der EVP sowie der Sozialdemokraten in Brüssel. Van Rompuy dämpfte allerdings die Erwartungen vor dem Gipfel. Eine Entscheidung über den Kommissionschef soll erst im Juni fallen.
Wer wird EU-Kommissar?
Obwohl noch völlig unklar ist, wer künftiger EU-Kommissionspräsident wird, will Spindelegger am Rande des EU-Gipfels bereits erste Gespräche über das künftige Portfolio des österreichischen EU-Kommissars führen. „Ich will eine Einigung möglichst rasch und ein gutes Portfolio haben“, sagte er nach dem Bundesparteivorstand der ÖVP am Montag. Mehrere ÖVP-Spitzenvertreter sprachen sich für eine zweite Amtszeit von Regionalkommissar Johannes Hahn aus. Auch Bundeskanzler Faymann sagte: „Ich halte Johannes Hahn für einen guten Kommissar.“
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