Kein Treppenwitz
Stiegen spielen seit jeher eine wichtige Rolle in Religion und Kunst. Man muss nicht „Stairway to Heaven“ auf der Gitarre spielen können, um zu erkennen, dass Stiegenhaus nicht gleich Stiegenhaus ist. Sogar ein und dasselbe Stiegenhaus hat zwei Gesichter - je nachdem, ob man es von oben oder von unten betrachtet.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Christian Öser
Reykjavik: Hier wird das Treppenauge in einem Bürogebäude tatsächlich zu einem Auge - durch die spielerische halbrunde Konstruktion, die optisch wie eine Melange aus Wendel- und Rundbogentreppe wirkt. Schön herausgearbeitet sind hier die Kontraste zwischen dunklem Handlauf und weißen Geländerstreben.

Christian Öser
München: Bemerkenswert hier das frei schwebende Podest im obersten Stockwerk eines Wohnhauses. Durch die rötlich-braun marmorierten Bodenfliesen und Trittflächen wird im Kontrast zum Kalkweiß der Wendelkonstruktion der Eindruck eines Schneckengehäuses noch verstärkt. Bemerkenswert der Blick in das Treppenauge von oben - mit einem Stern an der Grundfläche. Der Blick hinauf wiederum zeigt ein gänzlich anderes Bild, schlicht, elegant, schwarz und weiß, während die Geländerstreben dezent Akzente setzen.

Christian Öser
London: Irgendwo zwischen Renaissance und Seefahrer-Holzkitsch ist diese Wendeltreppe rund um eine Hohlspindel angesiedelt. Die Stufen und Handläufe erinnern an das Teakdeck eines Segelschiffs, die Geländerstreben an Taue. Die Stiege, entworfen von Cecil Brewer im Jahr 1916, befindet sich im Londoner Möbelhaus Heal’s und hat es bereits zu einiger Berühmtheit gebracht.

Christian Öser
Wien: Eine Stiege mit geradem Verlauf und quadratischem Auge: Die Schlichtheit, die eindimensionale Schönheit des Nützlichen wird hier durch einen Spiegeleffekt des Aufzugschachts durchbrochen. Leben in einer optischen Täuschung - als ob die Stiegen auf ein himmelwärts gerichtetes Podest zuliefen. Die Stiege befindet sich übrigens in einem Wiener Altbau.

Christian Öser
Wien: Eine weitere - gänzlich andere - Treppe aus demselben Wiener Altbau. Charakteristisch der schlichte zweite, an der Wand montierte Handlauf und die reich verzierten Streben des gusseisernen Geländers. Auch hier eine Wendeltreppe um eine Hohlspindel - sprich ein Loch in der Mitte. Nicht selten wurden diese Freiräume in der Mitte für nachträgliche Einbauten von Fahrstühlen genutzt. In diesem Fall wäre das wohl allzu knapp geworden.

Christian Öser
Dublin: Besonders deutlich hier der Kontrast zwischen Aufwärts- und Abwärtsblick. Typisch britisch-irisch: das Holzgeländer, der Teppich, die quadratischen Podeste - Repräsentation auf kleinstem Raum in einem Hotel.

Christian Öser
Wien: Klassische Wendeltreppe in einem Wiener Altbau. Das Stiegenhaus ist die zweite Visitenkarte eines Hauses - gleich nach der Fassade. Je repräsentativer, desto besser. Noch heute wird in Immobilienanzeigen damit geworben. Die Besonderheit ist hier, um den verstorbenen Stiegenexperten Peter Tölzer zu zitieren, „dass die reich profilierte, als Hohlspindel gewundene Wange samt dem Geländer alle Geschoße durchzieht, ohne an den Podesten von waagrechten Abschnitten unterbrochen zu werden.“

Christian Öser
München: Hier eine moderne Variante im Cafe Glockenspiel. Bei dieser Rundbogentreppe entsteht durch die halbrund ausgeschnittenen horizontalen Podeste der Eindruck, es handle sich um eine Wendeltreppe. Während das Geländer in seiner Schlichtheit so wirkt, als hätte das Bauhaus dem Jugendstil die Schnörkel ausgetrieben, sorgen die marmorierten, an Kork erinnernden Absätze und die grelle Wandfarbe für intensive optische Reize.

Christian Öser
München: Eine eigenwillige Konstruktion ist im Haus der Regierung von Oberbayern zu sehen. Beim Blick hinab entsteht durch die letzte Schwingung des Geländers der Eindruck eines Yin-Yang-Symbols. Der Blick aufwärts besticht durch Lichteffekte. Auffallend auch die ausladende freie Fläche in der Mitte der Rundbogenstiege mit rund ausgeschnittenen Stockwerkanschlüssen. Hier ist die Stiege konstituierender Teil des Gebäudes.

Christian Öser
Prag: Halbstöckige Zwischenpodeste durchbrechen diese Wendeltreppenkonstruktion in einem Prager Altbau. Nach oben hin gibt die Treppe den Blick frei auf die fächerartige Struktur, die sich aus den Absätzen und Zwischenstöcken ergibt. Auch hier ein besonders schöner Kontrast zwischen Aufwärts- und Abwärtsblick, nicht zuletzt durch das Zusammenspiel von natürlichem Licht und Kunstlicht.

Christian Öser
Prag: Noch stärker fällt dieser Effekt hier auf, im Haus der Schwarzen Madonna, in dem das Kubismusmuseum untergebracht ist. Blickt man hinauf, wirkt das Treppenauge durch die von Sonnenlicht durchflutete Dachkonstruktion wie eine Glühbirne. Blickt man hinunter, wird man an ein Schlüsselloch erinnert. Auffallend ist hier auch das Geländer, dessen Streben in einer Doppelreihe angeordnet sind.

Christian Öser
München: Keine ungewöhnliche Treppenkonstruktion - und doch ein ungewöhnlicher Anblick. Nur noch selten finden sich heute in Wohnanlagen Stiegenhäuser mit viereckiger Grundfläche, in denen kein Aufzug montiert wurde. Abgesehen vom mediterranen Blau-Weiß-Holz-Farbenspiel sticht die halbrunde Anordnung der Stufen ins Auge, die durch Ecken - wiewohl abgerundete - an Stiegen mit geradem Lauf erinnert.
Christian Öser (Fotos), Simon Hadler (Text), ORF.at
Links: