Nur wenige Überschneidungen
FPÖ und Grüne halten bisher jeweils zwei Mandate im EU-Parlament, nach der Wahl am 25. Mai wollen sie im Fall der Grünen zumindest ein weiteres, die Freiheitlichen legen sich die Latte noch höher. Am Sonntag präsentierten die Spitzenkandidaten der beiden Parteien, Harald Vilimsky (FPÖ) und Ulrike Lunacek (Grüne), ihre Vorstellungen davon, wie die Union in Zukunft aussehen soll und wie nicht.
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Relativ nahe kamen sich die Positionen in zwei aufeinanderfolgenden „Pressestunden“ beim Stichwort Einfluss von internationalen Großkonzernen und deren Lobbys auf die Politik der Union, speziell beim Dauerbrenner „saubere“ Lebensmittel ohne Gentechnik und dem Freihandelsabkommen mit den USA. Sowohl Lunacek als auch Vilimsky zeigten sich außerdem überzeugt, dass die Union strukturellen Reformbedarf habe. Die konkreten Vorstellungen gehen hier allerdings schon wieder auseinander.
Vilimsky gegen „Zentralisierungswahn“
Lunacek plädierte dafür, den Europäischen Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs, das mehrmals pro Jahr zusammentritt, in eine zweite Parlamentskammer umzuwandeln. Vilimskys Forderungen gehen deutlich weiter. Er forderte ein Europa aus souveränen freien Staaten, die dort kooperieren könnten, „wo es Sinn macht“. Derzeit herrschten „Regulierungswut“ und „Zentralisierungswahn“.

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Vilimsky will mehr Föderation statt „Zentralstaat“ Europa
Dass eine stärker föderativ ausgerichtete Struktur die Union etwa gegenüber den USA schwächen könnte, glaubt er nicht. Eine Föderation könne sich „sehr wohl auch durchsetzen“, derzeit aber gehe die Entwicklung „hin zum Zentralstaat“, den die Mehrheit der EU-Bürger in Wirklichkeit nicht wolle.
Lunacek: Erweiterung ja, aber nicht zwingend morgen
Lunacek sprach sich für eine Fortsetzung des Erweiterungsprozesses aus, wenngleich auch nicht zwingend „morgen“, wie sie mehrfach betonte. Ein Beitritt der westlichen Balkanstaaten sei „auf jeden Fall“ erwünscht, so die grüne Spitzenkandidatin. Sie verwies auf den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien als letzten bewaffneten Konflikt auf europäischem Boden. Das Friedensprojekt Europa werde „nicht vollständig“ sein, bis diese Länder in die Union integriert seien. Als Gradmesser der EU-Reife gebe es klare Kopenhagen-Kriterien (über Menschenrechte, Rechtsstaat, Marktwirtschaft etc.).
Beim Thema EU-Beitritt der Türkei hat sich bei den Grünen allerdings ein Sinneswandel vollzogen: Unter der derzeitigen Regierung mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an der Spitze sehe sie einen Beitritt in absehbarer Zeit nicht, sagte Lunacek. Der Beginn der Beitrittsgespräche habe Verbesserungen, etwa bei der Menschenrechtssituation in der Türkei gebracht, die nun wieder zunichtegemacht würden, wenn Erdogan Soziale Netzwerke blockieren und Wasserwerfer gegen Demonstranten auffahren lasse.
Lunacek wünscht sich bündnisfreie Ukraine
Ein aktuelles Thema, das sowohl in der „Pressestunde“ mit Lunacek als auch der darauffolgenden mit Vilimsky zur Sprache kam, war der Konflikt in der Ukraine. Beim FPÖ-Spitzenkandidaten war es sogar das (zeitlich) dominante Thema. Das am Sonntag stattfindende Referendum über eine Abspaltung von Teilen der Ukraine von Kiew habe „keine legale Basis“, sagte Lunacek.
Die EU habe die Krise „vor eine ganz schwierige Herausforderung“ gestellt. Die Ideallösung für das Land wäre eine bündnisfrei Rolle, kein NATO-Beitritt und eine Annäherung an Europa. Ein Beitritt der Ukraine zur EU sei allerdings „Zukunftsmusik“. Eine Lehre aus der Krise und den daraus resultierenden Differenzen mit Russland lautet für Lunacek: weg von Erdöl und Erdgas und hin zu erneuerbaren Energie. Russlands Präsident Wladimir Putin könne „Sonne und Wind nicht abschalten“. Europa den Gashahn zudrehen kann er allerdings.
