Patentbox lässt Steuerlast verschwinden
„Da bin ich entschieden anderer Meinung.“ Nur ein einziges Mal fiel zuletzt bei der TV-Debatte der möglichen nächsten EU-Kommissionspräsidenten, des Christlichsozialen Jean-Claude Juncker und des Sozialdemokraten Martin Schulz, ein so klarer Widerspruch. Das Thema war der interne Steuerwettbewerb zwischen den EU-Ländern, und Schulz verwehrte sich gegen Junckers Bekenntnis dazu.
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Tatsächlich ist das Anlocken von Unternehmen, vor allem Großkonzernen, durch Dumpingsteuersätze vielleicht das große Thema im Hintergrund der EU-Wahl. Denn darüber, dass die Krise auf dem Arbeitsmarkt derzeit Europas größte Herausforderung ist, finanzielle Stabilität gerade jetzt wichtig ist und die EU transparenter werden sollte, besteht zwischen Junckers Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) und Schulz’ Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten (S&D), die wohl weiterhin in Brüssel den Ton angeben werden, Einigkeit. Darüber, wie weit der Steuerwettbewerb gehen darf, umso weniger.
Eine Box mit doppeltem Boden
Das Thema brennt unter den Nägeln: Trotz aller Bekenntnisse zur Eindämmung der Steuertricksereien wuchern parallel dazu überall neue Anreizsysteme, mit denen die EU-Länder Konzernzentralen als Steuerzahler anlocken wollen. Die nächste EU-Kommission, wie auch immer sie aussehen wird, wird sich des Themas wohl annehmen müssen - umso mehr, als der Wettbewerb durch den letzten Schrei in der Fiskaltrickserei nun aus dem Ruder zu laufen droht: die „Patentboxen“, Niedrigststeuersätze auf Lizenzeinnahmen.
Das Thema Lizenzbesteuerung klang bisher offenbar spröde genug, um den Radar der politischen Debatte zu unterfliegen. So kompliziert ist es aber gar nicht. Es geht nicht nur um Lizenzen im klassischen Sinn, denn da könnte man tatsächlich argumentieren, dass in dem Land, in dem besagte Lizenzen zu Geld gemacht werden - etwa Profite mit einem patentierten Produkt - ohnehin schon Steuer dafür gezahlt wurde. Bei der Handhabung der Patentbox, wie sie sich nun abzeichnet, bleibt dieses Argument aber nur noch als Ausrede übrig.
Wie man sich selbst steuerschonend bezahlt
Wenn man ein Großkonzern ist, kann man die Patentbox ganz einfach für sich nutzen: Statt steuerlich Farbe zu bekennen, agiert die Konzernfiliale in einem Land als eigenständiges Unternehmen, das der Konzernmutter (etwa für die Verwendung von Logos, Rezepturen - der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt) in einem anderen Land große Beträge überweisen muss. Aus der Sicht des Konzerns eine Win-Win-Situation: Die Filiale hat Abschreibposten, und die Mutter kann die Gebühren dank Patentbox beinahe unversteuert einstreifen.
Bezahlen müssen den Steuerwettbewerb vor allem jene, die mit ihren Vermögensmassen nicht auf die Schnelle einmal hierhin und einmal dorthin umschwenken können, vor allem Klein- und Mittelbetriebe und Arbeitnehmer. Ein Überblick der deutschen Bundesregierung - die sich damit freilich gegen Geister wehrt, die sie selbst zu einem Gutteil herbeigerufen hat - zeigt etwa: In gut der Hälfte aller europäischen Länder klaffen reguläre Steuersätze und jene für Lizenzeinkünfte weit auseinander.
Dumping bis zu Steuersatz von 0,0 Prozent
Belgien etwa hat mit einem regulären Steuersatz von 34 Prozent und einem Lizenzsteuersatz von 6,8 Prozent eine Lücke von 27,2 Prozentpunkten zwischen „normalsterblichen“ Steuerzahlern und multinationalen Konzernen. In Luxemburg beträgt die Lücke (29,63 zu 5,72) 23,91 Prozentpunkte, in Frankreich (33,33 zu 15) immerhin noch 18,33 Prozentpunkte. Vergleichbare Regeln gibt es auch in den Niederlanden, Portugal, Spanien, Ungarn und Großbritannien.
Überhaupt keine Steuern auf Lizenzeinkünfte werden in Malta und Zypern erhoben. Österreich hat die Patentbox noch nicht für sich entdeckt, hält dafür aber im EU-Raum an der umstrittenen Gruppenbesteuerung fest. Darüber, wie viel das verlockende Abschreiben ausländischer Verluste in Österreich einbringt, verliert die Republik nicht gerne viele Worte. Fest steht aber, dass allein die Einschränkung der heimischen Gruppenbesteuerung den Magna-Konzern von Frank Stronach im letzten Quartal 23 Millionen Euro gekostet hat.
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