Historische Schlappe für Sozialisten
Die Front National (FN) hat in Frankreich bei der Europawahl die Erwartungen weit übertroffen und den etablierten Parteien einen masiven Denkzettel verpasst. Marine Le Pen hievte ihre rechtsextreme Partei auf den ersten Platz, die regierenden Sozialisten stürzten mit knapp 14 Prozent noch weit hinter den Konservativen auf den dritten Platz ab. Ein solches Ergebnis lässt die Verlierer nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
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Frankreichs Präsident Francois Hollande bedauert den Erfolg der FN bei der Europawahl, will aber keine direkten Konsequenzen ziehen. „Europa kann ohne Frankreich nicht vorankommen“, kommentierte der Staatschef am Montagabend in einer knapp fünfminütigen Fernsehansprache den Wahlsieg der EU- und Euro-feindlichen FN in Frankreich.
Der Schwerpunkt müsse auf „Wachstum, Beschäftigung und Investitionen“ und nicht mehr auf Sparpolitik liegen, sagte Hollande. Europa sei für viele nicht mehr verständlich. „Europa muss einfach und klar sein, um dort effektiv zu sein, wo es erwartet wird, und sich da zurückziehen, wo es nicht gebraucht wird.“
EU-Gipfel am Dienstag in Brüssel
Hollande kündigte an, das bereits beim EU-Gipfel am Dienstag in Brüssel ansprechen zu wollen. Zugleich verteidigte er seinen Reformkurs und bekräftigte, an diesem festhalten zu wollen. Notwendig seien „Beständigkeit, Hartnäckigkeit und Mut“, aber auch „Schnelligkeit bei der Umsetzung“.
Schon Montagfrüh hielt Hollande als Reaktion auf das Wahldebakel ein Krisentreffen ab. Premierminister Manuel Valls sagte danach im Sender RTL, Europa könne hin zu „mehr Wachstum und Arbeit“ neu ausgerichtet werden.
Steuersenkung, keine Kabinettsumbildung
Europa setze sich schon „seit Jahren“ nicht ausreichend für Wachstum und Beschäftigung ein, sagte Valls. Zugleich betonte der Premierminister, der seit weniger als zwei Monaten im Amt ist, die Regierung werde ihre bisherige Politik weitgehend fortsetzen. Er sprach von „neuen Steuersenkungen“ im kommenden Jahr, nach Angaben seines Büros bezog er sich damit aber auf bereits angekündigte Maßnahmen.

Reuters/Philippe Wojazer
Valls und Hollande nach dem Krisentreffen am Montag
Ein grundsätzlicher Kurswechsel der Regierung ist nicht zu erwarten. Etliche prominente Sozialisten wiesen bereits vor der Wahl darauf hin, dass trotz des Widerstands in den eigenen Reihen auch im Falle einer Wahlschlappe nicht mit einer Abkehr von dem 50-Milliarden-Sparprogramm der Regierung zu rechnen sei. Auch eine Kabinettsumbildung schloss Valls aus.
Letzte Kabinettsumbildung erst vor zwei Monaten
Für die Sozialisten ist es die zweite Ohrfeige innerhalb kürzester Zeit: Hollande hatte erst nach der Schlappe seiner Sozialisten bei den Kommunalwahlen vor knapp zwei Monaten das Kabinett umbesetzt. „Solange die Arbeitslosigkeit nicht zurückgeht, die Kaufkraft nicht steigt und die Steuern nicht sinken, so lange werden die Franzosen uns nicht glauben“, erklärte der Ministerpräsident.
Sozialistenchef Jean-Christophe Cambadelis sagte dem Sender Europe 1, Hollande müsse „Konsequenzen“ aus der Wahl ziehen, die er „hoffentlich nach Brüssel mitnehmen“ werde. Er hoffe, dass Hollande beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Dienstag „all unseren Partnern sagen wird, dass die Politik diametral geändert werden muss“.
Wahlforscher: Legitimität Frankreichs geschwächt
Wahlforscher erklärten, den Volksparteien sei es nicht gelungen, ihre Wähler davon zu überzeugen, dass die europäische Integration gut für Frankreich sei. „Die Legitimität Frankreichs in Europa ist geschwächt“, sagte Dominique Moisi vom Französischen Institut für Internationale Beziehungen (IFRI). „Um zu funktionieren, braucht Europa ein starkes Gleichgewicht zwischen Frankreich und Deutschland. Aber Frankreich entwickelt sich wirtschaftlich in Richtung Italien oder Griechenland und mit Blick auf seine Beziehung zu Europa wie Großbritannien.“

APA/EPA/Yoan Valat
FN-Chefin Le Pen als strahlende Siegerin
Auf die deutsch-französische Achse pochte am Montag auch Noch-EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso. „Wir brauchen eine starke Zusammenarbeit von Berlin und Paris. Ohne diese funktioniert es einfach nicht“, sagte Barroso, „sie ist unverzichtbar, aber auch nicht alleine ausreichend.“ Die übrigen 26 EU-Länder dürften nicht das Gefühl bekommen, dass die wichtigen Entscheidungen zwischen den beiden größten Ländern der Gemeinschaft ausgemacht würden, bevor die übrigen Staaten gefragt würden.
Historischer Erfolg für FN
Bei der Europawahl am Sonntag hatte die rechtsextreme FN mit einem Stimmenanteil von knapp 25 Prozent klar gewonnen und war erstmals bei einer landesweiten Wahl zur stärksten Partei des Landes geworden. Auf dem zweiten Platz landete die konservative Oppositionspartei UMP mit 20,8 Prozent. Hollandes Sozialisten stürzten auf knapp 14 Prozent ab, ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Europawahl. Laut dem Innenministerium in Paris wird die FN damit 24 Abgeordnete in das EU-Parlament schicken, die UMP 20 und die Sozialisten 13.
Valls gesteht „moralische Krise“
Le Pen hatte noch am Wahlabend eine Auflösung des französischen Parlaments gefordert, da dieses die Bevölkerung nicht mehr repräsentiere. Valls wies das auf RTL klar zurück: „Wir werden nicht der Identitätskrise, der moralischen Krise, die Frankreich durchmacht, noch ein Wahldurcheinander hinzufügen.“ Die fünfjährige Amtszeit werde zu Ende geführt.
Der Wahlausgang wird unter anderem als Abrechnung der Franzosen mit Hollande und seiner Regierung interpretiert. Dem Sozialisten ist es bisher nicht gelungen, Frankreich aus der Wirtschaftskrise zu befreien, die Arbeitslosigkeit hat historische Höchststände erreicht.
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