Moskau will alle Sanktionen „spiegeln“
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird auf Wunsch ihrer Mitglieder den Beitrittsprozess mit Russland bis auf weiteres aussetzen und im Gegenzug die Kooperation mit der Ukraine verstärken. Das teilte die Organisation nach einem Treffen des OECD-Rats am Donnerstag in Paris mit. Moskau sei über die Entscheidung informiert worden, hieß es.
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Weder Russland noch die Ukraine sind Mitglieder der OECD. Russland hatte bereits 1996 ein Beitrittsgesuch gestellt. Seit Ende 2007 waren die Verhandlungen im Gange. Der für diplomatische Verhältnisse äußerst unfreundliche Akt des Westens war am Donnerstag bei weitem nicht der einzige. Auch eine entsprechende Regierungserklärung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel fiel unerwartet scharf aus. Sie drohte Russland explizit mit EU-Sanktionen und warnte Moskau, es sei drauf und dran, sich dauerhaft „selbst zu beschädigen“.
EU „bereit und entschlossen“
Eine militärische Intervention schloss Merkel bei der Erklärung dezidiert aus. Sie betonte aber, die EU sei notfalls auch „bereit und entschlossen“, die dritte Stufe der Sanktionen, die auch erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen hätten, in Kraft zu setzen. Russland versuche mit Mitteln des 19. und 20. Jahrhunderts, seine Interessen durchzusetzen. Das sei ein klarer Bruch des Völkerrechts und nicht akzeptabel, so Merkel. Russland isoliere sich damit international.

AP/Markus Schreiber
Merkel bei ihrer Regierungserklärung
Merkel brandmarkte Russlands Vorgehen in der Krim als klaren Annexionsversuch. Für die Ukraine sei das eine „Katastrophe“, für die Nachbarstaaten eine Bedrohung, und für die EU bedeute das eine grundlegende Änderung des Verhältnisses zu Russland ganz allgemein. Der Ukraine versprach Merkel mehr Unterstützung bei der Stabilisierung und Reform des Landes. Es gehe um einen politisch-diplomatischen Weg aus der Krise. Ziel sei die Einsetzung einer Beobachtermission und einer Kontaktgruppe. Die EU suche das Gespräch.
Kerry trifft Lawrow
Freitagfrüh traf US-Außenminister John Kerry in London ein, um mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow erneut über die Krise zu beraten. Bei dem Gespräch will Kerry nach eigenen Angaben Lawrow „einige Alternativen“ anbieten. Bisher endeten die Treffen und Telefongespräche der beiden Außenminister ohne konkrete Ergebnisse. Moskau befürwortet das Referendum am Sonntag, das zum Anschluss der Krim an die Russische Föderation führen dürfte.
Auch EU-Parlament für Sanktionen
Das Europaparlament stellte sich hinter die von der EU wegen der Ukraine-Krise angedrohten neuen Sanktionen gegen Russland. Sollte Russland die Krim annektieren, müsse die EU rasch ein Embargo für Waffen, zivil-militärische („dual use“) Technologie, Einreiseverbote, Kontensperren und Sanktionen gegen russische Firmen, vor allem im Energiesektor, verhängen. Russland werde das als „Riese auf tönernen Füßen“ schmerzlich spüren, so der deutsche Konservative Elmar Brok.
Russland müsse sofort seine Truppen aus ukrainischem Gebiet abziehen, forderten die Abgeordneten in einer Entschließung. Sie verurteilten den „Akt der Aggression durch die Invasion der Krim“ als Bruch des Völkerrechts. Das Referendum auf der Krim über einen „Anschluss“ an Russland sei illegal. Das EU-Parlament wies die Behauptungen Russlands, die russischsprechende Bevölkerung auf der Krim schützen zu müssen, als „völlig unbegründet“ zurück.
China warnt vor „Sanktionsspirale“
Die Westmächte planen nach Angaben von Diplomaten auch, im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution zu dem für Sonntag geplanten Referendum auf der ukrainischen Halbinsel Krim einzubringen. Darin solle unter anderem die Illegalität der Volksabstimmung festgestellt werden, hieß es in der Nacht auf Donnerstag in New York. Es gelte zwar als sicher, dass Russland sein Veto einlegen werde. Ziel sei aber, China zu einer Enthaltung zu bewegen und Moskau damit weiter zu isolieren.
Ob die Rechnung aufgeht, ist fraglich: China sprach sich am Donnerstag strikt gegen die Sanktionierung Russlands aus. Das werde nur Gegenmaßnahmen provozieren und in eine Sanktionsspirale münden, kommentierte die chinesische Botschaft in Berlin. Tatsächlich kündigte das russische Wirtschaftsministerium am Donnerstag an, man werde alle allfälligen Maßnahmen des Westens „spiegeln“. Man hoffe, dass es nur zu politischen Strafmaßnahmen komme, sei jedoch auf „alle Eventualitäten vorbereitet“.
Kiew baut Nationalgarde auf
In der Ukraine selbst spitzt sich die Lage unterdessen weiter zu. Das Parlament in Kiew beschloss am Donnerstag den Aufbau einer Nationalgarde. Die Abgeordneten votierten einstimmig für die Bildung einer bis zu 60.000 Mann starken Truppe. Sie soll hauptsächlich aus Freiwilligen der Maidan-Selbstverteidigungsgruppen zusammengesetzt sein. Aufgabe der Truppe sollen die Sicherung der Grenzen, der Kampf gegen den Terrorismus und die Wahrung der inneren Sicherheit sein.
Die Bildung der Garde erfolgt vor dem Hintergrund des russischen Eingreifens auf der Halbinsel Krim. Russland hatte nach der Entmachtung des moskautreuen Staatschefs Viktor Janukowitsch infolge blutiger Straßenschlachten Ende Februar in den Konflikt eingegriffen. Die mehrheitlich russischsprachige Krim steht faktisch unter Kontrolle Moskaus. Die dortige Bevölkerung soll am Sonntag über einen Beitritt zu Russland entscheiden. Russland verstärkte unterdessen seine militärischen Aktivitäten an der Grenze zur Ukraine.
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