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Zersplittertes Land

Was im März 2011 als Protestbewegung im Zuge des „arabischen Frühlings“ begonnen hatte, hat sich zu einem der blutigsten Bürgerkriege der vergangenen Jahrzehnte entwickelt. 160.000 Menschen wurden in Syrien nach Angaben der Opposition getötet, 2,8 Millionen haben das Land aus Angst vor der Gewalt verlassen. Von der Hoffnung der Anfangstage, das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu stürzen, ist nichts geblieben.

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Schon in den ersten Monaten wurde der Konflikt mit aller Härte geführt: Das Militär ging unbarmherzig gegen die Aufständischen vor. Beide Seiten beschuldigten einander, Chemiewaffen eingesetzt zu haben. Kaum eine Woche vergeht ohne erschütternde Meldung über ein Blutbad.

Dschihadisten gegen Rebellen

Die vor allem aus Deserteuren zusammengesetzte Freie Syrische Armee feierte 2012 erste Erfolge, kurz schien es, als könne sie die militärische Macht des Regimes brechen. Doch dann gewannen Dschihadistengruppen immer mehr Einfluss - auch mit der Unterstützung ausländischer Kämpfer.

Obstverkauf zwischen zerstörten Gebäuden in Aleppo

Reuters/Jalal Al-Mamo

Ein kleines Stück Normalität zwischen Ruinen - hier in Aleppo

Zunächst trat die Al-Kaida-Filiale Al-Nusra-Front in Erscheinung, die nicht nur gegen das Regime, sondern auch gegen andere Rebellengruppen vorging. Noch radikaler agiert der Islamische Staat im Irak und in Syrien (ISIS). Die Gruppe will ein islamisches Kalifat errichten und wendet sich gegen Assad genauso wie gegen gemäßigte Rebellen.

Öffentliche Hinrichtungen

In den von ihnen beherrschten Gebieten gilt streng islamisches Recht. Das öffentliche Spielen von Musik ist verboten. Frauen müssen außerhalb ihrer Wohnungen den Nikab tragen. Der Verkauf von Zigaretten und Wasserpfeifen ist verboten.

Wer den Regeln zuwiderhandelt, wird nach den scharfen Bestimmungen der Scharia bestraft. Öffentliche Hinrichtungen stehen an der Tagesordnung. Zuletzt erklärten einander sogar Al-Nusra und ISIS den Krieg. Wie viele radikalislamische Kämpfer sich mittlerweile in Syrien tummeln, ist unklar. Von 25.000 ist die Rede.

Ein geteiltes Land

Drei Jahre nach Beginn des Aufstandes ist Syrien faktisch ein geteiltes Land. In der Hauptstadt, in al-Suwaida sowie in den Küstenstädten Latakia und Tartus herrscht das Regime noch unumschränkt. Die reguläre Armee ist abgesehen von einigen loyalen Offizieren der Luftwaffe kaum noch an den Kämpfen beteiligt.

Sie schützt zwar noch die Hauptstadt, doch in den umkämpften Ortschaften im Umland von Damaskus kämpfen an vorderster Front fast ausschließlich Milizionäre. Die meisten von ihnen gehören der vom Iran aufgerüsteten libanesischen Hisbollah-Miliz und irregulären schiitischen Kampfverbänden aus dem Irak an.

Chaos und Zusammenbruch

In Rakka hat sich ISIS eingenistet. Kurdische Gruppen haben in mehreren Bezirken im Norden eine Art Autonomie geschaffen. In Aleppo und Idlib geben islamistische Brigaden den Ton an. Die FSA kontrolliert größere Gebiete im Süden des Landes, seitdem die Regierungstruppen ihre Angriffe dort reduziert haben.

Zerstörte Häuser in Homs

APA/EPA

Die Stadt Homs besteht fast nur noch aus Trümmern

Insgesamt wurde die Lage immer unübersichtlicher und unsicherer. Oft wechseln die Machtverhältnis von einem zum nächsten Stadtviertel oder gar von Straße zu Straße, von einem Kontrollposten zum nächsten. Bewohner beklagen anarchische Zustände, Chaos und den Zusammenbruch jeglicher staatlicher Autorität.

Zivilisten ohne Chancen

Die Zivilisten sind zum Faustpfand der rivalisierenden Gruppen geworden. Extremisten terrorisieren die Bevölkerung, „Ungläubige“ und „Abtrünnige“ werden gefoltert oder getötet. In Aleppo wirft die Luftwaffe des Regimes Sprengstofffässern über Wohngebieten ab. In dem belagerten palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk, das in Damaskus nur 15 Autominuten vom Präsidentenpalast entfernt liegt, verhungern immer wieder Menschen. Generell ist Hunger dort zur Waffe geworden.

Syrische Kinder in einem Flüchtlingslager

Reuters/Muhammad Hamed

Hunderttausende leben in Flüchtlingslagern

Geschätzte 160.000 Menschen haben bisher ihr Leben verloren. Mehr als zehn Millionen Menschen flohen, rund 6,5 Millionen innerhalb des Landes. Geschätzte 2,8 Millionen flohen ins Ausland, der Großteil verteilt sich auf die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien.

Westen machtlos

Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht: Keine der Kräfte ist im Moment stark genug, sich militärisch durchzusetzen. Die internationale Gemeinschaft scheint zum Zusehen verurteilt. Als einzigen kleinen Erfolg kann die UNO die sich hinziehende Vernichtung der syrischen Chemiewaffen verbuchen. Der Einsatz von C-Waffen war auch der einzige Anlass, bei dem der Westen kurzzeitig eine militärische Intervention ins Auge fasste.

Sogar geheimdienstliche Aktionen scheinen kaum stattzufinden, auf Waffenlieferungen an Rebellen hat man aus gutem Grund verzichtet, schließlich war nie klar, ob die Waffen nicht den „falschen“ Aufständischen in die Hände fallen. Lediglich einige arabische Staaten wie Saudi-Arabien haben Rebellen unterstützt, auch ohne durchschlagenden Erfolg.

Friedensverhandlungen kläglich gescheitert

Der erste ernsthafte Versuch, eine politische Lösung für diesen Krieg zu finden, ist Anfang dieses Jahres kläglich gescheitert. Die von dem UNO-Vermittler Lakhdar Brahimi moderierten Friedensgespräche zwischen der Opposition und den Vertretern des Assad-Regimes blieben ohne Ergebnis. Brahimi warf Mitte Mai das Handtuch, nachdem bereits sein Stellvertreter Mokhtar Lamani angesichts der ausweglosen Lage seinen Rücktritt eingereicht hatte. Die schwache und zerstrittene Opposition bietet für den Westen kaum Anknüpfungspunkte. Es gibt keine etablierte Führung oder gar eine politische Galionsfigur, die man unterstützen könnte.

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