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Von der Lehre an die Uni

Zum akademischen Titel gehören nach landläufiger Meinung eine Matura und ein wissenschaftliches Studium. Ein akademischer Titel ohne Matura stößt in Österreich schnell auf Skepsis. Aber die - nicht immer reibungslos verlaufene Umstellung - von Magister- und Doktoratstudien auf Bachelor-, Master- und PhD-Abschlüsse hat die Aus- und Weiterbildungslandschaft in Österreich in Bewegung gebracht.

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„Der ‚Flaschenhals‘ Matura und dann Hochschulstudium ist ein Spezifikum in Österreich“, betont Thomas Mayr, Geschäftsführer des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw). International üblich sei ein breiteres Ausbildungsspektrum auf Hochschulebene. „In den vergangenen Jahren gab es in Österreich eine zu starke Fokussierung auf die klassische akademische Schiene“, kritisiert der Bildungsforscher. Über Ausbildungen der beruflichen Tertiärbildung gebe es keine gemeinsame Klammer, dieser Sektor sei dadurch weniger sichtbar und unterbewertet, so Mayr.

Bologna-Prozess

Ziel dieser Hochschulreform ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums. Studiengänge und -abschlüsse sollen international harmonisiert und besser vergleichbar sein. Für den Vergleich von Leistungen wurde das European Credit Transfer System (ECTS) eingeführt. Abschlüsse sind nunmehr dreistufig: Bachelor, Master, PhD.

Mit dem österreichweiten Angebot, Bachelor- und Masterlehrgänge auch ohne Matura absolvieren zu können, öffnet das Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) nun in Kooperation mit mehreren Unis mit breiter aufgestellten Managementausbildungen eine neue Schiene und vollzieht damit eine Entwicklung, bei der Österreich ohnehin Nachholbedarf habe, konstatiert auch Mayr. Wo der Master absolviert wurde - Uni, FH oder eine Weiterbildungsinstitution -, ist damit nicht mehr eindeutig erkennbar.

„Das ist ja nicht akademisch“

Als Reaktion auf das WIFI-Programm habe es von universitärer Seite schon auch skeptische Fragen gegeben, was das solle, „das ist ja nicht akademisch“, erinnert sich WIFI-Institutsleiter Michael Landertshammer. International werde die berufliche und die akademische Aus- und Weiterbildung aber bereits als gleichwertig anerkannt. Österreich hinke hier noch hinterher. Hochrangige Qualifikationen in Österreich wie die Höheren Technischen Lehranstalten (HTL) und die Werkmeisterschulen bereiteten gut auf berufliche Positionen vor, im Bologna-Prozess fänden sie aber keine Berücksichtigung, ergänzt Mayr.

Das Ziel, Bildungswege durchlässiger zu machen und Sackgassen zu vermeiden, gibt es schon länger. An der Umsetzung mangelt es allerdings. So ist bei den Fachhochschulen (FHs) - die ersten Studiengänge feiern heuer ihr 20-Jahr-Jubiläum - gesetzlich festgelegt, dass man ein Studium auch ohne Maturaabschluss oder gleichwertige Berufsreifeprüfung beginnen kann - bei Absolvierung einiger Prüfungen wie Deutsch und Mathematik. Anlässlich des Jubiläums beschäftigt sich die FH-Konferenz (FHK) auch verstärkt mit Themen, wie das System noch durchlässiger gemacht werden und „berufsermöglichendes Studieren“ organisiert werden kann.

Mehr Flexibilität gefordert

Derzeit könne man sich an den FHs nur zwischen einem Vollzeit- und einem berufsbegleitenden Studium entscheiden. Nehme man aber als Vollzeitstudent eine berufliche Stelle an, die damit nicht vereinbar ist, bleibe nur die Beendigung des Studiums. Hier brauche es mehr Flexibilität, fordert FHK-Generalsekretär Kurt Koleznik.

„Die FHs starteten mit dem expliziten Ziel, eine tertiäre Ausbildung für den berufsbildenden Bereich zu schaffen und insbesondere auch Lehrabsolventen offen zu stehen. Die FHs sind jetzt gut positioniert, aber dieses Ziel wurde nicht wirklich umgesetzt“, so auch Mayr. Tatsächlich ist der Anteil von FH-Studierenden ohne Matura begrenzt. An der FH des Berufsförderungsinstituts (BFI) Wien etwa sind von den rund 1.940 Studierenden 5,2 Prozent Nichtmaturanten. An der FH Krems haben von 1.000 Erstsemestrigen 3,4 Prozent keine Matura. Die Zahlen variieren stark von FH zu FH. Die 2013 veröffentlichte Studierendensozialerhebung zeigt, dass etwa neun Prozent der FH-Studienanfänger nicht über den klassischen Weg der Matura zum Studium kommen.

„Wir beäugen es gespannt“

Die Nachfrage nach akademischer Weiterbildung auch im beruflichen Bereich steigt, betont Landertshammer. Die fachliche Weiterbildung alleine reiche immer weniger. Auch Oliver Vettori, zuständig für Programm- und Qualitätsmanagement an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien, ist überzeugt, dass es im Bereich der tertiären Bildung in Zukunft noch mehr Diversität geben wird. Durchlässigkeit sieht er positiv, man könne aber nicht alles über einen Kamm scheren. Wie die Angebote des WIFI funktionieren, müsse man abwarten: „Wir beäugen es gespannt.“ Eine Konkurrenz sei es jedenfalls nicht.

