Jahnn und die „Vernunft des Fleisches“
Mit „Die Krönung Richards III“ zeigt das Wiener Burgtheater ein Stück eines besonders selten gespielten Autors: Hans Henny Jahnn. Neben Alfred Döblin, Robert Musil und Hermann Broch kann man Jahnn als einen der großen Modernisierer der deutschsprachigen Erzählkunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werten - er ist zugleich auch einer der eigenwilligsten.
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Jahnn (geboren 1894 als Hans Henry Jahnn) war zu Lebzeiten ein Außenseiter, und er ist es im Kanon der Literatur bis heute, trotz seines mächtigen Erzählwerks „Fluss ohne Ufer“, geblieben. Jan Bürger, Jahnn-Biograf („Der gestrandete Wal“, 2003), sieht Jahnn als typisches Kind einer Zeit, als sich Kunst und Lebensumstände bis zur Unkenntlichkeit ineinanderschoben.
Dass Jahnn am Rand der Gesellschaft stand, mag man auch in seinen Emigrationsjahren begründet sehen. Zunächst während des Ersten Weltkriegs in Norwegen, und nach 1933 im dänischen Exil auf Bornholm.
Notorischer Tagebuchschreiber
In der Zeit zwischen Ende des Ersten Weltkriegs und der Machtergreifung der Nazis versuchte sich der notorische Tagebuchschreiber Jahnn, der sich schon im Exil so akribisch auf seine literarische Karriere vorzubereiten schien, als Schriftsteller zu etablieren. Aufhorchen ließ er 1920, als er für sein Drama „Pastor Ephraim Magnus“ aus der Hand Oskar Loerkes den angesehenen Kleist-Preis erhielt, was eine Literaturfehde auslöste. „Die Krönung Richards III.“ ist ebenfalls ein Drama aus der frühen Schaffensphase des Autors. Entstanden ist es im Jahr 1922.
Jahnn war ein Rastloser. Er sah sich als Erneuerer des Orgelbaus, gab Werke von Barockmusikern heraus, stiftete die recht kurzlebige Glaubensgemeinschaft Ugrino mit seinen Freunden Gottlieb Harms und Franz Buse, betrieb einen Verlag und wurde in seinem dänischen Exil schließlich Landwirt, Pferdezüchter und Hormonforscher. Ein auf den Punkt kommendes Werk darf man sich von einem derart sich in seinen Interessen verlierenden Künstler nicht erwarten.
Ein früher Alternativer
Heute würde man Jahnn vielleicht als einen frühen Alternativen betrachten. Der deklarierte Pazifist und spätere Gegner der Nazis (der sehr wohl die Eigenschaft besaß, sich mit ihnen auch zu arrangieren) suchte gerade mit seiner Künstlerkolonie Ugrino nach einem alternativen Sinn- und Lebensszenario. Auf dem Grundstück der Ugrino-Kommune sollten nicht nur vom Barock inspirierte Gebäude stehen, selbst eine Kirche sollte Teil dieser Gegenwelt sein. Architekt der geplanten Kirche? Hans Henny Jahnn. Der Ritus, der Jahnn interessiere, leitete sich aber eher aus archaischen Naturreligionen ab.
Auf Bornholm verfasste er auch den größten Teil seines Hauptwerkes „Fluss ohne Ufer“, einer gewaltigen Trilogie von über 2.000 Seiten, deren letzten Band „Epilog“ er nicht abschloss. Nach 1950 kehrte Jahnn nach Deutschland zurück. Geblieben ist bis zu seinem Tod sein Engagement als Pazifist. Jahnn war gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands - und er setzte sich entschieden gegen Tierversuche ein.
Bis zur Humorlosigkeit ernst
Nach dem Zeugnis von Zeitgenossen soll Jahnn, der unter seiner „Hässlichkeit“ litt, ein bis zur völligen Humorlosigkeit ernster Mensch gewesen sein, der eine fatale und von ihm selbst immer wieder bestätigte Faszination für das Komplizierte besaß. Sein Tod am 29. November 1959 in Hamburg wurde von einer Trauerfeier gefolgt, bei der die Freunde Jahnns einen vom Dichter selbst konzipierten Sarg zu tragen hatten: Fünfmal musste der viel zu schwere Sarg auf dem Weg zur letzten Ruhestätte abgesetzt werden.
Was den einen die Faszination am Werk des Schriftstellers mit den demonstrativ homoerotischen Neigungen, ist anderen das größte Problem: die schwulstige Sprache, mit der auch wohlmeinende Kritiker ihre Schwierigkeiten haben. Begriffe wie die „Religion der Sinne“ und „Vernunft des Fleisches“ lassen Jahnn bis in die Gegenwart, in der zwar vieles akzeptiert, aber doch nicht alles gängig ist, als einen großen Fremden dastehen.
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