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„Mit Gedanken und Seele bei Ukrainern“

Nach dem Referendum über die Angliederung der Krim an Russland hat der entmachtete ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch zu Volksabstimmungen in allen ukrainischen Regionen aufgerufen. „Als Präsident rufe ich jeden vernünftigen ukrainischen Bürger auf: Lassen Sie sich von den Betrügern nicht benutzen! Fordern Sie ein Referendum über den Status jeder Region in der Ukraine!“, zitierte die russische Nachrichtenagentur ITAR-TASS Janukowitsch am Freitag.

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Janukowitsch betonte, eine vorgezogene Präsidentenwahl könnte die Situation nicht stabilisieren und die Einheit nicht erhalten. Er bezeichnete sich in dem Aufruf als „Präsident, der mit all seinen Gedanken und seiner Seele“ bei den Ukrainern sei. Janukowitsch hatte wiederholt gesagt, dass er sich weiter als Staatschef der ehemaligen Sowjetrepublik betrachte.

„Zündeln“ von Villa in Moskau aus

Die jetzigen Aussagen könnten nach Ansicht von Beobachtern die Spannungen im prorussischen Osten und Süden der Ukraine wieder anheizen. Russland hatte sich ungeachtet internationaler Proteste die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel in den vergangenen Wochen nach einer dort abgehaltenen umstrittenen Volksabstimmung einverleibt.

Janukowitsch suchte nach seiner Entmachtung Ende Februar Zuflucht in Russland. Von dort nahm er wiederholt zu den Ereignissen in der Ukraine Stellung, die Erklärung vom Freitag war indes die erste seit zwei Wochen. Derzeit soll sich Janukowitsch in einer Villa in Moskau aufhalten.

„Auf den Schultern von Nazi-Sturmtruppen“

Janukowitsch warf in seinem jüngsten Statement der neuen Führung um den prowestlichen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk erneut vor, die Macht in einem bewaffneten Umsturz und „auf den Schultern von Nazi-Sturmtruppen“ an sich gerissen zu haben. Scharf kritisierte Janukowitsch die Europäische Union und die USA. „Der Sturz der gesetzmäßigen Machthaber ist vom Westen außerhalb internationalen Rechts geplant worden und nicht das erste Beispiel eines solchen Szenarios“, hieß es in der Erklärung. Er bat seine Partei der Regionen auch darum, ihn beim bevorstehenden Kongress formell auszuschließen.

UNO-Abstimmung: Moskau wollte Debakel verhindern

Die UNO-Vollversammlung hatte am Donnerstag die Lossagung der Krim von der Ukraine für ungültig erklärt. 100 Länder stimmten für die Resolution, elf dagegen. 58 Staaten enthielten sich. Einige Länder der insgesamt 193 Mitgliedsstaaten nahmen an der Abstimmung nicht teil. Westliche Diplomaten hatten erklärt, Russland habe aggressive Lobbyarbeit gegen die Resolution betrieben, die keine praktischen Folgen hat. Die Zahl der Ja-Stimmen sei danach dennoch überraschend hoch ausgefallen.

Moskau bezeichnete die Resolution der UNO-Vollversammlung als „kontraproduktiv“. Der Beschluss der UNO-Vollversammlung werde „die Beilegung der politischen Krise in der Ukraine erschweren“, erklärte das russische Außenministerium am Freitag. Die Resolution sei eine „parteiische Interpretation“ der Vorgänge in der Ukraine.

Die Sowjetunion hatte die Krim unter Nikita Chruschtschow im Jahr 1954 der ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen. Mehrere westliche Staaten hatten die Resolution in die UNO-Vollversammlung eingebracht. Der Text ähnelt einem Entwurf, der Mitte März im UNO-Sicherheitsrat an einem Veto Russlands gescheitert war. In der Vollversammlung der UNO kann Moskau Entscheidungen nicht blockieren, die Entschließungen des Gremiums entfalten aber anders als Resolutionen des Sicherheitsrats keine völkerrechtlich bindende Wirkung.

Ostukraine: OSZE sieht keine Abspaltungsgefahr

Eine Abspaltung der Ostukraine nach dem Beispiel der Krim ist aus Sicht des OSZE-Sondergesandten Tim Guldimann vorerst nicht zu erwarten. Politiker und Behörden an Ort und Stelle - welcher politischen Richtung auch immer - sähen ihre Zukunft im ukrainischen Staat und organisierten zurzeit die Präsidentenwahl am 25. Mai, sagte der Schweizer Botschafter in Berlin am Freitag im Deutschlandradio Kultur. Überdies könne eine Konfrontation in der Ukraine auch nicht im Interesse Russlands liegen. Guildimann warnte vor zu viel Einmischung von außen. Die Bevölkerung müsse entscheiden können, „was gut ist für die Ukraine und was nicht“.

Im Osten der Ukraine gibt es seit Wochen Proteste prorussischer Demonstranten, die einen Beitritt der Region zur Russischen Föderation fordern. Am Samstag war ein OSZE-Vorausteam mit 40 Experten dorthin gereist. Es soll auf 100 Fachleute aufgestockt werden. Sie sollen kontrollieren, ob der Schutz von Minderheiten gewährleistet ist und es Anzeichen für Interventionen von außen gibt. Die ukrainische Regierung und der Westen befürchten, dass Russland Anspruch auch auf die Ostukraine erheben könnte.

Ultrarechte wollten Parlament stürmen

Unterdessen setzte nach dem Tod eines ihrer Anführer durch Polizeikugeln die ultranationalistische Gruppe Rechter Sektor in Kiew ihren Protest gegen Innenminister Arsen Awakow fort. Die Bewegung, die jüngst eine Partei gegründet hatte, werde friedlich vor dem Parlament demonstrieren, kündigte Sprecher Andrej Bondarenko an. Awakow habe seine Untergebenen nicht im Griff. „Die Kundgebung ist nicht gegen das Land und nicht gegen das Parlament gerichtet“, sagte Bondarenko dem Sender Radio Liberty am Freitag.

Ranghohe Politiker wie die ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Pjotr Poroschenko und Witali Klitschko hatten die gewaltbereiten Demonstranten am Vorabend von einer Erstürmung des Parlaments abgehalten. Der Rechte Sektor wirft den Behörden vor, sie hätten Alexander Musytschko, einen Koordinator der Gruppe in der Westukraine, gezielt ermorden lassen.

Das Innenministerium hingegen betont, Musytschko habe bei einem Festnahmeversuch selbst das Feuer auf die Beamten eröffnet und sei bei der Schießerei tödlich verletzt worden. Awakow kündigte an, alle Dokumente und Videoaufnahmen zu dem Fall zu veröffentlichen. „Dann kann jeder selbst entscheiden, wer ein Held ist und wer ein gemeiner Bandit“, schrieb Awakow bei Facebook.

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