„Das ist Völkermord am Donbass“
Mit einem kurzen Warnstreik und ohrenbetäubendem Autohupen haben Zehntausende Bürger in der krisengeschüttelten Ostukraine ein Ende der Gewalt in der Region gefordert. Sie folgten damit am Dienstag einem Aufruf des reichsten Ukrainers Rinat Achmetow zum friedlichen Widerstand gegen die prorussischen Separatisten.
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In einer in der Nacht auf Dienstag publizierten Videobotschaft hatte Achmetow alle Ukrainer zum friedlichen Protest gegen die prorussischen Separatisten und die Arbeiter seiner Fabriken im Osten zu einem Warnstreik aufgerufen. Auch Autofahrer sollten sich an dem „friedliche Warnprotest“ beteiligen. Die Aktion solle täglich wiederholt werden, „bis Frieden hergestellt ist“.
Geiselnahmen und Plünderungen angeprangert
Zudem kritisierte er die Rebellen in Donezk scharf: „Mit Maschinenpistolen durch die Städte des Donbass zu laufen - sollen so die Rechte der Donezker vor der Zentralregierung gewahrt werden? In den Städten marodieren und friedliche Bürger verschleppen - ist das ein Kampf für das Wohlergehen unserer Region?“ Geiselnahmen, Plünderungen und das Aufmarschieren mit Waffen dienten der Region nicht, erklärte er. „Das ist Völkermord am Donbass.“ Donbass ist die russische Bezeichnung für das Kohle- und Industriegebiet im Donezbecken.

Reuters/Alexander Khudotioply
Der Oligarch Achmetwo
Rinat Achmetow gilt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im russisch geprägten Osten der Ukraine. Das Magazin „Forbes“ schätzt sein Vermögen auf rund 15,4 Milliarden Dollar (11,2 Mrd. Euro).
Bergleute als Sicherheitskräfte entsandt
Mit seiner Erklärung unterstrich Achmetow, dass er die Bemühungen der Übergangsregierung in Kiew offenbar unterstützt, die Lage in der Ukraine zu stabilisieren. Anfang Mai hatte er das bereits signalisiert, als seine Firma Metinvest Bergleute und Metallarbeiter in die Hafenstadt Mariupol schickte, um der Polizei dort bei Straßenpatrouillen zur Hand zu gehen. Ein neuer „Friedensmarsch“ musste am Montag aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Allerdings hatte er es bisher vermieden, das gewaltsame Vorgehen der Aufständischen zu verurteilen.
Unterstützung erhält Achmetow auch vom Bürgermeister der Millionenstadt Donezk, Alexander Lukjantschenko. Auch er forderte ein Zeichen gegen die Aktivisten. Rücktrittsforderungen der Separatisten wies er vehement zurück. Beobachter werteten die Reaktionen des Politikers und der Bürger als wichtige Geste in dem Konflikt.
Separatisten: „Achmetow hat Wahl getroffen“
Die moskautreuen Aktivisten kommentierten den Aufruf mit Schärfe. „Achmetow hat seine Wahl getroffen, leider richtet sie sich gegen die Bevölkerung im Donbass“, sagte Separatistenführer Denis Puschilin. Der Oligarch habe sich „für den Terror“ gegen das Volk entschieden. Doch die Separatisten haben noch mit anderen Problemen zu tun. Der Zustrom an „Kämpfern“ für ihre Sache hält sich bisher in Grenzen. „Ich hätte nie gedacht, dass sich in der ganzen Region nicht einmal 1.000 Männer finden, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren“, sagte der „Verteidigungsminister“ der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“, Igor Strelkow, in einem Video.
Kiew setzt „Anti-Terror-Operation“ fort
Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in der Ukraine am Sonntag setzte die Führung in Kiew ihre „Anti-Terror-Operation“ im Osten des Landes fort. Bei einem Schusswechsel nahe der Separatistenhochburg Slawjansk seien mindestens vier Soldaten leicht verletzt worden, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Zudem sei die Sicherung der Ostgrenze mit Russland um das Zehnfache erhöht worden, um „Extremisten, Waffen, Schmuggel“ und Destabilisierungsversuche zu verhindern, sagte Sergej Astachow von der staatlichen Grenzkontrolle.
„Schokoladenkönig“ in Umfragen vorn
Im Westen gilt die Wahl als Schlüssel für Stabilität in der Ukraine. „Die Wahlen können in ihrer Bedeutung überhaupt nicht überschätzt werden“, sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach einem Gespräch mit seinem ukrainischen Kollegen Andrej Deschtschiza in Berlin. Als aussichtsreichster Kandidat gilt der „Schokoladenkönig“ genannte Petro Poroschenko. Einer Umfrage zufolge dürfte er 53,2 Prozent der Stimmen erhalten, deutlich vor der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit 10,1 Prozent. Damit würde eine Stichwahl am 15. Juni entfallen.
Die Abstimmung findet unter schwierigen Bedingungen statt. Die Lage im Osten sei nach wie vor instabil, sagte Deschtschiza nach seinem Treffen mit Steinmeier. „Die extremistischen Gruppen, die dort nach wie vor tätig sind, schaffen nicht nur Chaos in dieser Region und terrorisieren die Bevölkerung, sondern sie erlauben auch nicht eine ruhige und normale Wahlvorbereitung.“ Er warf Russland vor, die „terroristischen Gruppen“ zu unterstützen.
Zwar hat Russlands Präsident Wladimir Putin die Wahl als „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet. Andere russische Vertreter haben jedoch signalisiert, dass die Regierung in Moskau das Ergebnis vielleicht nicht anerkennen werde. Während einer China-Reise forderten Putin und sein Gastgeber eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts. Beide Staaten sprachen von einem innenpolitischen Problem.
UNO warnt vor Massenflucht
Angesichts eines drohenden Zusammenbruchs der Grundversorgung warnte unterdessen der führende UNO-Menschenrechtsvertreter Ivan Simonovic vor einem Massenexodus aus den von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebieten in der Ostukraine. Vor allem in der Region Donezk gehe inzwischen der Vorrat an lebenswichtigen Gütern wie Insulin und anderen Arzneimitteln aus. „Sollte sich die Lage nicht bessern, könnte eine größere Welle von Vertriebenen auf uns zukommen.“
Laut UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) verließen im Zuge der Ukraine-Krise schon rund 10.000 Menschen ihre engere Heimat. Bei den Flüchtlingen handle es sich mehrheitlich um Tataren, allerdings hätten die örtlichen Behörden zuletzt auch einen Anstieg unter ethnischen Ukrainern, Russen und ukrainisch-russischen Familien gemeldet, sagte UNHCR-Sprecher Adrian Edwards. Es handle sich vor allem um Binnenflüchtlinge, die in den Westen oder ins Zentrum des Landes auswichen.
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