Mehrfachstrategie des Milliardärs
Es war womöglich ein historischer Auftritt von Rinat Achmetow in der Nacht auf Montag in seiner Heimatstadt Donezk: Überraschend tauchte der öffentlichkeitsscheue Milliardär bei der von prorussischen Aktivisten besetzten Lokalverwaltung auf und bot sich als Vermittler an.
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Kiew müsse die Region Donezk anhören, so Achmetow, übertragen wurde live im Internet: „Blutvergießen nützt niemandem.“ Anschließend wollte der Geschäftsmann mit einigen Besetzern zum amtierenden Vizepremierminister Witali Jarema aufbrechen. Der ehemalige Polizei-Generalmajor Jarema koordiniert seit Sonntag das Vorgehen ukrainischer Sicherheitskräfte in der Donbass-Metropole.
Aktion nach scharfer Kritik
Achmetows nächtlicher Mission war heftige Kritik an seiner Person vorangegangen. Der wohl einflussreichste Geschäftsmann der Ukraine, dessen Vermögen von Bloomberg 2013 auf 22 Milliarden Dollar (16,03 Mrd. Euro) geschätzt wurde und der eigenen Angaben zufolge 300.000 Menschen beschäftigt, hätte prorussische Abspaltungstendenzen in seiner Heimatstadt sofort und ohne Probleme beenden können, warfen ihm Kiewer Journalisten vor. Doch er habe sich wochenlang passiv verhalten und womöglich auch separatistische Aktivitäten verdeckt unterstützt. Insbesondere für Letzteres wurden freilich keine Beweise vorgelegt.
„Gemeinsam mit seinen Komplizen aus der Partei der Regionen begünstigt Achmetow einen Zerfall der Ukraine. Er arbeitet damit für Putin“, sagte etwa die Journalistin und Maidan-Aktivistin Bogdana Babitsch - sie leitet Spilno.tv, einen Internetfernsehsender. Achmetows besonderer Zynismus bestehe darin, so Babitsch zur APA, dass er einerseits Gelder für Opfer des Maidan zur Verfügung stelle, andererseits jedoch im Osten des Landes einen Krieg inszeniere, um seine russischen Firmenbeteiligungen zu retten.
Geheimes Treffen mit Putin?
Der einflussreiche Vizechefredakteur der Onlinezeitung Ukrainska Prawda, Sergej Leschtschenko, behauptete mit Verweis auf eine anonyme Quelle, dass sich Achmetow im März oder April 2014 geheim mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen habe. „So wie ich das verstehe - das Resultat davon sehen wir heute auf den Straßen von Donezk“, schrieb Leschtschenko am Sonntag.
Kurz zuvor war die Lokalverwaltung von gut organisierten prorussischen Aktivisten gestürmt worden. Diese riefen am Montag eine „Volksrepublik Donezk“ aus und ersuchten Putin, zu friedensstiftenden Zwecken russische Truppen in der Region einmarschieren zu lassen.
Auf Distanz zu Besetzern
Achmetow selbst ließ das von Leschtschenko kolportierte Treffen mit Putin dementieren: Zuletzt habe sich Achmetow, so erklärte seine Pressesprecherin Jelena Dowschenko auf APA-Anfrage, nicht mit Putin getroffen. Für den Geschäftsmann, so Dowschenko, sei und bleibe das Donbass-Gebiet ein Bestandteil der Ukraine. Und mit all jenen, die Gesetze verletzten, Verwaltungsgebäude besetzten und eine Teilung des Landes forderten, wolle er auch nichts gemein haben.
Beobachter in Donezk selbst sahen Achmetows politische Performance der vergangenen Wochen differenzierter als ihre Kollegen in Kiew. „Er legt einfach Eier in unterschiedliche Körbe“, meinte Igor Todorow, Professor am Institut für Internationale Beziehungen der Donezker Nationalen Universität. Das habe Achmetow immer so gemacht.
Großmeister der Doppelstrategie
In der Tat galt und gilt der Oligarch, dessen kometenhafter Aufstieg Mitte der 90er Jahre mit seiner Übernahme des Fußballclubs Schachtjor Donezk begonnen hatte, als Großmeister politischer Doppel- und Mehrfachstrategien. Nachdem er jahrelang eine der zentralen Säulen des Regimes von Viktor Janukowitsch gewesen war und maßgeblichen Einfluss auf die regierende und äußerst donezklastige Partei der Regionen hatte, wechselte er im Februar rechtzeitig die Fronten.
Insbesondere ihm ist daher jene neue Mehrheit in der Werchowna Rada zu verdanken, die einen parlamentarisch legitimierten Umbruch in Kiew möglich machte. Achmetow, der zuvor noch als heißer Kandidat für internationale Sanktionen gegolten hatte, überstand den Machtwechsel ohne Dellen.
Zahlreiche Spekulationen
Aber selbst während er offiziell noch Janukowitsch unterstützte, soll sich Achmetow bereits für die Zeit danach abgesichert haben: Ultras in der gesamten Ukraine, auch im eher russischsprachigen Osten und auch auf der Krim, hatten sich Ende Jänner 2014 auf die Seite des „Euromaidan“ gestellt. Diese radikalen Fussballfans hatten insbesondere auch Demonstrationen gegen Präsident Janukowitsch vor gewaltsamen Übergriffen durch den „Antimaidan“ geschützt. Hinter dem koordinierten Vorgehen der Ultras wird Achmetow vermutet - die proeuropäische Initiative der Fußballfans hatte bei Schachjor Donezk seinen Ausgangspunkt genommen.
Dass der gewitzte Stratege im großen politischen Spiel bleibt, steht indes außer Zweifel. Die Entscheidung der Partei der Regionen, nicht den zugkräftigeren Sergej Tigipko, sondern den völlig chancenlosen Ex-Gouverneur von Charkiw, Michail Dobkin, bei der Präsidentschaftswahl antreten zu lassen, wird insbesondere Achmetow zugeschrieben. Laut unbestätigten Spekulationen passiere das in Absprache mit Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko, die für einen etwaigen zweiten Wahlgang Unterstützer und Wählerstimmen suche.
Kooperation mit Kreml?
Eine dem widersprechende, aber ebenso unbewiesene These, die am Dienstag von Gazeta.ua zitiert wurde, besagt, dass Achmetow im Kreml-Auftrag mit der Unterstützung separatistischer Aktionen helfen soll, die für 25. Mai festgesetzte Präsidentschaftswahl zu verschieben: Denn mit einem späteren Wahltermin könne sich Timoschenko eine bessere Ausgangsposition und größere Chancen auf einen Sieg gegen den Süßwarenfabrikanten Pjotr Poroschenko verschaffen. Fest steht, dass Timoschenko am Montag in Donezk weilte. Von einem Treffen mit dem Multimilliardär war zunächst nichts bekannt. Ob und welche Konsequenzen Achmetows nächtlicher Auftritt für die politische Lage in seiner Heimatstadt hat, wird sich in den nächsten Tagen zeigen.
Herwig G. Höller, APA
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