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Aufständische als „Banditen“

In einer aufsehenerregenden Videobotschaft hat der reichste Ukrainer Rinat Achmetow zum Widerstand gegen die prorussischen Separatisten aufgerufen. „In den Städten herrschen Banditen und Marodeure. Die Menschen sind es leid, in Angst zu leben“, sagte der Oligarch in dem Clip, der in der Nacht auf Dienstag veröffentlicht wurde.

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„Mit Maschinenpistolen durch die Städte des Donbass zu laufen - sollen so die Rechte der Donezker vor der Zentralregierung gewahrt werden? In den Städten marodieren und friedliche Bürger verschleppen - ist das ein Kampf für das Wohlergehen unserer Region?“, sagte Achmetow. „Nein! Das ist ein Kampf gegen die Einwohner unserer Region. Das ist ein Kampf gegen den Donbass. Das ist ein Völkermord am Donbass.“

„Was haben sie für unserer Region getan?“

Zuvor war aus Sicherheitsgründen ein „Friedensmarsch“ für eine Einheit des Landes in der Großstadt Mariupol abgesagt worden. Die Aktion sei verschoben worden, sagte Achmetow. „Denn wenn wir aufhören, wird der Donbass weiter im Blut versinken.“ Die selbst ernannte „Volksrepublik“ Donezk (DNR) stellte der 47-Jährige infrage. „Wer im Donbass kennt auch nur einen Vertreter dieser DNR? Was haben sie für unsere Region getan?“

Bergbauarbeiter

Reuters/Vasily Fedosenko

Achmetows Konzern gibt Hunderttausenden Menschen im Donbass Arbeit

Separatistenführer in der Ostukraine hatten am Montag angekündigt, die Ergebnisse der Wahl am 25. Mai nicht anzuerkennen. Zugleich beschworen sie die Bevölkerung, endlich zu den Waffen zu greifen. „Ich hätte nie gedacht, dass sich in der ganzen Region nicht einmal 1.000 Männer finden, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren“, sagte der „Verteidigungsminister“ der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“, Igor Strelkow, in einem Video.

Ende der Neutralität

Achmetow gilt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im russisch geprägten Osten der Ex-Sowjetrepublik. Das Magazin „Forbes“ schätzt sein Vermögen auf rund 15,4 Milliarden Dollar (11,2 Mrd. Euro). Der Unternehmer rief zu einem täglichen Warnstreik in dem Gebiet auf - „für den Frieden! Gegen das Blutvergießen!“ So wie andere Oligarchen hatte sich Achmetow bisher aus dem Konflikt herausgehalten und sich auf keine Seite geschlagen.

Doch in den letzten Tagen erkannte Achmetow offenbar, dass seine Taktik der Neutralität nicht zielführend ist. Die Aufstände und Kämpfe drohten zuletzt seine Geschäftsgrundlage - die Stahl- und Bergbauwerke - zu schädigen. Auch mit seinem nunmehrigen Eintreten für die Einheit der Ukraine verfolgt Achmetow daher durchaus eigene Interessen. Er positioniert sich verstärkt als der entscheidende Player in der Region, um den weder Kiew noch Moskau herumkommen werden.

Bereits in der Vorwoche ließ Achmetow seine „Armee“ - die Berg- und Stahlarbeiter - ausrücken, um die Trümmer der Separatisten in Mariupol aufzuräumen. Mit Baggern rissen sie in Mariupol die Barrikaden aus Autoreifen und Paletten nieder, die die Aufständischen nach der Vertreibung aus dem besetzten Rathaus zurückgelassen hatten. Die Polizei half ihnen dabei, die maskierten Separatisten ließen sich nicht blicken. Insgesamt beschäftigt Achmetow in seinem Firmenimperium 300.000 Menschen.

Für Einheit der Ukraine

Früher zählte der Tatare zu den Unterstützern des inzwischen geflohenen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Auf welcher Seite der Fußballnarr heute steht, der seinem Club Schachtjor Donezk in der gemeinsamen Heimatstadt ein spektakuläres Stadion in der Form einer fliegenden Untertasse spendiert hat, war zuletzt nicht immer ersichtlich. Als die Separatisten im ganzen Donbass Verwaltungsgebäude unter ihre Kontrolle brachten, warb Achmetow zwar für die Einheit der Ukraine. Doch der 47-Jährige vermied es, das gewaltsame Vorgehen der Aufständischen zu verurteilen.

Seit die Separatisten Donezk zuletzt für unabhängig erklärten, hat sich der Aufstand zur echten Bedrohung für Achmetows Firmenimperium entwickelt. Denn Russland schwieg zu der Bitte der Rebellen nach einem Anschluss der Region an den großen Nachbarstaat. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Donezk in absehbarer Zeit neben Gebieten wie Abchasien und Südossetien in Georgien, Berg-Karabach in Aserbaidschan und Transnistrien in Moldawien einreihen könnte.

All diese selbst ernannten Ministaaten entstanden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991. Kaum ein Land erkennt sie an, die meisten Länder ignorieren sie schlicht. Würde sich Achmetow mitsamt seinem auf dem Export aufgebauten Firmenimperium plötzlich in der rechtlichen Grauzone eines Zwergstaates wiederfinden, dürfte das seinen Geschäften empfindlich schaden.

UNO warnt vor Massenflucht

Angesichts eines drohenden Zusammenbruchs der Grundversorgung warnt unterdessen der führende UNO-Menschenrechtsvertreter Ivan Simonovic vor einem Massenexodus aus den von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebieten in der Ostukraine. Vor allem in der Region Donezk gehe inzwischen der Vorrat an lebenswichtigen Gütern wie etwa Insulin und andere Arzneimittel aus. „Sollte sich die Lage nicht bessern, könnte eine größere Welle von Vertriebenen auf uns zukommen.“

Bereits Tausende Binnenflüchtlinge

Laut UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) flüchteten im Zuge der Ukraine-Krise schon rund 10.000 Menschen in ihre Heimat. Bei den Flüchtlingen handle es sich mehrheitlich um Tataren, allerdings hätten die örtlichen Behörden zuletzt auch einen Anstieg unter ethnischen Ukrainern, Russen und ukrainisch-russischen Familien gemeldet, sagte UNHCR-Sprecher Adrian Edwards. Es handle sich vor allem um Binnenflüchtlinge, die in den Westen oder ins Zentrum des Landes auswichen.

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