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Mitschnitte als Fallstricke

Die türkische Regierung kommt nicht aus der Bredouille: Seit Mitte Februar sind laufend Telefonmitschnitte von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan mit Medien- und Wirtschaftsbossen sowie Familienangehörigen auf der Videoplattform YouTube in Umlauf gebracht worden. Schon in der Vergangenheit dienten Telefonmitschnitte und Sexvideos als Fallstricke, in denen sich Politiker in der Türkei verfingen.

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Die „Whistleblower“-Aktivitäten stellen Erdogan ins Zentrum von Korruptionsvorwürfen im großen Stil. Die Aufnahmen stammen aus zum Teil mit verschlüsselten Mobiltelefonen geführten Gesprächen des Regierungschefs. Immer wieder fällt der Verdacht auf das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen. Er soll der Drahtzieher des brisanten Materials sein. Gülen selbst weist jeden Zusammenhang mit den veröffentlichten geleakten Mitschnitten zurück.

Razzia als Auftakt für Skandal

Am 17. Dezember 2013 läutete eine Großrazzia den größten Korruptionsskandal in der Geschichte der seit über einem Jahrzehnt an der Macht befindlichen AKP ein. Der Skandal umfasste vier Minister und den Regierungschef sowie deren Familien und das wirtschaftliche Umfeld der Partei.

Die Regierung wurde von der Opposition beschuldigt, die Untersuchungen zu verschleppen und belastende Beweise zu vernichten. Alle Hauptverdächtigen in dem Skandal befinden sich, teils mit Auflagen, wieder auf freiem Fuß. Durch die seit Wochen anhaltende Veröffentlichungswelle von geheimen Mitschnitten geraten Erdogan und seine Partei in Erklärungsnöte.

Audio über Militäreinsatz in Syrien

Ein am Donnerstag auf der Videoplattform YouTube hochgeladenes Audiodokument hat die AKP bis ins Mark getroffen. Bei dem neuen Material handelt es sich um angebliche Mitschnitte über Beratungen über Wege zu einem Militäreinsatz in Syrien. In der Aufnahme beraten mehrere Männer - mutmaßlich der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu und Vertreter von Geheimdienst und Militär - über einen Militäreinsatz in Syrien und ob dafür notfalls ein rechtfertigender Grund geschaffen werden könnte.

Davutoglu nannte die Veröffentlichung eine „Kriegserklärung an die Türkische Republik“. Die Täter würden mit den härtesten Strafen belegt, sollten sie gefasst werden. Die türkische Medienaufsicht verhängte eine Nachrichtensperre für die Ausstrahlung des Gesprächs. Die Videoplattform wurde kurz darauf in der Türkei blockiert, wie zuvor bereits Twitter.

Sexvideos als Stolpersteine

Nur zwei Tage zuvor war ein Video auf YouTube erschienen, das Erdogan als Auftraggeber eines Sexvideos von Deniz Baykal, dem damaligen Chef der kemalistischen Oppositionspartei CHP, nahelegt. In den heimlich mitgeschnittenen Gesprächen aus dem Jahr 2010 soll Erdogan dessen Veröffentlichung veranlasst haben. Baykal musste seinen Posten räumen, bis heute sind die Nachforschungen über die Hintermänner bzw. Urheber des Videos im Sand verlaufen.

Im Mai 2011, wieder kurz vor einem Wahlgang, brachte ein heimlich aufgezeichneter Softporno mehrere hochrangige Mitglieder der Nationalistenpartei MHP in schwere Erklärungsnöte. Die Partei hatte Mühe, bei dem einen Monat später folgenden Urnengang, im Parlament ihren Stimmenanteil zu halten.

Nun AKP im Visier

Beide Skandale nützten der islamisch-konservativen Partei AKP. Der Chef der rechtsnationalen MHP, Devlet Bahceli, beschuldigte die religiöse Bewegung des islamischen Predigers Gülen, hinter den pikanten Aufnahmen seiner Parteimitglieder zu stehen. Er ließ es aber an Beweisen fehlen.

Bereits in der Vergangenheit haben Videos und Telefonmitschnitte politische Gegner aus dem Rennen geworfen. Immer wieder taucht die Gülen-Bewegung in Anklagen und Mutmaßungen auf. Diesmal sind die AKP und ihr Regierungschef auf der Abschussliste.

Gerüchte über Porno mit Erdogan

So kursierte tagelang das Gerücht über ein Pornovideo von Defne Samyeli, der ehemaligen Miss Turkey, in dem auch ein hochrangiges Regierungsmitglied, vielleicht sogar Erdogan selbst zu sehen sein soll. Von einer Veröffentlichung vor der Wahl war die Rede, manche vermuteten sogar, die Sperre von Twitter und YouTube sei aus Angst vor einer Veröffentlichung des Bandes verhängt worden.

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