Österreich und Europa im Conchita-Taumel
Nach Österreichs erstem Sieg beim Eurovision Song Contest nach 48 Jahren überschlagen sich die Lobeshymnen für Conchita Wurst. Ungeachtet ob in der heimischen Politik, bei nationalen und internationalen Medien oder in Sozialen Netzwerken - der erste Platz für „Rise Like A Phoenix“ wird mit einem Sieg der Toleranz gleichgesetzt. Nicht gänzlich verstummt sind gleichzeitig aber auch die Kritiker.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Bundespräsident Heinz Fischer sprach etwa von einem Triumph, der weit über einen Festivalgewinn hinausgehe: „Ich gratuliere Conchita Wurst zum Sieg beim ESC. Das ist nicht nur ein Sieg für Österreich, sondern vor allem für Vielfalt und Toleranz in Europa. Dass sie ihren Sieg all jenen widmete, die an eine Zukunft in Frieden und Freiheit glauben, macht ihn doppelt wertvoll. Ein schöner Tag für Österreich!“
Von einem „eindrucksvollen Sieg“ sprach auch Kanzler Werner Faymann (SPÖ). Als „höchst erfreulich und ein großes Signal“ bezeichnete es Faymann, dass „sich die musikalische Leistung gegen Vorurteile und Intoleranz durchgesetzt habe“. Erfreut zeigte sich der Kanzler auch darüber, dass Österreich nun 2015 den Song Contest austragen wird: „Österreich ist international ja als Land der Musik bekannt. Mit dem Sieg beim Song Contest 2014 und der Austragung des Bewerbes 2015 werden wir diesem Image neuerlich gerecht.“
Auch Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) zeigte sich per Aussendung über den „beeindruckenden Sieg“ erfreut und sprach von „einer großen Ehre und Auszeichnung für Österreich“. Das ganze Land sei „stolz und freut sich mit Thomas Neuwirth über die große europäische Anerkennung“, so Spindelegger, der Neuwirth „und seiner Figur Conchita Wurst weiterhin viel Erfolg für seine künstlerische Laufbahn wünscht“.
„Queen of Austria“
„Der erste Platz für Österreich beim Eurovision Song Contest ist der große Sieg von Conchita Wurst, aber auch ein Sieg Europas in Toleranz und Respekt“, zeigte sich auch Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) überzeugt. Die „Ausnahmekünstlerin“ Conchita Wurst „hat mit einer Gänsehaut-Performance verdient gewonnen“, verlautete zudem von Staatssekretärin Sonja Steßl (SPÖ). „Ihr selbstbewusstes An- und Auftreten ist ein Signal, das man als Politikerin, die für Gleichberechtigung einsetzt, nicht genug wertschätzen kann“, so Steßl, der zufolge Conchita Wurst „für Toleranz und ein weltoffenes Österreich“ steht, weiter.
„Österreich ist stolz und freut sich mit Thomas Neuwirth“, betonte unterdessen ÖVP-Kultursprecherin Maria Fekter. „Österreich ist stolz auf diesen historischen Sieg, der uns die wunderbare Möglichkeit eröffnet, dass Österreich sich im nächsten Jahr der ganzen Welt als Ort der Kreativität, Freiheit und Freude präsentieren kann.“ Mit dem Sieg beim ESC habe Conchita Wurst ein Zeichen für Toleranz gesetzt, „die ‚Queen of Austria‘ ist eine Friedensbotschafterin und der Titel ihres Liedes ‚Rise Like a Phoenix‘ Programm“, so Fekter weiter.
„Europa im Wurst-Wahnsinn“
Nicht enden wollende Lobeshymnen für Conchita Wurst gibt es auch mit Blick in die nationalen und internationalen Medien. „Das scheinbar Undenkbare“ ist für den „Standard“ „wahr geworden“, „die Sensation – die sich in den vergangenen Tagen schon angekündigt hatte – ist perfekt“: „Alles Wurst“, so der „Kurier“, „Merci Conchy“, schreibt die "Presse, „Conchita, jetzt bist du unsterblich“, die Zeitung „Österreich“.
Laut der deutschen „Bild“-Zeitung stand Conchita Wurst, schon bevor der erste Song erklang, bereits als „Siegerin der Herzen" fest“ - mit dem Triumph befindet sich Europa nun aber endgültig „im Wurst-Wahnsinn“. Mit „jetzt hat alles einen Bart“ wurde vom „Spiegel“ auch auf die Wellen in den Sozialen Netzwerken verwiesen, die Conchita Wurst mit ihrem Sieg ausgelöst hat.
