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Urheberrecht vor Netzfreiheit?

Sperren von Websites sind in der EU ab sofort in bestimmten Fällen erlaubt. Internetanbieter können laut EuGH-Urteil dazu verpflichtet werden, Websites zu sperren, über die urheberrechtlich geschütztes Material verbreitet wird. Rechteinhaber sehen darin ein „positives Signal“, Provider warnen dagegen vor künftigen Sperren in weit größerem Ausmaß.

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Die Vereinigung Internet Service Provider Austria (ISPA) übt heftige Kritik an dem Urteil. Aus ihrer Sicht haben die „Verwertungsgesellschaften die Meinungsfreiheit im Internet niedergerungen, was als Rückschritt und große Gefahr für die weitere Entwicklung des Internets speziell in Österreich“ gesehen wird. Nach dem neuen Urteil ist laut ISPA sogar eine Twitter-Sperre wie in der Türkei möglich.

„An sich ist auch Twitter nur eine Website, und es braucht im Prinzip nur jemanden, der findet, dass dieser Nachrichtendienst dazu genutzt wird, urheberrechtlich geschütztes Material zu verteilen“, so Maximilian Schubert, Generalsekretär der ISPA. „Die Einführung von Netzsperren zu welchem Zweck auch immer wird zu zahlreichen weiteren Begehrlichkeiten und Maßnahmen in dieser Richtung führen.“

„Trauriger Tag für Informationsgesellschaft“

Der Fachverband Telekom der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) wertet die Entscheidung als „Grundstein für eine Zensurinfrastruktur des Internets“. Der EuGH lasse in seiner Entscheidung völlig außer Acht, dass der Provider laut E-Commerce-Richtlinie für abgerufene Internetinhalte nicht hafte. Nun genüge es, dass man über einen Provider urheberrechtlich illegal angebotene Inhalte abrufen kann, um diesen zu verpflichten, den Zugang zu diesen Inhalten zu sperren.

„Wie weitreichend solche Sperrverpflichtungen gehen können, ist noch nicht abzusehen, aber Maßnahmen in einigen Ländern außerhalb der EU zeigen, dass hier einiges zu befürchten ist - ein trauriger Tag für eine offene und pluralistische Informationsgesellschaft,“ so Günther Singer, Obmann des Fachverbandes Telekom/Rundfunk in der WKÖ.

Zensur auch für unliebsame Inhalte?

In vielen europäischen Ländern sind Blockaden bestimmter Websites bereits gängige Praxis. So wurde in Großbritannien, Italien, Irland, Belgien, Finnland und Dänemark nach Intervention der Rechteinhaber das Bittorrent-Portal The Pirate Bay gesperrt. In Deutschland wollte 2009 die damalige deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) Websites mit Kinderpornografie sperren lassen. Netzaktivisten liefen Sturm dagegen und verpassten der CDU-Ministerin den Spitznamen „Zensursula“. Der Vorschlag wurde daraufhin verworfen.

Bürgerrechtler befürchten, dass auch legale, aber nicht gern gesehene Inhalte blockiert werden könnten. „EuGH legt Zensur-Grundlagen“, titelte das deutsche Blog Netzpolitik.org. Das Urteil berge das Risiko, als Muster für die Durchsetzung weiterer Sperren zu wirken, die leicht zur Zensur für unliebsame Inhalte werden könnten – seien es als extremistisch angesehene oder pornografische Inhalte oder Dinge wie Onlineglücksspiele, so das Blog.

Illegale Inhalte löschen statt sperren

Netzsperren würden die Meinungsfreiheit gefährden und taugten wenig zur Bekämpfung von Rechtsverletzungen, so auch Alexander Sander vom deutschen Verein Digitale Gesellschaft. Er plädiert dafür, Websites mit illegalen Inhalten zu löschen statt zu sperren. Zudem lassen sich die Sperren grundsätzlich mit technischen Mitteln umgehen, etwa zuletzt in der Türkei, als die dortige vorübergehende Sperre von Twitter von den Nutzern umgangen wurde.

