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Kein Spielraum für das Friedenslager

Entschlossenes Handeln ist gefordert in den Stunden und Tagen nach dem Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914. Wenn Untersuchungsrichter Leo Pfeffer die serbischen Hintermänner des Attentates auf Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie Chotek benennen soll, dann steht für ein paar hohe Politiker und Beamte im Reich die Antwort ohnedies schon fest. Ein Grund für einen Krieg gegen Serbien soll gefunden werden. Dass der Ermittler im Lager der Friedensbefürworter steht, sorgt von Anfang an für Grundspannungen.

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Wenn Regisseur Andreas Prochaska für seinen Film „Das Attentat - Sarajevo 1914“ noch einmal die historischen Ereignisse in den Blick nimmt, dann ist ihm nicht ein Melodram mit historistischen Elementen ein Anliegen. Eine Geschichte, deren Ausgang man zu kennen meint, zwingt in gewisser Weise zur Reperspektivierung. Und hier ist es die Situation des Ermittlers zum Attentat, der eine Annäherung an die Geschichte für das Publikum auf Augenhöhe eines Involvierten ermöglicht. Mehr noch: Indem die Fragen dieses Profilers im Zentrum der Materialordnung stehen, rücken die Abläufe vom 28. Juni ins Thriller-Format.

Szene aus dem Film "Das Attentat - Sarajevo 1914"

ORF

Der ermordete Thronfolger: Für viele im obersten Politzirkel sind die Antworten schon vor den Ermittlungen ganz klar

Ein Diener in Gewissensnöten

Florian Teichmeister spielt Leo Pfeffer, dessen Arbeit an den Hintergründen des ersten Attentats auf den Konvoi des Thronfolgers von den fatalen Schüssen Gavrilo Princips unterbrochen werden. Der Beamte in der Gestalt des Profilers, der Diener des Staates, der zum Gehorsam verpflichtet in das Konfliktfeld unterschiedlicher Politkoalitionen steigt, bildet das Moment für ein schrittweises Entrollen möglicher Zusammenhänge zum Attentat.

Pfeffer ist eine historische Gestalt. Allerdings eine, die eigentlich nur als Chiffre unter den Verhörprotokollen bekannt ist. Für den Film wurde das zur Chance, konnten doch Drehbuchautor Martin Ambrosch und Regisseur Prochaska die Figur mit einer interessanten Biografie aufladen. „Es ist schon etwas anderes, etwas rein Fiktionales zu machen, als zu versuchen, sich einem historischen Ereignis dieser Größenordnung anzunähern“, beschrieb Prochaska im Vorfeld die Ausgangslage: „Ich empfinde das als große Verantwortung, versuche aber gleichzeitig, mich davon auch nicht erschlagen zu lassen.“

Szene aus dem Film "Das Attentat - Sarajevo 1914"

ORF

Florian Teichmeister alias Leo Pfeffer und die mühsame Suche nach den wahren Hintermännern des Attentats von Sarajevo

„Wo es einem gut geht, da ist das Vaterland“

Josefstadt-Schauspieler Teichtmeister hat mit Pfeffer einen Staatsdiener zu interpretieren, der nicht nur wegen seiner ungarisch-kroatischen Wurzeln unter besonderem Anpassungsdruck steht. Seine jüdischen Wurzeln habe Pfeffer mit einem evangelischen Glaubensbekenntnis zu tarnen gesucht, wird ihm sein deutscher „Freund“, der Arzt Herbert Sattler, sarkastisch vorwerfen.

„Wo es einem gut geht, da ist das Vaterland“, wird er zu Beginn im Rahmen eines Vernehmungsgesprächs sagen. Noch will der Friedensbefürworter „dienen“, während er viele rund um sich trifft, die dem Aufstand zugeneigt sind - und andere, die den Krieg wollen. Schon die Herkunft dieses Profilers macht die Brüchigkeit aller Identitäten im untergehenden Habsburger-Reich deutlich.

Da steht jemand mit jüdischen Wurzeln im gleichen Lager wie der ermordete Thronfolger, der in der Verteidigung des Katholizismus auch aus seinem Antisemitismus kein Hehl machte.

