Wenn das EU-Parlament Stärke zeigt
Die Beteiligung an der EU-Wahl könnte heuer so niedrig ausfallen wie noch nie, und das, obwohl das EU-Parlament mehr Macht als je zuvor in Händen hält - eine Macht, die von den Abgeordneten auch genutzt wird. Die Abstimmungen der vergangenen vier Jahre zeigen: Nicht nur einmal setzte sich das Parlament gegen Rat und Kommission - die beiden anderen großen Organe der EU - durch.
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Am 11. März dieses Jahres um die Mittagszeit stand fest: Die zuvor monatelang diskutierte Saatgutverordnung ist vom Tisch. Mehr als drei Viertel der EU-Parlamentarier hatten gegen den Vorschlag der EU-Kommission gestimmt und ihn damit zur Überarbeitung zurück an diese geschickt.
Nein zu Beschneidung der Netzneutralität
Einen knappen Monat später stand die neue Verordnung zum Telekombinnenmarkt zur Abstimmung. Die EU-Kommission schlug in ihrem Entwurf vor, spezielle Internetdienste im Netzverkehr zu bevorzugen, ihnen also mehr Bandbreite zur Verfügung zu stellen - ein Angriff auf die Netzneutralität, so Kritiker. Wiederum sagte die Mehrheit der Parlamentarier Nein und erteilte der Kommission eine Absage. Zu ungenau sei die Definition der spezialisierten Dienste und zu groß die Gefahr eines Zweiklasseninternets.
Mit den Abstimmungen im März und April untermauerte das Parlament einmal mehr seine Rolle in der Gesetzgebung der EU. Seit der Lissabon-Vertrag am 1. Dezember 2009 in Kraft trat, kann keine Richtlinie, Verordnung oder Entscheidung ohne die Zustimmung des Parlaments beschlossen werden. War das zuvor nur in ausgewählten Bereichen der Fall, ist das „ordentliche Gesetzgebungsverfahren“ nun in fast allen Bereichen der EU-Gesetzgebung anzuwenden. Ausnahmeregeln existieren noch im Bereich des Binnenmarkts und im Wettbewerbsrecht.
Parlamentsveto sticht EU-Kommission
Mehr als zwei Jahre verhandelte die Kommission im Auftrag der EU-Staaten mit zwölf weiteren Industrienationen über das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA). Mit diesem wollten die beteiligten Länder gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen auf internationaler Ebene straf- und zivilrechtlich vorgehen. Bereits während der Verhandlungen wurde in der Bevölkerung Kritik am Abkommen laut. Die Gegner fürchteten vor allem um Meinungsfreiheit und Datenschutz. Die Folge waren EU-weite Proteste. Vor diesem Hintergrund stimmte im Juli 2012 eine breite Mehrheit von 478 Abgeordneten gegen ACTA und kippte damit ein Abkommen, das bereits als fix beschlossen galt.
Freilich muss auch das Parlament damit rechnen, dass den eigenen Mehrheitspositionen nicht zwingend Erfolg beschienen ist. Im Oktober 2010 gab eine knappe Mehrheit der EU-Abgeordneten ihre Stimme für einen besseren Schutz von Schwangeren und Müttern ab. Konkret handelte es sich um einen Zusatzartikel, der eine Ausweitung der Mindestdauer des Mutterschutzes in allen EU-Ländern von 14 auf 20 Wochen vorschreiben sollte. Die Sozialminister der Mitgliedsstaaten weigerten sich allerdings, den Vorschlag im Rat auch nur zu diskutieren. Für den Zusatzartikel bedeutete das den politischen Tod.
Trilog: Mühsame Verhandlungsrunden
Zwischen solchen Extrementscheidungen liegt in vielen Fällen aber der Mittelweg der Verhandlung. Trilog nennt die EU das Vermittlungsverfahren, bei dem Kommission, Rat und Parlament versuchen, eine Kompromisslösung zu finden. Als etwa im Februar dieses Jahres die Parlamentarier einer CO2-Emissionssenkung bei Pkws zustimmten, waren dieser Entscheidung langwierige Verhandlungen zwischen den EU-Organen vorausgegangen.
Als sich der EU-Finanzministerrat im Dezember letzten Jahres auf einen Mechanismus zur Abwicklung maroder Banken einigte, machte Parlamentspräsident Martin Schulz bereits am nächsten Tag klar, dass das Parlament den ausgehandelten Kompromiss nicht mitträgt. Im folgenden Trilog reklamierten die Parlamentsunterhändler noch eine Reihe von Änderungen in den Gesetzesvorschlag. Mitte März kam dann - nach einer letzten Monstersitzung von 16 Stunden - eine Einigung zustande.
Kritik an Intransparenz
Das mühsame Ringen um Kompromisse ist aber nicht nur zeitaufwendig, es ruft mittlerweile auch Kritiker auf den Plan. Erst im April dieses Jahres monierte die Organisation Transparency International in einer Studie, dass ein Großteil der Entscheidungen zur Gesetzgebung in solchen Trilog-Sitzungen getroffen werden. Das legen bereits die Zahlen nahe: Insgesamt 1.549-mal trafen sich Vertreter von Kommission, Rat und Parlament in den vergangenen fünf Jahren zu Verhandlungen.
Trotz aller Intransparenz sind die Trilog-Verhandlungen auch ein Zeichen für den gestiegenen Einfluss des EU-Parlaments. Wo früher Kommission und Rat vieles untereinander ausmachen konnten, haben nun auch die Parlamentarier eine Stimme - eine Stimme, über die am 25. Mai jeder und jede Einzelne mitbestimmen kann.
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