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„Wer speichert, kann auch löschen“

Wenn dem künftigen Job im Internet Fotos von Trinkgelagen aus der Jugendzeit entgegenstehen, allzu freizügige Urlaubsbilder durch einen geposteten Link plötzlich bei Google landen oder pikante Einträge in Singlebörsen Jahre später online auftauchen, ist das für den Betroffenen oft mehr als peinlich.

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Bisher hatten Privatpersonen keine Handhabe, unerwünschte Suchergebnisse bei Google entfernen zu lassen. Entsprechende Bitten um Löschung wurden von Google bisher „nicht einmal ignoriert“, berichtet Hans Zeger von den ARGE Daten. Das ändert sich nun: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Dienstag entschieden, dass Suchmaschinen verpflichtet sind, in bestimmten Fällen Links zu persönlichen Daten aus der Vergangenheit aus der Ergebnisliste zu löschen. Die Informationen sind damit zwar nicht aus dem Netz verschwunden, aber ohne Listung bei Google sehr viel schwerer auffindbar.

Um ein Frisieren des eigenen Lebenslaufs zu verhindern, hat der EuGH dabei festgelegt, dass die Suchmaschinenbetreiber nur solche Links löschen müssen, die zu einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten führen. Das muss im Einzelfall geprüft werden. Prominente, Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens haben zudem weniger Recht auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten als der „normale“ Nutzer.

Freude bei Datenschützern und Politikern

Die EU-Kommission hat das EuGH-Urteil zum „Recht auf Vergessenwerden“ im Internet am Dienstag begrüßt. „Ich sage immer: Wer speichern kann, der kann auch löschen“, so die zuständige EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, Viviane Reding, gegenüber der Deutschen Welle (DW). Auch die heimischen Politiker zeigen sich erfreut. „Das Urteil des EuGH ist im Sinne der Stärkung der Persönlichkeitsrechte sehr zu begrüßen“, sagte Justizminister Wolfgang Brandstetter gegenüber ORF.at.

„Der EuGH hat die Grundrechte in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen gestellt, nicht das Profitinteresse großer Unternehmen. Dadurch gibt das Urteil den europäischen Bürgern die Hoheit über ihre Daten zurück und stärkt die Anwendbarkeit von EU-Recht als Ganzes“, so EU-Abgeordneter Josef Weidenholzer (SPÖ). "Der EuGH macht auch deutlich, dass die Verknüpfung öffentlich verfügbarer Informationen zu einem Personenprofil einen neuen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt“, so Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin der Grünen im Europaparlament. „Mit dem Urteil wird klargestellt, dass europäisches Datenschutzrecht dann gilt, wenn ein Datenverarbeiter sich auf dem europäischen Markt bewegt.“

Bis zu 100.000 Österreicher betroffen

Für Datenschützer Zeger wird die Freude durch den späten Urteilszeitpunkt getrübt. „Wäre das schneller passiert, die Welt würde heute anders aussehen.“ Google dürfte seine Informationen nicht so aggressiv verbreiten. Allein in Österreich könnten nach Schätzungen von Zeger 10.000 bis 100.000 Österreicher von dem Urteil betroffen sein.

Experten gehen davon aus, dass die Nutzer Google nun mit einer Flut an Löschanfragen überschwemmen werden. „Das Urteil des Gerichtshofs ist richtungsweisend, das ist ein wichtiges Urteil für den Datenschutz in Europa. Es ist wahrscheinlich, dass Betreiber von Suchmaschinen wie zum Beispiel Google oder Yahoo mit vielen Anfragen konfrontiert sein werden“, so der Datenschutz- und IT-Rechtsexperte Hermann Hansmann von PHH Rechtsanwälte.

Wie muss ein Nutzer konkret vorgehen?

Um einen Link aus der Suchergebnisseite entfernen zu lassen, muss der Nutzer sich direkt an Google oder den jeweiligen anderen Suchmaschinenbetreiber wenden. Auf Anfrage von ORF.at konnte man bei Google Österreich jedoch vorerst keine Kontaktadresse nennen, an die entsprechende Löschanfragen geschickt werden können. Konzernsprecher Wolfgang Fasching-Kapfenberger verwies dabei auf das offizielle Statement: „Das ist ein sehr enttäuschendes Urteil für Suchmaschinenbetreiber und Onlineverleger. Wir benötigen Zeit, um die Auswirkungen zu analysieren.“

Die ARGE Daten kündigte unterdessen an, in nächster Zeit Musterschreiben in Deutsch und Englisch auf ihrer Website bereitzustellen. Diese wären an die Google-Niederlassung in Österreich und die US-Zentrale zu senden. Beilegen sollte man entsprechende Google-Screenshots der beanstandeten Links, einen Identitätsnachweis sowie eine kurze Erklärung, weshalb die Einträge zu löschen sind.

„Unterstützen Musterverfahren“

Wenn das nicht klappt, dann bleibt die Klage bei Gericht. „Wir würden anfangs Musterverfahren unterstützen“, bot Zeger an. Erfahrungsgemäß würden große Unternehmen es zunächst darauf ankommen lassen und den einen oder anderen Rechtsstreit führen. Aber bald würden sie akzeptieren müssen, dass sie ihr Geschäftsmodell ändern müssen. Danach werde sich ein standardisierter Ablauf einspielen. Allerdings müsse man die Löschung bei jeder Suchmaschine extra durchsetzen. „Aber das ist überschaubar.“

Praktische Umsetzung unklar

Bisher ist unklar, wie die neue EuGH-Regelung technisch umgesetzt werden wird. Die Suchmaschinenbetreiber müssen etwa verhindern, dass ihre Software, die automatisch das Internet abgrast und die Netzinhalte indexiert, einmal entfernte Links wieder neu in die Ergebnislisten aufnimmt.

Außerdem ist noch nicht klar, ob der Link nur aus der jeweiligen Ergebnisliste des Landes, aus dem die Beschwerde kam, oder aus sämtlichen Google-Länderversionen oder möglicherweise nur EU-weit entfernt werden muss. Reicht ein Entfernen im Suchindex der EU, könnten Nutzer der amerikanischen Google-Version etwa weiterhin die Ergebnisse sehen.

Internetbranche: Widersprüchliche Rechtslage

Kritik kommt vonseiten der britischen Organisation Index on Censorship, die sich weltweit für die Meinungsfreiheit einsetzt. Sie befürchtet Manipulation: „Das Urteil öffnet die Tür für jeden, der seine eigene Geschichte schönfärben will.“ Auch aus Teilen der Internetbranche kommen Mahnungen. So kritisiert der deutsche Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder: „Einerseits soll weiterhin die Presse- und Meinungsfreiheit gelten, auch die Informationsfreiheit wird groß geschrieben.“ Andererseits würden diese grundlegenden Prinzipien eines freiheitlichen Internets eingeschränkt, „indem bestimmte Informationen von Suchmaschinen nicht mehr angezeigt werden dürfen“. Konsequenz des Urteils sei „eine inkonsistente und widersprüchliche Rechtslage“, so Rohleder.

Das Analysehaus Ovum warnt, das Urteil könne als Präzedenzfall mehr schaden als nutzen. „Es scheint in großem Ausmaß schwer umzusetzen und könnte die Arbeit von Suchmaschinen in Zukunft sehr durcheinanderbringen“, so ein Ovum-Analyst. Am Ende könne das Urteil dafür sorgen, „dass große Teile des Internets nicht auffindbar sein werden“. Das könne nicht im Interesse der Gesamtheit der Nutzer sein.

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