Österreich für 42 Prozent NS-„Opfer“
29 Prozent sehnen sich nach einem autoritären Machthaber, über 30 Prozent sehen den Nationalsozialismus nicht ausschließlich negativ, und 42 Prozent betrachten Österreich als „erstes Opfer“ der Nazis. Ergebnisse wie diese haben bei der Präsentation der Studie „NS-Geschichtsbewusstsein und autoritäre Einstellungen in Österreich“ am Mittwoch aufhorchen lassen.
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Grundsätzlich bezeichnete eine große Mehrheit der Befragten (85 Prozent) die Demokratie als die „beste Regierungsform“. Geht es nach dem Historiker Oliver Rathkolb vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, handelt es beim Wunsch nach einem starken politischen Führer gleichzeitig aber durchaus um einen „signifikanten Trend“.
„Es fehlt eine klare Zukunftsvision“
Gründe dafür ortete Rathkolb in einer hohen Verunsicherung etwa aufgrund der schlechten Wirtschaftslage: „Die sozioökonomisch verursachte Apathie führt zu einer Führersehnsucht.“ Günther Ogris vom SORA-Institut, das im Auftrag des Österreichischen Zukunftsfonds die Befragung durchführte, sieht in diesem Zusammenhang die Politik gefordert und bemängelte das Fehlen einer „klaren Zukunftsvision“.
Als positive Erkenntnis der Studie wurde hervorgehoben, dass die Österreicher im Vergleich zu einer ähnlichen Erhebung im Jahr 2005 mittlerweile deutlich kritischer gegenüber der Nazi-Zeit eingestellt seien. Von den 1.015 Anfang des Jahres repräsentativ befragten Österreichern sieht rund die Hälfte im NS-Regime „nur“ bzw. „großteils Schlechtes“. Vor neun Jahren lag dieser Anteil noch bei lediglich 20 Prozent. Gleichzeitig vertreten 36 Prozent der Befragten die Meinung, der Nationalsozialismus habe „sowohl Gutes als auch Schlechtes“ gebracht. Drei Prozent sehen „großteils“ positive Auswirkungen.
Unterschätzte Bedeutung von Perspektivlosigkeit
Nach wie vor finden 42 Prozent der Österreicher die Formulierung richtig, dass Österreich das „erste Opfer“ des Nationalsozialismus gewesen sei. Signifikante Unterschiede bei der Beantwortung ortet Martina Zandonella von SORA hier im jeweiligen Bildungsgrad der Befragten.
Österreicher mit höherem Schulabschluss seien dem Nationalsozialismus gegenüber deutlich negativer eingestellt als jene mit geringerer formaler Bildung. Ebenso verhalte es sich mit der jeweiligen „Verunsicherung“ der Befragten: Diese hätten etwa eine größere Sehnsucht nach autoritären Systemen und seien den Angaben zufolge politisch eher der FPÖ zugeneigt.
Rathkolb gab hier zu bedenken, dass die Bedeutung von Perspektivlosigkeit in der Forschung zur demokratischen Kultur weitgehend unterschätzt werde. Der genannte Hintergrund: Steigt die politische Gleichgültigkeit, steigt die Gefahr einer Rückkehr autoritär-antidemokratischer Einstellungen.
Zunehmende „Historisierung“
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Trotz zunehmenden Geschichtsbewusstseins sehnen sich mehr Österreicher nach einem Ende der Debatte über Nationalsozialismus und Holocaust. Insgesamt stimmten 56 Prozent dieser Forderung zu. In der Gruppe der „Verunsicherten“ waren das knapp zwei Drittel. Die Studienautoren sehen in diesem Vorgang vor allem eine „Historisierung“ des Themas, die Erinnerungskultur sei vor allem der jüngeren Generation ein abnehmendes Anliegen.
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