Szene aus dem Film "Das Attentat - Sarajevo 1914"

ORF

Attentat im Rückblick und in der Zeitlupe der Verhörerzählung: Gavrilo Princip (Eugen Knecht)

Ein Ermittler unter Druck

Der Druck, dem Pfeffer aus Wien und Berlin ausgesetzt wird, ist gewaltig, wie sich im Zuge seiner Ermittlungen zeigt. Viele, bis hinein ins persönliche Umfeld Pfeffers, wollen Krieg. Schritt für Schritt verdichtet sich die historische Perspektive auf die Vorgänge mit dem Vorangehen der Ermittlungen Pfeffers. Doch Pfeffer entdeckt immer mehr Ungereimtheiten, etwa, dass die serbischen Hintermänner tatkräftig unterstützt wurden.

Während die Kriegsvorbereitungen laufen, Verhörmethoden installiert werden, die durchaus auch an Folterdebatten der Gegenwart erinnern dürfen, kämpft Pfeffer darum, die wahren Hintergründe des Attentats herauszufinden. Dass er von Anfang an in eine Serbin aus wohlhabendem Haus verliebt ist, die noch dazu politisch tief im Geschehen mitmischt, wird zur offenen Flanke in den Recherchen Pfeffers.

Schritt für Schritt muss Pfeffer entdecken, wie auch vermeintliche Freunde, etwa der Arzt Sattler, Teil einer politische Intrige sind. An einer „objektiven“ Aufklärung scheint kaum jemand interessiert. Und immer mehr wird deutlich, wie sehr der Thronfolger in Sarajevo an dem für Serbien symbolträchtigen Veitstag ins offene Messer gelaufen ist.

Erzählte Geschichte

Geschickt präpariert der Film Schlüsselmomente der Geschichte heraus und verlangsamt diese bewusst, etwa wenn Princip den Ablauf des Attentats schildert - und das Geschehen quasi in Zeitlupe rückabgewickelt wird.

Eine stark charakterbezogene Geschichte war redaktioneller Ausgangspunkt für das aufwendige Projekt, für das ORF und ZDF miteinander kooperierten. Manchmal entwickelt die Fiktion die bessere Verdichtung der Ereignisse als die historische „Wahrheit“, so die Überlegung, mit der man sich an ein Motto von Doris Lessing anzulehnen versucht.

„Das Spannungsverhältnis zwischen der Kriegslust und der Angst davor, vorschnell ein Urteil zu fällen und eine Anklage zu unterschreiben und damit einen Prozess in Gang zu setzen, der vielleicht nicht zu hundert Prozent auf sicheren Beinen steht - genau dazwischen ist die Figur zu Hause“, schildert Teichtmeister die Herausforderung für seine gelungene Interpretation Pfeffers, wie ihn Milo Dor in seinem Roman „Die Schüsse von Sarajevo“ (1982) entworfen hatte.

Szene aus dem Film "Das Attentat - Sarajevo 1914"

ORF

Unmögliche Liebe? Leo Pfeffer und die reiche Serbin Marija Jeftanovic (Melika Foroutan)

Liebesgeschichte und Gesellschaftskritik

Die Liebesgeschichte zwischen Pfeffer und der reichen Serbin Marija Jeftanovic (Melika Foroutan), die als Suffragette eine Politagenda vertritt, die bei weitem den Denkraum eines k. u. k. Staatsdieners sprengt, spannt auch den gesellschaftspolitischen Bezug der historischen Vorgänge aus.

Mit Franz Ferdinand stirbt in Sarajevo das Friedenslager. Mit ihm begraben werden aber auch die letzten Träume im Lager jener, die glauben, eine Monarchie unter Ausschluss des allgemeinen Wahlrechts für Männer und Frauen könnte den Aufbruch in die Moderne garantieren. Wenige Jahre nach Sarajevo und einem großen Krieg werden sich die Zeiten endgültig geändert haben. Doch davon kann auch Pfeffer nur eine leise Vorahnung haben.

Gerald Heidegger, ORF.at

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