Keine Ruhe nach dem Sturm
Da soll nochmal einer sagen, nur in Österreich sei das Nörgeln Volkssport. „Beim Song Contest haben wir so viele Experten wie Fußballtrainer, wenn die WM ist.“ Sagt eine, die es wissen muss, nämlich Ilse DeLange. Gemeinsam mit ihrem Partner Waylon war sie als Common Linnets die Überraschung beim diesjährigen Song Contest. Ohne Conchita Wurst hätte vielleicht eine Countrynummer den ersten Platz beim ESC abgeräumt. Gegenüber ORF.at erzählt sie vom abenteuerlichen Weg, der eine einfache Countrynummer via Song Contest zum potenziellen Hit für Millionen werden ließ.
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Für gut einen Tag war DeLange in Wien. Und hatte ausreichend Gelegenheit, eine Geschichte zu erzählen. Davon, wie es sich anfühlt, seit den Jugendtagen ein Star mit der eigenen Musik zu sein, der aber außerhalb der Niederlande kaum zu vermitteln war. Und das, obwohl man das erste Album sogar in Nashville mit namhaften Größen produziert hatte.
Die Niederländer streiten über einen Song
Und die Niederlande sind, wie DeLange gegenüber ORF.at berichtet, nicht gerade eine Hochburg für Bluegrass Music. Im Gegenteil. Als feststand, dass man The Common Linnets mit einer Countrynummer nach Kopenhagen schicken würde, sei das halbe Land Kopf gestanden - ja, man habe sogar vorgeschlagen, dass die Band ein paar Elemente des Songs ändere. Den Stimmungsumschwung brachte in der Öffentlichkeit erst das Semifinale, das die Niederlande prompt in den Favoritenkreis auf den Sieg katapultierte.

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Ilse DeLange bei einer Accoustic-Session bei Ö3
„Jeder bei uns verhält sich im Fall des Song Contest wie der Trainer auf der Fernsehcouch, wenn die Weltmeisterschaft ist“, berichtet sie im Gespräch. „Die Leute sagten schon: ,Bitte, bitte, ändert euren Song.‘ Und irgendwie fühlte ich mich überzeugter denn je von unserem Song nach diesen Reaktionen. Wir waren sicher, dass wir aus der Masse herausstechen würden.“
Die Überraschung in Kopenhagen
Nie habe sie freilich damit gerechnet, mit ihrem Partner Waylon (eigentlich: Willem Bijkerk), der ebenfalls seit Kindertagen in der Countryszene unterwegs ist, Zweiter zu werden. „Und als ich uns nach der ersten Probe in Kopenhagen im Viewing-Room sah und die Aufzeichnung präsentiert bekam, dachte ich mir: Oh, wow, das ist irgendwie speziell. Als wir ins Finale kamen, war das schon das Gefühl, gewonnen zu haben. Denn es gab so viel negative Stimmung uns gegenüber in unserer Heimat, dass sich das Finale schon wie ein Sieg angefühlt hat. Aber dass wir Zweiter werden würden, damit hätte ich nie gerechnet.“

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Eigentlich wollte sie zurück zum Country nach ein paar Pop-Produktionen. Doch dann kam die Herausforderung Song Contest
Back to the Roots
Denn eigentlich sei das ganze Projekt The Common Linnets eigentlich eine Art Nebenschiene gewesen, mit der DeLange zu ihren Countrywurzeln zurückkehren wollte, nachdem sie sich sehr dem Pop zugewandt hatte. „Ich wollte einfach etwas machen, ohne irgendeinen Erwartungsdruck auf meinen Schultern. Und ich hatte auch ein bisschen Geld übrig, also beschloss ich: Ich mach so ein richtiges Nebenprojekt, wo ich mit Freunden von früher wie Waylon zusammenarbeiten konnte“, erzählt sie.
Während man so vor sich hingearbeitet und einige Nummern geschrieben habe, sei bei Waylon die Anfrage eingetrudelt, ob er nicht beim Song Contest mitmachen wolle. Ilse DeLanges Reaktion: „Ich hätte so etwas ja nie überlegt, wäre da nicht Anouk im Vorjahr für die Niederlande mit diesem Song aufgetreten, mit dem sie immerhin Neunte wurde. Und das öffnete mir die Augen, und ich sah: Ach, man kann einfach so geradeheraus beim Song Contest auftreten. Und irgendwie ist es dann beim Frühstück passiert, dass wir Ja gesagt haben. Warum machen wir nicht The Common Linnets?! Also, der Song Contest hat uns irgendwie unterwegs erwischt, kann man sagen.“
„Ein Song in seiner einfachsten Form“
„Calm after the Storm“, beschreibt DeLange, sollte nie mehr als ein Song in seiner einfachsten Form sein: „Unser Song sollte nie mehr sein als das, was er ist. Es ist ein Song in seiner einfachsten Form. Aber am entscheidendsten sind die Menschen, die den Song interpretieren. Das, was sie singen, muss man ihnen glauben. Man kann so eine Interpretation nicht faken. Es muss authentisch sein.“

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In Wien wurde sie von zwei Musikerkollegen aus den Niederlanden begleitet
Je einfacher der Song sei, desto schlimmer würde eine nicht authentische Interpretation herausstechen, so DeLange, die sich gespannt zeigt, ob vielleicht im kommenden Jahr doch noch der eine oder andere countrylastige Song beim ESC auftauchen werde. „Es gibt keine Formel für einen guten Song“, sagt sie. Und zeigte am Montagabend in Wien, was sie unter einer geradlinigen Interpretation versteht.
Gemeinsam mit zwei Musikerkollegen spielte sie in einem kleinen Club sechs Nummern, darunter den Hit, älteres Material und eine eindrucksvolle Interpretation des Common-Linnet-Songs „Give me a Reason“, der letztlich das musikalische Potenzial des gemeinsamen Projekts durchschimmern ließ. Mit drei Akkorden war es bei dieser Nummer nicht getan - und statt fetter Arrangments überzeugte DeLange samt Team gerade mit einer herausragenden stimmlichen Interpretation.

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Überrascht von der Publikumsreaktion beim fast geheimen Clubgig in Wien
Wie geht es weiter mit der Band?
Deutlich wurde auch: Man kann mitunter auf die eigene Sturheit und die Überzeugung setzen, mit Strahlkraft auch über den Eurovisionsbildschirm zu jagen. Möglich, dass die Common Linnets, die nun ein ganzes Album als Nebenprodukt zum ESC auch in Österreich auf den Markt werfen, bald eine große Tour spielen werden. Entscheidend sei, ob beim Publikum diese Sehnsucht da ist.
Am Abend hatte sie in Wien feuchte Augen. Noch nie abseits des Song-Contest-Rummels sei sie außerhalb der Niederlande so empfangen worden. Es könnte an ihr liegen - und an der Lektion von Dolly Parton: Bluegrass erfordert Nähe zum Boden - und den Mut, aus dem Herzen keine Mördergrube zu machen.
Gerald Heidegger, ORF.at
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