„Ohrfeige für alle Homophoben“
Unerwartetes Lob kam auch aus Russland, wo Conchita Wursts Song-Contest-Teilnahme anfangs auf scharfe Kritik gestoßen war. „Ob er einen Bart hat oder keinen Bart, ob er Mann ist oder Frau - das ist unwichtig, es ist ein Wettbewerb“, sagte „Pop-Papst“ Filipp Kirkorow am Sonntag im russischen Staatsfernsehen. Wursts Siegerlied sei sehr schön, so Kirkorow.
In der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ ist in diesem Zusammenhang von einer „Ohrfeige für alle Homophoben in Europa“ die Rede. „Sie ist nicht mehr eine bärtige Frau, sie wurde zur Königin Europas erhoben“, schreibt zudem „Ilta-Sanomat“ aus Finnland. Im schwedischen „Svenska Dagbladet“ wurde zudem daran erinnert, dass die Publikumsunterstützung für Conchita Wurst bereits im Semifinale „beispiellos“ gewesen sei: „Am Samstag fegte sie dann alle mit sich. (...) Ich glaube, ich habe noch nie einen vergleichbaren Applaus in der Geschichte des Song Contests gehört.“
Thema Nummer eins bei Facebook, Twitter und Co.
Nachdem der Song Contest bereits in den vergangenen Jahren in Sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Co. regelrecht zelebriert wurde, sprengt der Sieg von Conchita Wurst nun offenbar die bisherigen zum Thema bekannten Grenzen. Auf Facebook vereinte Conchita Wurst beispielsweise vor ihrem Sieg bereits beachtliche 90.000 Likes - am Sonntagnachmittag wurde schließlich die 270.000er-Grenze geknackt. Ähnlich das Bild auf Twitter, wo die Zahl der Followers von 9.000 auf über 56.000 anstieg. In Österreich drehen sich die 17 Topthemen, darunter #wurst, #conchita und #songcontest ausschließlich um Conchita Wurst - lediglich #muttertag bildet eine Ausnahme unter den Top 18.
Auch ehemalige Song-Contest-Teilnehmer deklarieren sich am Tag nach Conchita Wursts Sieg als Fans und teilen der bärtigen Diva über Soziale Medien ihre Glückwünsche mit. Darunter beispielsweise auch die deutsche Song-Contest-Gewinnerin 2010 Lena Meyer-Landrut mit „Herzlichen Glühstrumpf Conchita Wurst“ und Eric Papilaya (Österreichs Song-Contest-Vertreter 2007) mit: „Scheinbar interessiert sich sogar ganz Europa für österreichische Musik! Haha.“
Selbst der bisher als Kritiker von Conchita Wurst aufgetretene ehemalige Song-Contest-Teilnehmer Alf Poier findet sich nun in den Reihen der Gratulanten: „Gratuliere Conchita! - Auch wenn Dein Beitrag nicht nach meinem Geschmack war. - aber Platz eins für Österreich ist sensationell.“ Der bisher einzige und letzte Gewinner des Song Contests, Udo Jürgens, verzichtete unterdessen auf eine Nachricht in den Sozialen Netzwerken - Conchita Wurst sei aber ohne Frage eine würdige Nachfolgerin, wie der Sieger des Jahres 1966 via ORF mitteilen ließ.
„Europa steht für ‚Mädchen mit Bart‘“
Von den zunächst scharfen Kritikern gratulierte unterdessen auch FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache Conchita Wurst - wenn auch nicht ohne Seitenhieb - zu ihrem Auftritt: „Bei aller Unterschiedlichkeit von Auffassungen, die Menschen im Hinblick auf ‚Kunstfiguren‘ wie Conchita Wurst durchaus berechtigt haben können: Ich gratuliere Tom Neuwirth alias Conchita Wurst zur künstlerischen Leistung und zum Sieg beim diesjährigen Song Contest“, so Strache via Facebook.
Eine scharfe Attacke gegen Conchita Wurst und den Westen kam von Russlands Vizepremier Dimitri Rogosin. Das Ergebnis zeige „Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet - ein Mädchen mit Bart“, schrieb Vizeregierungschef Rogosin auf Twitter. Der nationalistische Abgeordnete Wladimir Schirinowski sagte Europa gar den Untergang voraus.
In der Türkei wurde der Erfolg von Conchita Wurst von der konservativen Presse schlichtweg ignoriert. CNN Türk, „Milliyet“ und sonstige liberale Medien schlossen sich unterdessen dem Jubel über den Sieg von Conchita Wurst an.
Links: