Arbeitskräftemangel nach dem Krieg
Es war die Zeit des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg - in Österreich herrschte ein Mangel an Arbeitskräften. Diesen sollten „Gastarbeiter“ aus dem Ausland ausgleichen. Dazu wurde am 15. Mai 1964 das Anwerbeabkommen zwischen Österreich und der Türkei unterzeichnet. Es regelte die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte und deren Beschäftigung in Österreich.
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Im Zuge dessen wurde kaum bedacht, dass dieser nüchterne und pragmatische Beschluss in den kommenden Jahrzehnten durchaus weitreichende Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft haben sollte. Der türkische Staat unterstützte diese Auswanderung der Arbeitskräfte nach Angaben der Wiener Medienservicestelle Neue Österreicher/innen aufgrund der damals hohen Arbeitslosenquote in der Türkei.
Raab-Olah-Abkommen als Grundstein
Offiziell gelangten Gastarbeiter über eigene Anwerbekommissionen nach Österreich, mit der Zeit wurden auch Mundpropaganda und die Vermittlung von Arbeitskräften durch bereits Ausgewanderte im Auftrag von Firmen gängige Anwerbemethoden. Den Grundstein für den Zuzug von Gastarbeitern nach Österreich bildet das Raab-Olah-Abkommen, das 1961 von der Bundeswirtschaftskammer und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) ins Leben gerufen wurde.
Benannt ist das Abkommen nach dem früheren Bundeskanzler und damaligen Kammerpräsidenten Julius Raab (ÖVP) und dem Präsidenten des Gewerkschaftsbundes, Franz Olah (SPÖ). Ziel war es, die Zulassung von ausländischen Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt zu erleichtern. Aufbauend auf dem Raab-Olah-Abkommen wurden in den 60er Jahren zwischenstaatliche Verträge geschlossen, um die Anwerbung von Gastarbeitern zu institutionalisieren und besser kontrollierbar zu machen.
Nur für einen begrenzten Zeitraum
Dem ersten - erfolglosen - Anwerbeabkommen mit Spanien im Jahr 1962 folgten die Abkommen mit der Türkei 1964 und Jugoslawien 1966. Mit der Idee, ausländische Arbeitskräfte für einen gewissen Zeitraum anzuwerben, wurde der Begriff „Gastarbeiter“ geprägt. Das Wort sollte klarstellen, dass sich die angeworbenen Arbeitskräfte aus der Türkei und anderen Staaten nur vorübergehend in Österreich aufhalten, wie aus den Unterlagen der Medienservicestelle hervorgeht.
Der Begriff löste die stark negativ konnotierte Bezeichnung „Fremdarbeiter“ ab, wie Zwangsarbeiter während des Nazi-Regimes genannt worden waren. Gegen Ende der 60er Jahre setzte sich der Begriff „Gastarbeiter“ durch.
Wirtschaftlicher Aufschwung
Grund für die Unterzeichnung des Anwerbeabkommens mit der Türkei 1964 war der wirtschaftliche Aufschwung Mitte der 50er Jahre in Westeuropa, wodurch die Nachfrage an Arbeitskräften stieg. Zudem wanderten viele Österreicher wegen eines höheren Lohnniveaus ins Ausland ab, und der Einsatz der ländlichen Bevölkerung in den Industriezweigen stagnierte. Um dem Arbeitskräftemangel in Zeiten der Hochkonjunktur entgegenzuwirken, wurden Arbeitskräfte aus anderen Ländern angeworben.
Der türkische Staat seinerseits unterstützte diese Arbeitskräftewanderung wegen eines rapiden Bevölkerungswachstums (2,7 Prozent im Jahr 1965) und einer hohen Arbeitslosenquote. Die türkischen Gastarbeiter in Österreich stammten vor allem aus den „wohlhabenden“ Provinzen im Westen und Norden der Türkei. Hierzu gehören auch die drei größten Städte des Landes - Ankara, Izmir und Istanbul. Nur ein Prozent stammte hingegen aus den weniger entwickelten Provinzen im Südosten der Türkei.
„Rotationsprinzip“ scheiterte
Die Anwerbung von Gastarbeitern basierte auf dem „Rotationsprinzip“ temporärer Arbeitskräfte. Die Gastarbeiter - zunächst meist Männer ohne ihre Familien - sollten möglichst bald in ihre Heimatländer zurückkehren und bei Bedarf durch neue ausländische Arbeitskräfte ersetzt werden. Das Rotationsprinzip scheiterte jedoch: Einerseits holten Gastarbeiter ihre Familien nach und kehrten daher im Winter nicht mehr zurück. Andererseits waren viele Firmen nicht bereit, jedes Jahr neue Arbeitskräfte einzuschulen, weshalb dauerhafte Arbeitsverträge geschlossen wurden.
Zwischen 1961 und 1974 wanderten etwa 265.000 Menschen nach Österreich ein. Der Großteil der Gastarbeiter stammte aus dem ehemaligen Jugoslawien, ein geringer Teil aus der Türkei: 1973 waren 78,5 Prozent der Gastarbeiter jugoslawische Staatsbürger und 11,8 Prozent Türken. 1973 erreichte die Zuwanderung mit rund 230.000 beschäftigten Gastarbeitern und einem Anteil von 8,7 Prozent an den Beschäftigten ihren vorläufigen Höhepunkt.
Nach Deutschen und Serben größte Gruppe
Im Zuge der Erdölkrise und der darauf folgenden Rezession kam es zum Anwerbestopp. In den Rezessionsjahren 1974/75 wurden österreichweit rund 70.000 Arbeitsverträge nicht mehr verlängert. Kurzfristig kam es zu einem Rückgang der Zahl an Gastarbeitern. Langfristig stieg diese jedoch konstant, da bereits niedergelassene Gastarbeiter immer häufiger ihre Familien nachholten. Heute leben 186.334 Personen türkischer Herkunft hierzulande. Damit stellen sie nach den Deutschen und Serben die drittgrößte Migrantengruppe in Österreich.
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