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Lästern über „Helium-Stimme“

Nach einem von Korruptionsvorwürfen und Internetsperren belasteten Wahlkampf entscheiden die türkischen Wähler am Sonntag über ihre Unterstützung für Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Im Endspurt musste dieser nun durch den Verlust seiner Stimme kürzer treten und erntete dafür viel Spott.

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Erdogan ist seit Wochen auf Wahlkampftour und verlor nun im Finale zur Kommunalwahl seine Stimme. Deswegen habe er Freitag zwei Wahlkampfauftritte in den anatolischen Provinzen Konya und Kayseri absagen müssen, berichtete der Sender CNN Türk. Mit einer unerwartet hohen Stimme hatte Erdogan am Vortag Anhänger und Fernsehzuschauer bei einem Auftritt im osttürkischen Van überrascht. Erdogan will sich für seine am Samstag geplanten Auftritte in der größten türkischen Stadt Istanbul schonen, wo er zwischen 1994 und 1998 Bürgermeister war.

„Teletubby“ mit Helium-Stimme

Für seinen Auftritt in Van erntete Erdogan Spott und Häme im Internet: Internetuser machten sich über seine „Helium-Stimme“ lustig, vor allem via Twitter. „Teletubby“ wird er etwa in einem Tweet genannt. Ein anderer Twitter-User fragt sich, ob Erdogan den Twitter-Vogel in sich gefangen hält. Wiederum andere, berichtet die BBC, lobten die Zuseher beim Auftritt des Premiers in Van. „Die Menschen in Van verdienen außerordentliches Lob dafür, dass sie sich zusammenhalten konnten und nicht in Gelächter ausbrachen“, heißt es in einem Tweet.

Der Parteichef der islamisch-konservativen AKP musste in seinem Land und auch international massive Kritik für die verhängten Blockaden gegen Twitter und YouTube einstecken. Die Kommunalwahl in den 81 Provinzen haben sowohl Erdogan als auch die Oppositionsparteien zur Entscheidung über den künftigen Kurs im Land erklärt. Mehr als bei anderen Kommunalwahlen in der Türkei steht deshalb bei dem Urnengang die nationale Politik im Vordergrund.

Vertrauensabstimmung über Erdogan

Für Erdogan ist die Wahl am Sonntag, zu der mehr als 52 Millionen Menschen aufgerufen sind, eine Vertrauensabstimmung. Bei der letzten Kommunalwahl 2009 hatte Erdogans islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) mit 38,8 Prozent im Landesdurchschnitt alle anderen Parteien hinter sich gelassen. Wichtige Städte wie Istanbul und Ankara blieben in der Hand der AKP, die säkularistische Republikanische Volkspartei (CHP) landete mit 23,1 Prozent weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz.

Auch diesmal wird sich die AKP wohl als stärkste Partei behaupten. Umfragen sehen sie zwischen 35 und 45 Prozent. Der Ministerpräsident selbst hat die Losung ausgegeben, alles über 38,8 Prozent sei diesmal ein Erfolg. Manche Umfragen erwarten einen Absturz der AKP auf weit unterhalb dieser Marke.

Stimmungstest für Präsidentenwahl

Die Wahl ist als Stimmungsbarometer nicht nur deshalb wichtig, weil sie der erste Test seit den Gezi-Demonstrationen des vergangenen Sommers und den Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung vom Dezember ist. Das Wahlergebnis wird auch mitentscheidend für die Frage sein, ob sich der 60-jährige Erdogan im August um das Präsidentenamt bewirbt.

Entsprechend hitzig verlief der Wahlkampf. Seit Istanbuler Staatsanwälte Mitte Dezember mehrere Verdächtige aus dem Umfeld der Regierung unter Korruptionsverdacht festnehmen ließen, hagelt es Enthüllungen über angebliche Verfehlungen von Erdogan und seinen Getreuen. Von Bestechung, Vorteilsnahme sowie Druck auf Gerichte und Medien ist die Rede.

Premier lässt Kritik abprallen

Erdogan reagierte auf die Korruptionsvorwürfe, indem er seinem früheren Verbündeten, dem islamischen Prediger Fethullah Gülen, der sich mit dem Ministerpräsidenten überworfen hat, eine Verschwörung vorwarf. Die Regierung ließ Tausende Polizisten, Richter und Staatsanwälte austauschen, weil sie Gülen-Anhänger seien. Zudem wurde der Zugang zum Kurznachrichtendienst Twitter gesperrt, über den viele Korruptionsvorwürfe publik wurden.

Internationale Kritik wischte Erdogan beiseite. Allerdings musste er hinnehmen, dass das Verwaltungsgericht in Ankara am Mittwoch die Aufhebung des umstrittenen Verbots anordnete. Erdogan legte jedoch eins nach und ordnete die Blockade von YouTube an. Hintergrund sind erneut veröffentlichte Mitschnitte. Dabei ging es nun aber um angebliche Pläne der Regierung, über eine gezielte Provokation ein militärisches Eingreifen in Syrien zu rechtfertigen.

Neue Aufnahme erbost Führung

In der Aufnahme beraten mehrere Männer - darunter auch Außenminister Ahmet Davutoglu sowie Vertreter von Geheimdienst und Militär - über einen Militäreinsatz in Syrien und darüber, ob ein rechtfertigender Grund dafür notfalls geschaffen werden könnte. Die türkische Staatsführung reagierte scharf auf die Veröffentlichung der Aufnahme: Präsident Abdullah Gül sagte am Freitag, es handele sich um Spionage, die die Sicherheit des Staates gefährde. Den Tätern drohten härteste Strafen.

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