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„Im besten Sinne europäisches Ergebnis“

Spätestens seit dem Semifinale hat Österreichs Beitrag zum diesjährigen Song Contest zum engeren Favoritenkreis gezählt - mit einem derartig überragenden Sieg hat aber wohl niemand gerechnet. Auf den Triumph von Conchita Wurst folgten Lobeshymnen auf deren Beitrag „Rise Like a Phoenix“ - und nicht zuletzt auf die politische Botschaft und den „Sieg der Toleranz“.

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Gefeiert wurde er nicht nur von der heimischen Politik und Österreichs Medien - auch im europäischen Ausland schlug der diesjährige Song Contest hohe Wellen. Aus Sicht des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ habe man es jedenfalls nicht nur mit dem viertbesten Ergebnis in der Geschichte des Wettbewerbs zu tun, „es war auch ein im besten Sinne europäisches Ergebnis“.

Endergebnis der Punkteverteilung

ORF/EBU

Auch wenn Conchita Wurst nach dem Semifinale zum Kreis der Favoriten zählte - das Ergebnis kam Samstagabend nicht nur in Österreich einem Knalleffekt gleich

„Bombastische Kitschexplosion“

Ungeachtet rekordverdächtiger 290 Punkte zeigte sich ein „altgedienter“ Song-Contest-Kommentator laut „Süddeutscher Zeitung“ („SZ“) durchaus überzeugt, dass „Rise Like A Phoenix“ sicherlich nicht jedem gefallen habe und „die bombastische Kitschexplosion in jedem James-Bond-Vorspann besser aufgehoben wäre als bei einem Schlagerfest“. Wurst habe aber selbst aus Gegenden zwölf Punkte bekommen, „von denen man bisher annahm, dass man dort das Wort Toleranz nicht einmal buchstabieren könnte“. Damit steht der Zeitung zufolge fest: „Europa ist toleranter, als manche vielleicht denken.“

Insgesamt bekam Conchita Wurst 13-mal die Höchstwertung von zwölf Punkten - darunter aus dem erzkatholischen Irland ebenso wie aus Israel. Auch die zehn Punkte aus Georgien, die acht Punkte aus der Ukraine und fünf Punkte aus dem wegen seiner Anti-Homosexuellen-Gesetze stark kritisierten Russland standen im Vorfeld nicht auf der Rechnung. Nichts wurde es indes der von der „sicheren Zwölferbank“ Deutschland erwarteten Höchstpunktezahl. Der Grund: Während die deutschen Zuschauer Wurst auf Platz eins wählten, sah die fünfköpfige Expertenjury - darunter der Berliner Rapper Sido - sie nur auf Rang elf, weswegen sich Wurst auch mit sieben Punkten aus Deutschland begnügen musste.

Empfang für Conchita Wurst in Wien Schwechat

ORF/Milenko Badzic

Conchita Wurst sprach nach ihrer umjubelten Ankunft in Wien von einem Sieg gegen Abgrenzung und Diskriminierung und von einem Signal an „einige uns bekannte Politiker“

„Europa im Wurst-Wahnsinn“

Im Gegensatz zur deutschen Song-Contest-Jury stand laut deutscher „Bild“-Zeitung Wurst bereits vor dem Finale zumindest als „Siegerin der Herzen“ fest - nach dem Triumph sei in Europa aber endgültig der „Wurst-Wahnsinn“ ausgebrochen. Unerwartetes Lob kam zunächst auch aus Russland. „Ob er einen Bart hat oder keinen Bart, ob er Mann ist oder Frau - das ist unwichtig, es ist ein Wettbewerb“, so Russlands „Pop-Papst“ Filipp Kirkorow im russischen Staatsfernsehen.

Gänzlich verstummen will die Kritik am Auftritt von Wurst in Russland allerdings auch weiterhin nicht. Das Ergebnis zeige „Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet - ein Mädchen mit Bart“, schrieb Vizepremier Dimitri Rogosin auf Twitter. Der nationalistische Abgeordnete Wladimir Schirinowski sagte Europa gar den Untergang voraus. Imrussischen TV-Sender Rossija war zudem von der „schlimmsten Niederlage der Europäischen Union“ die Rede.

Bild der Kaiserin Sisi mit Vollbart

Screenshot twitter.com

Der „Conchita-Bart“ zählt bereits seit dem Semifinale zu einem kaum übersehbaren Trend auf Twitter

Abschätzige Kommentare über Song-Contest-Siegerin Wurst waren auch im TV-Sender RTS in Serbien zu hören. Der Sender wurde vom Belgrader Schwulen- und Lesben-Infozentrum aufgefordert, sich für das Verhalten seiner Moderatoren zu entschuldigen: „Es ist unzulässig, die transsexuelle Person Conchita Wurst in den Bereich des Bizarren, eines Zirkus oder einer Freakshow zu versetzen und jedes Mal zu staunen, wenn sie die höchste Punktezahl erhielt“, so Predrag Azdejkovic, Leiter des Infozentrums.