Skepsis im Inland ist Landertshammer auch bei der Partnersuche für die akademischen Kooperationen begegnet: „Mit dem Quadrat der Entfernung wächst die Kooperationsbereitschaft.“ Obwohl das Interesse in Österreich wachse, sei es leichter, im Ausland eine Universität oder Fachhochschule als Partner zu finden. Mit Institutionen wie der Technischen Universität (TU) Wien und der FH St. Pölten gebe es aber einige Partner in Österreich, die „erkannt haben, dass Weiterbildung auch auf hochschulischer Ebene wichtiger wird“.

In jedem Fall bedeutet es für alle beteiligten Bildungsanbieter zusätzliche Einnahmen. Denn während die Studiengebühren für Unis und Fachhochschulen bei 363,36 Euro pro Semester liegen, zahlt man beim WIFI im Schnitt 2.500 Euro pro Semester, bis man den Bachelor- oder Mastertitel in Händen hält.

Praxis statt Theorie

Inhaltliche Konsequenz bei den berufsorientierten Bachelor- und Masterangeboten: Noch stärker als im FH-Bereich wird bei diesen Studiengängen der Bezug zum beruflichen Umfeld hergestellt: „Wo immer möglich, arbeiten die TeilnehmerInnen an konkreten Situationen aus ihrem Arbeitsumfeld“, sagte etwa WKO-Präsident Christoph Leitl (ÖVP) bei der Vorstellung der neu konzipierten WIFI-Lehrgänge.

Der Fokus liegt mehr auf der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen für die Praxis und weniger auf der Vermittlung wissenschaftlicher Methoden und Fragestellungen. „Berufliche Ausbildung ist nicht weniger wert“, betont Landertshammer. Für die Universitäten hält es Mayr aber im Gegenzug für notwendig, dass sie ihr Profil schärfen und Wissenschaft und Forschung stärker in den Vordergrund stellen.

Lukrativer Markt

Immer mehr FHs und Unis erkennen aber das wirtschaftliche Potenzial des Weiterbildungsmarktes. Manche Hochschuleinrichtungen planen eigene Weiterbildungszentren, andere haben bereits welche eingerichtet, so Landertshammer. Die Executive Academy an der WU Wien bietet etwa hochpreisige MBA-Studien von bis zu 45.000 Euro an, allerdings auch einen Diplomlehrgang Betriebswirtschaft um 3.800 Euro pro Semester. Voraussetzung: Matura oder ein gleichwertiger Abschlusses einer anerkannten Bildungseinrichtung. Nach sechs Semestern schließt man mit dem Titel Akademischer Dipl. Betriebswirt (aDipl. BWWU) ab.

In nur fünf Semestern kann man für insgesamt 13.200 Euro einen Master-of-Arts-Titel für Kunsttherapeuten an der Sigmund-Freud-Privatuniversität erwerben. Studieren kann, wer Matura hat oder berufliche Vorbildung mitbringt.

Qualitätsfragen bleiben

Die Palette für einen möglichen Masterabschluss wird bunter. Prinzipiell ist es möglich, vom Lehrabschluss über einen WIFI-Bachelor zu einem Masterabschluss an einer regulären Universität zu kommen. Praktisch ist dieser Wechsel zwischen den Institutionen aber nicht immer einfach. „Der Bologna-Prozess wollte Durchlässigkeit ermöglichen, löst aber die Qualitätsfragen nicht“, erklärt Vettori. Wenn die formalen Voraussetzungen erfüllt würden, stelle sich immer noch die Frage, ob etwa Bachelorabsolventen von einer FH das Studium schaffen, insbesondere wenn inhaltliche Kenntnisse fehlen.

„Wir stellen fest, dass es manche Studien gibt, bei denen WU-Bachelors tendenziell einen leichterten Start im Masterstudium haben. Möglicherweise sind sie das System Universität schon mehr gewöhnt“, so Vettori. Zudem habe die Wissenschaft viele Modelle und Herangehensweisen. „Das ist sicher eine Herausforderung, plötzlich in einem Setting zu sein, das man vorher nicht gewohnt war.“

Die WU versucht hier, Studierenden, die von außerhalb der WU kommen, mit „Bridging-Kursen“ einen schnellen Aufholprozess zu ermöglichen. In anderen Studienrichtungen können aber selbst die Aufnahmebedingungen einem Wechsel von der FH an die Uni einen Strich durch die Rechnung machen. „FHs sind praxisorientiert, Unis theoretisch. Daran sind auch die Inhalte gebunden. Viele FH-Studierende erfüllen die Voraussetzungen nicht, weil ihnen meistens das methodische Instrumentarium fehlt“, bringt es Studienprogrammleiterin Michaela Schaffhauser-Linzatti für das Masterstudium Wirtschaftswissenschaften an der Uni Wien auf den Punkt. Entsprechend selten sind FH-Bachelorabsolventen auch in diesem Masterprogramm anzutreffen.

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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