Immer wieder Appelle an die EU
Nachdem Italiens Marine und Küstenwache zu Monatsbeginn innerhalb von zwei Tagen mehr als 2.000 Flüchtlinge nach Sizilien gebracht haben, wächst der Protest auf der Insel, auf der die Flüchtlingslager chronisch überlastet sind. Hunderte Flüchtlinge sind Minderjährige ohne Begleitung.
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Unter der sizilianischen Bevölkerung nimmt das Unbehagen wegen des Flüchtlingsstroms zu. Der Verband der italienischen Gemeinden (ANCI) klagte über „riesige Probleme“ im Zusammenhang mit der Flüchtlingswelle und forderte den Einsatz des Innenministeriums. Besorgt zeigte sich auch Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando. „Palermo ist eine Stadt, die offen und hilfsbereit ist. Europa sollte jedoch auch seinen Beitrag leisten“, protestierte Orlando.
„Biblische Auswanderungswelle“
Nach ihrem Eintreffen auf Sizilien wandern die Migranten durch Städte und Dörfer, in denen sie aufgenommen wurden. Sie suchen nach Möglichkeiten, um die Insel zu verlassen. Die meisten von ihnen wollen Angehörige in Norditalien, Deutschland oder Frankreich erreichen. Einige Auswanderer berichteten, aus Libyen abgefahren zu sein und Schlepperbanden bis zu 1.000 Euro pro Kopf für die Überfahrt nach Sizilien gezahlt zu haben.

APA/AP/Alessandro Fucarini
Aufnahmesystem steht laut italienischem Innenministerium „vor dem Kollaps“
Die sizilianischen Behörden helfen, wo sie nur können, befürchten jedoch zugleich Auswirkungen der Migrantenwelle auf die öffentliche Gesundheit. Bei einigen Flüchtlingen wurde Krätze diagnostiziert, berichteten italienische Medien. Um die öffentliche Sicherheit bangen vor allem die Bewohner Agrigents. Hunderte Auswanderer halten sich auf den Straßen der Innenstadt auf, schlafen auf Bänken und suchen Wege, Sizilien zu verlassen.
„Wir können diese biblische Auswanderungswelle nicht allein meistern. Die Migrantenankünfte mehren sich von Tag zu Tag. Wir brauchen Unterstützung von den Institutionen“, bat der Bürgermeister der an Agrigent grenzenden Hafenstadt Porto Empedocle, Calogero Firetto, die Regierung in Rom und die EU um Hilfe.
Rom warnt vor 800.000 Migranten
22.000 Migranten hätten seit Jahresbeginn die italienischen Küsten erreicht, teilte das Innenministerium mit. Das seien zehnmal mehr als im Vergleichszeitraum 2013. „Laut unseren Informationen warten bis zu 800.000 Menschen in Nordafrika auf die Gelegenheit, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen“, warnte der Generaldirektor für den Grenzschutz, Giovanni Pinto, am Dienstag in einer Ansprache vor dem Senat in Rom.

Reuters/Antonio Parrinello
Flüchtlinge im Hafen von Palermo
„Das Aufnahmesystem für Migranten steht vor dem Kollaps. Wir wissen nicht mehr, wo wir die Flüchtlinge unterbringen sollen“, so Pinto, „die Lokalbevölkerung ist wegen der Massenankünfte verärgert.“ Die Regierung arbeite an einem Sonderplan für die Aufnahme von 50.000 Migranten, sagte Pinto. Besonders kritisch sei die Lage in Libyen, wo Hunderttausende Menschen auf die Abfahrt nach Europa warten. „In Libyen gibt es keine Regierung, keinen Premier, keine Minister, sondern nur zwei Clans, die das Gebiet kontrollieren. Wir können mit keiner Regierung verhandeln, uns fehlt der Gesprächspartner“, klagte Pinto.
Mehr Hilfe für „Mare Nostrum“ gefordert
Eine Flotte aus vier Schiffen der italienischen Marine patrouilliert zur Rettung der Flüchtlinge täglich das Mittelmeer vor Sizilien. Flüchtlinge, die an Bord der Schiffe gelangen, werden fotografiert, identifiziert und medizinischen Kontrollen unterzogen. Die Mission „Mare Nostrum“ hatte im Oktober nach zwei Schiffsunglücken vor Lampedusa mit mehr als 360 Toten begonnen. Der Einsatz koste den italienischen Staat 9,5 Millionen Euro pro Monat, sagte Pinto. Daneben habe Italien seit Jahresbeginn bereits 1,27 Millionen Euro für 31 Charterflüge ausgegeben, mit denen Migranten in ihre Heimat zurückgeflogen worden seien.
Die Marine forderte zusätzliche Finanzierungen für Treibstoff, die Erneuerung der Flotte und Ersatzteile für die Schiffe. Populistische Parteien sprachen sich dagegen für ein Ende der Mission „Mare Nostrum“ aus. Die Rettungsaktion würde noch mehr den Menschenhandel über das Mittelmeer fördern, behauptete unter anderem der Lega-Nord-Chef Matteo Salvini.
Italien drängt die EU seit Monaten auf mehr Hilfe im Umgang mit dem Flüchtlingsproblem. Die Migration über das Mittelmeer ist ein Massenphänomen, um das sich auch die EU kümmern müsste", sagte der Admiral der italienischen Marine, Giuseppe De Giorgi. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) rief die EU dazu auf, Italien mehr zu helfen. Dabei gehe es um die Schaffung von Auffanglagern und die Suche nach dauerhaften Lösungen für Asylwerber, die vor Krieg und Verfolgung geflohen seien, sagte UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming.
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