Der Verband für Antipiraterie (VAP), der die Filmstudios bei ihrer Klage gegen UPC unterstützt hatte, begrüßte das Urteil naturgemäß als „Licht am Ende des Tunnels für die Kreativwirtschaft“. „Österreich kann damit den vielen anderen europäischen Ländern folgen, in denen Gerichte bereits nach sorgfältiger Abwägung der Grundrechte und Prüfung der Verhältnismäßigkeit Zugangssperren angeordnet haben“, so Werner Müller, Generalsekretär des VAP. Für ihn stellt das Urteil einen „Sieg für die Kreativindustrie“ dar.

Neben Kino.to, das 2011 den Betrieb einstellte, geht es laut dem VAP europaweit um „höchstens 100 Webseiten“. Rechtskräftig angeordnete Zugangssperren gegen diese Seiten, die durch den hohen Nutzerverkehr mittels Streuwerbung vielfach Millionengewinne erzielten, gebe es bereits in elf EU-Ländern, so der VAP gegenüber der APA.

Filmproduzent: „Werke auch im Netz schützen“

Auch der österreichische Filmproduzent Veit Heiduschka, der als Kläger in dem Fall aufgetreten war, wertete die Entscheidung des EuGH als „positives Signal“: „Wenn Filmemacher nicht darauf vertrauen können, dass ihre Werke auch im Netz Schutz finden, wird die Entwicklung von legalen Geschäftsmodellen untergraben.“

Laut dem aktuellen Urteil des EuGH müssen Internetanbieter ihre Kunden daran hindern, urheberrechtlich geschützte Literatur, Filme und Musik illegal zu nutzen. Eine solche Anordnung und ihre Umsetzung müssen allerdings ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den betroffenen Grundrechten sicherstellen, stellten die EU-Richter fest.

Streitfall „Das weiße Band“ auf Kino.to

Konkret ließen das deutsche Filmstudio Constantin Film und die Wiener Filmproduktionsgesellschaft Wega anlässlich der illegalen Verbreitung des Films „Das weiße Band“ dem Internetprovider UPC über eine einstweilige Verfügung untersagen, den eigenen Kunden Zugang zum Filmstreamingportal Kino.to zu gewähren. UPC wehrte sich vor Gericht gegen diese Anordnung und machte geltend, man vermittle seinen Kunden lediglich Zugang zum Internet. Außerdem gebe es keine Beweise für ein rechtswidriges Verhalten der eigenen Kunden. Mögliche Sperren könnten zudem umgangen werden und seien darüber hinaus sehr kostspielig.

Kino.to hatte bereits 2011 den Betrieb eingestellt, der Betreiber und mehrere Mitarbeiter wurden teilweise zu Haftstrafen verurteilt. Daher entwickelte sich der laufende Rechtsstreit zu einer Grundsatzentscheidung zur Frage, ob Netzsperren in ähnlichen Fällen zulässig sind.

Auch vorbeugende Blockade erlaubt

Die Luxemburger Richter bejahen solche Websitesperren und erlauben nicht nur das Abstellen von bekannten und vielgenutzten illegalen Websites, sondern auch die vorbeugende Blockade. Dabei müsse nicht nachgewiesen werden, dass die Kunden des Internetanbieters tatsächlich auf die geschützten Filme zugreifen. Filmfirmen müssten sich zunächst allerdings unmittelbar an die Betreiber der rechtswidrigen Website wenden. Doch diese sind oftmals nicht greifbar, sondern sitzen außerhalb Europas.

Der Provider sei in solchen Fällen der „Vermittler, dessen Dienste zur Verletzung eines Urheberrechts genutzt werden“, so der EuGH in seiner Urteilsbegründung. Diese Vermittlung müsse technisch unterbunden werden. Damit folgte das EU-Gericht der Empfehlung des zuständigen Generalanwalts des EuGH, der bereits im November in seinem Schlussantrag Netzsperren in bestimmten Fällen als ein angemessenes Mittel zum Schutz von Urheberrechten wertete.

EU-Parlament könnte Netzsperren noch kippen

Für Netzpolitik.org ist in der Sache jedoch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Das Blog forderte seine Nutzer auf, sich mit ihrer Kritik direkt an die Abgeordneten des EU-Parlaments zu wenden. Diese könnten eine Umsetzung des Urteils in den Mitgliedsländern am 3. April, wenn im Europaparlament final über die EU-Telekommunikationsverordnung abgestimmt wird, mit einem grundsätzlichen Verbot von Netzsperren verhindern.

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