Druck auf Medien steigt
Russland hat in einer bisher beispiellosen Aktion den Zugang zu mehreren regierungskritischen Websites blockiert. Nicht mehr zugänglich waren seit Donnerstagabend in Russland die beliebten Portale Kasparov.ru und Ej.ru, auf denen anders als in Staatsmedien auch die Opposition zu Wort kommt.
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Auf Verlangen der Generalstaatsanwaltschaft würden zudem ein Auftritt des Oppositionsführers und Bloggers Alexej Nawalny (Navalny.livejournal.com) und Grani.ru in die Liste gesperrter Seiten aufgenommen, teilte die Medienaufsicht mit.
„Verstoßen gegen Gesetze“
Im Fall Nawalnys wurde die Entscheidung später rückgängig gemacht, wie aus Informationen des Portals Antizapret hervorgeht, das die Websperren in Russland beobachtet. Am Freitagmittag waren sie allerdings weiterhin nicht über russische Internetanbieter erreichbar. Über die Eingabe der direkten IP-Adressen kann man die Seiten aufrufen.
„Diese Seiten enthalten Aufrufe zu ungesetzlichen Tätigkeiten und zur Teilnahme an Massenveranstaltungen, die unter Verstoß des geltenden Rechts organisiert werden“, begründete die Medienaufsicht die Sperranordnungen.
Volle Gewalt über das Internet
Das nach dem Schachweltmeister und Politiker Garri Kasparow benannte Portal Kasparov.ru berichtet oft von Oppositionskundgebungen. Da es auf Servern in den USA (Pair.com) liegt, kann die russische Regierung das Angebot nicht schließen, sondern nur die Zugriffe über Internetprovider in Russland unterbinden.
Menschenrechtler beklagen seit Jahren unter Kreml-Chef Wladimir Putin massive Einschränkungen der Pressefreiheit. Russland hatte zuletzt mehrere Gesetze erlassen, die Behörden im Grunde volle Gewalt auch über das Internet geben. Unter anderem können Websites ohne gerichtlichen Beschluss blockiert werden. Die nun über russische Provider nicht mehr zugänglichen Websites galten als prominente Plattformen für unabhängigen Journalismus und freie Meinungsäußerung.
Auch Sender und Agenturen unter Druck
Druck beklagt seit Wochen zudem das kremlkritische Internetfernsehen Doschd, das sich kurz vor dem Aus sieht, weil mehrere russische Anbieter den Kanal vom Netz genommen haben. Auch die Internetagentur Lenta.ru sieht sich nach kritischen Berichten in der Ukraine-Krise Druck vom Kreml ausgesetzt. Erst mussten die Chefredakteurin und die Generaldirektorin des Portals gehen, dann kündigten aus Protest gegen die staatliche Einflussnahme 39 Mitarbeiter.
Kaum noch kritische Zeitungen
„Unabhängiger Journalismus bringt den Machthabern nichts - nötig ist aber die propagandistische Unterstützung“, kommentiert die Zeitung „Wedomosti“ die Tendenz. Als eine der letzten Bastionen der Presse- und Meinungsfreiheit in Russland gilt weiter die kremlkritische Zeitung „Nowaja Gaseta“, für die einst die Putin-Gegnerin Anna Politkowskaja bis zur ihrer Ermordung 2006 gearbeitet hatte.
Auch die liberale Tageszeitung „Nowyje Iswestija“ mit einer Tagesauflage von etwa 50.000 Exemplaren ist eines der wenigen überregionalen Tages- und Wochenmedien, die die derzeitige Krim-Politik des Kreml deutlich kritisierten.
„95 Prozent Propaganda“
Deren Chefredakteur Igor Wandenko kritisiert im APA-Gespräch vor allem die TV-Berichterstattung. Diese sei in den letzten zwei, drei Wochen gar „unanständig“ geworden. Er spielt dabei auf die Ukraine-Berichterstattung in staatlichen russischen Fernsehsendern an, die oft nur noch wie eine Illustration politischer Vorgaben des Kreml anmutet. „Das ist natürlich kein Journalismus mehr, das ist zu 95 Prozent Propaganda“, erklärt der Chefredakteur.
Gleichzeitig betont Wandenko, dass in den meisten Fällen von keiner direkten Zensur durch den Kreml die Rede sein könne: „Das aktuelle Klima diktiert Journalisten und Medien, sich vorsichtiger zu verhalten. Das betrifft auch uns: Du denkst jedes Mal daran, dass Dutzende Journalisten bei einem unvorsichtigen Schritt ihre Arbeit verlieren könnten.“ Die Selbstzensur habe mittlerweile „gewaltige Ausmaße“ erreicht.
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