40 Prozent weniger ausländische Gäste
Das „russische Davos“ soll es für Russlands Präsidenten Wladimir Putin und die angeschlagene Wirtschaft der Rohstoffgroßmacht richten. Konzernchefs aus aller Welt erwartet der Präsident von 22. bis 24. Mai zum Wirtschaftsforum auf dem Lenexpo-Gelände in seiner Heimatstadt St. Petersburg. Doch erstmals wird der wichtigste russische Wirtschaftstermin von Sanktionen der EU und der USA überschattet.
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Angesichts dramatischer Kapitalflucht - bis zum Jahresende wohl 100 Mrd. Dollar -, eines schlechten Investitionsklimas und drohender Rezession ist die Stimmung im größten Land der Erde am Tiefpunkt. Wegen des international umstrittenen Anschlusses der Schwarzmeer-Halbinsel Krim und des russischen Kurses in der Ukraine-Krise insgesamt haben die USA und die EU Kontosperrungen und Einreiseverbote gegen einflussreiche Funktionäre verhängt. Weitere Strafmaßnahmen drohen. Auch Putin musste einräumen, dass die Sanktionen der russischen Wirtschaft schaden.
US-Manager bleiben zu Hause
Das Forum steht unter dem Motto „Festigung des Vertrauens in einer Epoche des Wandels“. Leicht dürfte das aber nicht werden - vor allem, weil viele Topmanager wegen der schwersten Krise seit Ende des Kalten Krieges dem Treffen lieber gleich fernbleiben. Die Zahl ausländischer Gäste bei dem Forum sei im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gefallen - von 506 auf 311, berichtet die Zeitung „Kommersant“.
Massenhaft haben vor allem US-Manager abgesagt. Allein ihre Zahl sei um mehr als die Hälfte auf 53 in diesem Jahr gesunken. So hätten etwa Chefs des Getränkemultis PepsiCo, des Aluminiumherstellers Alcoa, der Finanzriesen Visa, Citigroup, Goldman Sachs und Morgan Stanley abgesagt. Aus Deutschland kämen nur noch 19 statt der ursprünglich angekündigten 33 Topmanager. Dagegen habe sich die Zahl der Teilnehmer aus Frankreich und Japan kaum verändert, heißt es.
Großer Druck vonseiten Obamas
Es habe einen beispiellosen Druck seitens der Regierung von US-Präsident Barack Obama auf die Konzernchefs gegeben, klagte der russische Vizewirtschaftsminister Sergej Beljakow. Allerdings kämen trotzdem Manager aus der zweiten oder dritten Reihe, weil niemand den wichtigen russischen Markt aufgeben wolle. Das bestätigte auch die deutsche Auslandshandelskammer in Moskau, deren Chef Michael Harms in St. Petersburg Kontakte zur russischen Wirtschaft festigen will.
Mit Spannung erwarten viele Investoren Putins Rede bei dem Forum am Freitag. Bisher hat der Kreml-Chef immer wieder einen scharfen Antikorruptionskampf in Aussicht gestellt. Doch das lässt ebenso auf sich warten wie die versprochene Privatisierung großer Staatskonzerne und Großprojekte wie die Gründung eines internationalen Finanzzentrums in Moskau.
Russland droht Milliardenverlust
Experten warnen, dass Firmen und Banken derzeit reihenweise ihre Zusammenarbeit mit Russland einfrieren und zumindest keine neuen Verträge schließen. Ex-Finanzminister Alexej Kudrin sieht die Gefahr, dass Russland auf diese Weise in den kommenden zwei, drei Jahren rund 200 Mrd. Dollar verloren gehen. Es gebe keine Ideen, um eine Rezession abzuwenden, betont er.
Auch Regierungschef Dimitri Medwedew spricht von eher verhaltenen Aussichten. Die Wirtschaft wachse in diesem Jahr bestenfalls um 0,5 Prozent und drohe ins Minus zu rutschen. Dabei waren noch Ende vorigen Jahres für 2014 2,5 Prozent Wachstum prognostiziert.
Auch westliche Spitzenpolitiker fehlen in St. Petersburg. Im vorigen Jahr nahm die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Forum teil. Dass Russland ungeachtet von Meinungsunterschieden in der Ukraine-Krise ein wichtiger Wirtschaftspartner der EU und vor allem der bedeutendste Gaslieferant bleibe, darauf hatte auch die deutsche Regierung immer wieder hingewiesen. Wer fernbleibe, schade vor allem seiner eigenen Wirtschaft, warnen die Russen.
6.500 Teilnehmer aus 62 Staaten
Die Rohstoffgroßmacht präsentiert sich ungeachtet aller Probleme selbstbewusst. 62 Staaten seien vertreten, 146 große internationale Firmen und 450 führende russische Unternehmen hätten zugesagt, so die staatliche Nachrichtenagentur ITAR-TASS, die am Rande ein großes Medienforum organisiert und ihr 110-jähriges Bestehen feiert. Auch die Gesamtzahl der Teilnehmer liege mit 6.500 noch einmal um 1.000 höher als im vergangenen Jahr. Insgesamt eine Milliarde Rubel (21,15 Mio. Euro) lässt sich der russische Staat das Forum 2014 kosten.
Ulf Mauder, dpa