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Der Diktator, ein Seelchen

„Ihr sollt hier nicht Theater spielen, hier geht es um die Macht.“ Wenn Martin Wuttke als Richard III. in Hans Henny Jahnns am Donnerstag erstmals in Österreich gespielten Drama „Die Krönung Richards III.“ diesen und ähnliche Sätze spricht, dann reißt er damit, ganz im Sinne des Autors, die Grenze zwischen Bühne und Realität nieder. Zudem erlebte man Historisches: eine Burgpremiere ohne amtierenden Burg-Direktor.

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Umso mehr muss vom ersten Moment an die schwarze Geisterburg, die Bert Neumann für Regisseur Frank Castorf ins grellrote Dekor gestellt hat, wie ein Symbol der Krise des Hauses wirken. Mit Jahnns Stück aus dem Jahr 1922 ist - ohne dass man das vorher absehen konnte - eine Ausgangssituation angerichtet, die Gegenwartsbezüge mit dem Holzhammer herstellt.

Ein verlotterter Hofstaat

In der Eingangsstunde des Dramas ist man einem komplett verlotterten Hofstaat ausgesetzt, in dem Königinwitwe Elisabeth Woodward, gespielt von einer überspannt vor sich hinkrächzenden Sophie Rois, sich ihren pervers-sinnlosen Machtspielchen hingibt. Alle Adeligen im Umfeld der Burg, das hält sich an diesem Marathonabend, tragen Masken. Sie handeln im Schutz der Unkenntlichkeit - denn nur die Krone, so die Machttheorie hinter diesem Stück, verbürgt den offenen, sichtbaren Zugriff auf das Morden.

Martin Wuttke, Sophie Rois und Ensemblemitglieder in "Die Krönung Richards III" im Burgtheater

APA/Herbert Neubauer

Sophie Rois als Elisabeth erfährt vom Ende ihrer Alleinherrschaft über die Männer mit der Maske

Doch die Königin samt ihrer Lust am Kastrieren des Mannes ist feig. Die Jünglinge, die sie im Verbund mit dem Arzt morden lässt, kann und will sie nicht selber wegschaffen. Nur einer ist so ruchlos, diese zur Not auch lebendig zu begraben: Und das ist nun einmal Graf Gloucester, der spätere König Richard III. Er wird im dritten Anlauf beim Werben um die Rolle des Gemahls erfolgreich sein - von der „Gnade einer Ehe“ will er ihr künden.

Martin Wuttke in "Die Krönung Richards III" im Burgtheater

Burgtheater/Reinhard Maximilian Werner

Keine Angst vor dem Schmutz: Martin Wuttke als Richard III., wie man ihn so sicher noch nicht gesehen hat

Nicht nur scheut der spätere König keinen Kontakt mit Schmutz und Abgrund. Erfolgreich - und hier liegt sein politischer Instinkt, an dem sich im Verlauf des Abends der gesamte Adel die Zähne ausbeißt - vermittelt er die Angst, dass nur er Sicherheit vor den herannahenden Truppen gewähren könne.

Besiegelte Schicksale

Wenn Wuttke samt Laute die Bühne betritt, dann muss er die Königin nur scheinbar mit zarten Tönen umschmeicheln. In Wahrheit ist ihr Schicksal an seiner Seite unausweichlich, will sie überleben, und das sagt er ihr im Finsteren hoch auf den Brüstungen der Burg. Ein Schalk, wer hier an die Gegenwart denkt, und alle fünf Minuten könnte man an diesem Abend diesen Gedanken einstreuen. Doch Letzteres wird langweilig, auch wenn Castorf diese Neigung selbst mit einem Schuschnigg-Querverweis als derbem Degenhieb zur Gegenwart bedient.

Doch den Materialisten Castorf interessiert Grundsätzliches am Richard-Stoff: Die Machtergreifung durch den Autokraten zu Beginn der, so die Lesart Castorfs zum englischen 15. Jahrhundert, frühkapitalistischen Gesellschaftsordnung schneidet er gegen mit einem privatistischen Zugang zum Diktator.

Anasiudu Kenechukwu und Marc Hosemann in "Die Krönung Richards III" im Burgtheater

Burgtheater/Reinhard Maximilian Werner

Verteidigung des Hofstaats und das Lauern der Revolution: Für den Hauch von „Afrika, Afrika“ an diesem Abend darf jeder seine eigene mehr oder weniger politisch korrekte Interpretation nach Hause nehmen

Psychogramm auf der Drehbühne

Wenn er den größten Teil des Abends dem Psychogramm der Spannungszustände Richards widmet, und dafür ist ihm Hans Henny Jahnn samt allen erotischen, exkremantalen und kreatürlichen Assoziationen die ideale Spielvorlage, dann denkt Castorf an den Lieblingsdiktator seines Heroen Heiner Müller: Und der ist Stalin.

Mehrfach verfremdet wird Stalin zu Richard und Richard zu Janis Joplin. Nach Machtantritt fällt der Herrscher in den Rausch der Kindlichkeit und lässt sich, anstatt seine Macht erotisch auszuüben, von der Angebeteten in der Gestalt des Babylamms anblöken. Träumt der König, dann ist er Ubu Rio und sehnt sich vom Kindheitszustand gleich hin zum eigenen Requiem. Diese Innenlandschaft reizt Castorf an diesem Abend aus und bringt als Kontrastfolge immer die derbe Außenwelt der Maskenmänner ins Spiel.

Der Adel ist nicht fähig, den König zu stürzen, und die Revolution aus dem tugendhaften Innenraum, sie würde im Terror oder im Bürgerkrieg münden, der letztlich wieder nach dem Autokraten schrie. Man könnte meinen, Castorf träfe sich an diesem Abend mit dem Historiker Reinhard Kosselleck, der die Verhasstheit der Gegenwart ähnlich düster ins Auge gefasst hat.

Theater als Denkaufgabe

Das „neue Theater“, das dieses Stück herbeizitiert, das das alte hinter sich lassen will, es wird keine bessere Welt bringen. Der Idealist, er wird zu Beginn des Stücks kastriert. Auch wenn Richard in seine Abgründe blicken lässt, im entscheidenden Moment weiß er sich zu ermahnen: „Zurück zur Handlung!“

Hinweis

„Die Krönung Richards III“ ist am Wiener Burgtheater noch am 12., 14. und 20. März sowie am 12. und 13. April zu sehen.

Castorfs „Richard“ birgt in den am Ende doch recht langen sechs Stunden so etwas wie die Summe der Theaterarbeit des langjährigen Volksbühne-Regisseurs in sich, dem der nüchterne Blick eines Heiner Müller immer näher liegen wird als die Besserung der Welt über die Bühne eines Schiller. Insofern scheint es konsequent, dass an diesem Abend der Berliner Castorf-Cast („die Kampfgefährten“) ein bisschen heller strahlt als die Ensemblebeteiligung des Burgtheaters.

Gerald Heidegger, ORF.at

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