„Ohrfeige für alle Homophoben“

In der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ wurde das Song-Contest-Ergebnis als „Ohrfeige für alle Homophoben in Europa“ gefeiert. „Sie ist nicht mehr eine bärtige Frau, sie wurde zur Königin Europas erhoben“, schrieb „Ilta-Sanomat“ aus Finnland. Im schwedischen „Svenska Dagbladet“ wurde daran erinnert, dass die Publikumsunterstützung für Conchita Wurst bereits im Semifinale „beispiellos“ gewesen sei: „Am Samstag riss sie dann alle mit sich. (...) Ich glaube, ich habe noch nie einen vergleichbaren Applaus in der Geschichte des Song Contests gehört.“

Dass das Thema Conchita Wurst und Song Contest am Sonntag auch die heimische Medienlandschaft prägte, liegt auf der Hand. „Das scheinbar Undenkbare“ ist für den „Standard“ „wahr geworden“, „die Sensation – die sich in den vergangenen Tagen schon angekündigt hatte – ist perfekt“. „Alles Wurst“, so der „Kurier“, „Merci Conchy“, schrieb die "Presse, „Conchita, jetzt bist du unsterblich“, die Zeitung „Österreich“ (jeweils Onlineausgaben).

„Etwas anderes als die Lederhosenkultur“

Nachdem der Song Contest bereits in den vergangenen Jahren in Sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Co. zelebriert worden war, sprengte der Sieg von Wurst diesmal - zumindest hierzulande - auch die zum Thema bekannten Grenzen. Auf Facebook vereinte Wurst beispielsweise vor ihrem Sieg beachtliche 90.000 Fans - Sonntagabend lag die Zahl schließlich bei weit über 400.000. Ähnlich das Bild auf Twitter, wo die Zahl der Followers von 9.000 auf über 70.000 geradezu explodierte.

Mit Ausnahme von „#Muttertag“ dominierten am Sonntag in Österreich ausschließlich Schlagworte wie „#wurst“, „#Conchita“ und „#songcontest“ das Geschehen auf Twitter. Unter die zahlreichen Gratulanten reihten sich auch ehemalige heimische Song-Contest-Teilnehmer. Der bisher einzige und letzte Gewinner Udo Jürgens zollte Österreichs Auftritt Lob und Respekt: Er freue sich sehr, dass sein Heimatland den Mut gehabt habe, Conchita Wurst auf dem Weg zum ESC-Finale zu unterstützen: „Das ist doch etwas anderes als die Lederhosenkultur“, so Jürgens laut dpa.

Facebook-Statusmeldung von Kabarettist Alf Poier

Screenshot facebook.com

Alf Poier, der vorab mit Ausfälligkeiten aufhorchen ließ, gratulierte via Facebook

„Ein schöner Tag für Österreich“

Von einem „schönen Tag für Österreich“ war von politischer Seite - allen voran Bundespräsident Heinz Fischer - die Rede. „Ich gratuliere Conchita Wurst zum Sieg beim ESC. Das ist nicht nur ein Sieg für Österreich, sondern vor allem für Vielfalt und Toleranz in Europa“, so Fischer weiter. „Dass sie ihren Sieg all jenen widmete, die an eine Zukunft in Frieden und Freiheit glauben, macht ihn doppelt wertvoll.“

Glückwünsche kamen auch von Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP). Als „höchst erfreulich und ein großes Signal“ bezeichnete es Faymann, dass „sich die musikalische Leistung gegen Vorurteile und Intoleranz durchgesetzt“ habe. Erfreut zeigte sich der Kanzler auch darüber, dass Österreich nun 2015 den Song Contest austragen wird: „Österreich ist international ja als Land der Musik bekannt. Mit dem Sieg beim Song Contest 2014 und der Austragung des Bewerbes 2015 werden wir diesem Image neuerlich gerecht.“

Auch Spindelegger sprach von einem „beeindruckenden Sieg“ und von „einer großen Ehre und Auszeichnung für Österreich“. Das ganze Land sei „stolz und freut sich mit Thomas Neuwirth über die große europäische Anerkennung“, so Spindelegger, der „Neuwirth und seiner Figur Conchita Wurst weiterhin viel Erfolg für seine künstlerische Laufbahn wünscht“.

„Queen of Austria“

„Der erste Platz für Österreich beim Eurovision Song Contest ist der große Sieg von Conchita Wurst, aber auch ein Sieg Europas in Toleranz und Respekt“, zeigte sich auch Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) überzeugt. Die „Ausnahmekünstlerin“ Conchita Wurst „hat mit einer Gänsehaut-Performance verdient gewonnen“, verlautete zudem von Staatssekretärin Sonja Steßl (SPÖ). „Österreich ist stolz und freut sich mit Thomas Neuwirth“, so ÖVP-Kultursprecherin Maria Fekter. Mit dem Sieg beim ESC habe Conchita Wurst ein Zeichen für Toleranz gesetzt, „die ‚Queen of Austria‘ ist eine Friedensbotschafterin und der Titel ihres Liedes ‚Rise Like a Phoenix‘ Programm“, so Fekter weiter.

Grünen-Chefin Eva Glawischnig lobte nicht nur die musikalischen Leistung und Performance, sondern auch den Mut von Wurst, einen anderen Lebensentwurf gewählt zu haben, „allen Anfeindungen zum Trotz“. BZÖ-Chef Gerald Grosz sprach von einem starken Zeichen der Toleranz, aber auch „Österreichs längst vergessenem Stellenwert beim Eurovision Song Contest“.

Nach Spott im Vorfeld gratulierte schließlich auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Conchita Wurst zu ihrem Sieg: "Bei aller Unterschiedlichkeit von Auffassungen, die Menschen im Hinblick auf ‚Kunstfiguren‘ wie Conchita Wurst durchaus berechtigt haben können: Ich gratuliere Tom Neuwirth alias Conchita Wurst zur künstlerischen Leistung und zum Sieg beim diesjährigen Song Contest“, so Strache via Facebook.

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