Vilimsky weist Vorwurf der Parteilichkeit zurück
Vilimsky pochte darauf, dass die FPÖ in der Frage eine „neutrale“ Rolle einnehme und wies mehrfach zurück, dass seine Partei „russophil“ sei bzw. auf Moskaus Seite stehe. Der Konflikt in der Ukraine sei von außen „angeheizt“ gewesen, die reguläre Regierung sei „weggeputscht“ worden, Söldner mit automatischen Waffen seien im Einsatz, die USA wollten in der Ukraine „Weltpolizei spielen“. Die EU habe davor „die Augen zugemacht“. Dass „die Amerikaner die Guten und die Russen die Bösen“ seien, so einfach sei die Sache nicht, so Vilimsky. Die EU lasse sich „zum Helfershelfer“ der USA machen. Nun gehe es darum, „schleunigst“ für Frieden zu sorgen.
Umstrittenes Strasser-Plakat
Nicht nur Vilimsky, auch Lunacek geriet in der Pressestunde zumindest einmal in Verteidigungsposition: beim Thema Wahlplakate mit dem Porträt des - wegen Bestechlichkeit nicht rechtskräftig verurteilten - ehemaligen ÖVP-Delegationsleiters im Europäischen Parlament, Ernst Strasser. Lunacek wies den Vorwurf zurück, dass die Plakate die Position Strasser diskreditierten.

Die Grünen
Für das Plakat mit Strasser mussten die Grünen Kritik einstecken
„Es ist ganz klar, dass wir uns von Menschenhetze distanzieren.“ Es gehe darum, mit dem Plakat zu zeigen, dass „Menschen wichtiger“ seien als Lobbys. Strasser sei seinerzeit „zum Gesetzeskauf bereit“ gewesen. Lunacek wies auch zurück, dass es sich bei Strassers Konterfei um ein „Meuchelbild“ handle.
Krumme Gurken und illegale Tomaten
Lunacek stellte auch in Abrede, dass die Grünen in ihrem Wahlkampf mit typischen EU-Klischees bzw. Anti-EU-Stereotypen (Stichwort: Gurkenkrümmung) spielten, wo die eigentlich längst Geschichte seien. Auch hier gehe es um die Inhalte dahinter wie etwa die zuletzt vom EU-Parlament gebremste Saatgutverordnung. Großkonzerne wollten den Markt kontrollieren und ökologische Standards aushöhlen.
Die Grünen machten dagegen unter anderem mit dem Plakatsujet „Meine Tomate (bzw. Mein Paradeiser) darf nicht illegal werden“ mobil. Die strengen Lebensmittelstandards müssten erhalten bleiben, forderte auch Vilimsky. Beim Freihandelsabkommen mit den USA etwa müsste es „einen Stopp“ geben. „Auch das will ich nicht“, so der FPÖ-Spitzenkandidat.
Wahlziele abgesteckt
Die Wahlziele der beiden Spitzenkandidaten lauten grob mehr als beim letzten Mal bzw. bei der Nationalratswahl im letzten Jahr. Vilimsky gab die eher vagen Wahlziele „So stark wie möglich werden“ bzw. „Je mehr, desto besser“ aus. Dass sich die FPÖ von ihrem Ziel, stimmenstärkste Partei zu werden bereits verabschiedet habe, wollte er so nicht stehen lassen. Lunacek nannte als ihr „Hauptziel, mehr zu haben als bei der letzten Nationalratswahl“ (12,42 Prozent, Anm.), das „Traumziel“ wäre ein drittes Mandat. Sowohl FPÖ (Nationalratswahl 2013: 20,51 Prozent) als auch Grüne halten bisher zwei Mandate im EU-Parlament.
Kritik folgte postwendend
Kritik auf die Aussagen beider Spitzenkandidaten ließ nicht lange auf sich warten. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos nannte eine Stimme für die FPÖ „eine verlorene Stimme“, die fraktionslosen Freiheitlichen könnten auf europäischer Ebene nichts bewegen. ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel bezeichnete Vilimsky als „Politikrüpel, der jede Spur von Ahnung in der Politik vermissen lässt“. Die Grünen wiederum „verstecken sich hinter Gurken, Tomaten und völlig verfehlten Plakaten“, erklärte er. Der grüne EU-Kandidat Michel Reimon warf der FPÖ eine „rückwärtsgewandte, europafeindliche, ausgrenzende und rechtspopulistische Politik“ vor.
Für das BZÖ quittierte BZÖ-Chef Gerald Grosz den Auftritt beider mit den Worten „Gott sei Dank ist heute Muttertag“, denn nur so seien einem Großteil der Österreicher diese „erspart geblieben“. Europa-anders-Spitzenkandidat Martin Ehrenhauser schließlich warnte in einer Aussendung davor, dass die Europapolitik der FPÖ „das europäische Parlament schwächen und so die Bevölkerung Europas noch weiter gegenüber den Interessen von internationalen Konzernen und Banken entmachten“ würde.
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