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Proteste gegen Pläne

Japan will drei Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima seine Kernkraftwerke wieder ans Netz bringen. Das kündigte Ministerpräsident Shinzo Abe am Vorabend des dritten Jahrestages der Katastrophe an. Experten, Umweltorganisationen und Teile der Bevölkerung laufen gegen die Pläne Sturm.

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„Ich möchte Reaktoren hochfahren, die gemäß den strikten Sicherheitsauflagen der Atomaufsicht für sicher befunden wurden und zugleich das Verständnis der lokalen Bevölkerung gewinnen“, sagte Abe am Montag vor einem Parlamentsausschuss. Noch sind als Folge des GAU in Fukushima vor drei Jahren alle 48 kommerziellen Atomreaktoren in Japan heruntergefahren. Seither muss Japan seinen Energiehunger durch teure Importe stillen, was die Erholung der Wirtschaft stark bremst.

30 Prozent der Stromversorgung aus Atomenergie

Vor dem Atomunfall in dem Kraftwerk Fukushima I hatten Atomkraftwerke in Japan zu etwa 30 Prozent zur Stromversorgung des Landes beigetragen. Infolge der Katastrophe wurden alle 48 Meiler zu Inspektions- und Wartungsarbeiten heruntergefahren. Als Ersatz für den Atomstrom führt die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt seit Jahren riesige Mengen an Öl, Gas und Kohle ein. Die hohen Energiekosten belasten die Wirtschaft - Japan schreibt rote Zahlen in seiner Handels- und Leistungsbilanz.

Temporäre Wohnsiedlung für Fukushima-Flüchtlinge

Reuters/Kim Kyung Hoon

Zigtausende Menschen verloren durch die Katastrophe ihr Zuhause und sind seither in Notunterkünften untergerbracht

Abes Vorgänger, Ex-Regierungschef Yoshihiko Noda, hatte 2012 eigentlich einen Atomausstiegsplan bis 2040 verkündet. Kernkraftbefürworter Abe machte das nach seinem Wahlsieg rückgängig. Große Teile der Bevölkerung sind gegen Abes Atomstrategie. Am Montag demonstrierten laut Angaben der Veranstalter mehr als 30.000 Menschen vor Abes Amtssitz und dem Parlament gegen Atomkraft.

Fast 270.000 weiter in Notunterkünften

Am 11. März 2011 war es infolge eines Erdbebens und Tsunamis im AKW Fukushima I zu Kernschmelzen gekommen. Nach Angaben der Polizei kamen 15.884 Menschen ums Leben - die meisten in den Provinzen Iwate, Miyagi und Fukushima. 2.636 weitere Menschen galten Ende Februar 2014 offiziell als weiterhin vermisst. Hinzu kommen weitere fast 3.000 Menschen, die an den gesundheitlichen Folgen des harschen Lebens in den Behelfsunterkünften starben oder sich das Leben nahmen. Einen belegten Todesfall durch Verstrahlung gibt es bisher nicht. Auch drei Jahre nach der Dreifachkatastrophe leben weiterhin rund 267.000 Menschen in containerähnlichen Behelfsgebäuden oder anderen vorübergehenden Unterkünften.

Niemand angeklagt

Juristisch zur Verantwortung gezogen wurde für die Katastrophe bisher niemand. „Es gibt viele Opfer, aber keine Anklagen“, sagte Ruiko Muto, Organisatorin einer Demonstration Anfang März in Tokio. Im Jahr 2012 reichten 15.000 Betroffene eine Klage gegen den AKW-Betreiber TEPCO ein. Im September 2013 entschied die Staatsanwaltschaft jedoch, keine Anklage zu erheben. Dagegen läuft ein Berufungsverfahren.

Karte der japanischen Ostküste

APA/ORF.at

Ein Erdbeben der Stärke neun löst 2011 eine gigantische Flutwelle aus. Im Atomkraftwerk Fukushima I fällt die Reaktorkühlung aus.

Der Wiederaufbau der Region Tohoku im Nordosten des Landes kommt nur schleppend voran. Regierungschef Abe versprach am Montag, die Arbeiten in diesem Jahr zu beschleunigen. Derweil dauert die Krise im havarierten AKW an. Erst im Februar traten aus einem Speichertank mindestens 100 Tonnen radioaktiv verstrahltes Wasser aus.

Experten kritisieren weiter massive Mängel

Greepeace, Global 2000 und eine internationale Expertengruppe kritisierten am Montag, dass Japan aus Fukushima nicht gelernt habe. Die zerstörten Kernkraftwerksblöcke seien noch immer nicht unter Kontrolle, und Bevölkerung sowie zuständige Entscheidungsträger würden über bestehende Risiken weiterhin nicht ausreichend informiert, bemängelte die Vereinigung International Nuclear Risk Assessment Group (INRAG), die anlässlich des Jahrestages von Experten in Wien gegründet wurde. Die Initiative dafür ging vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur Wien aus.

Als einen der Hauptgründe für die Katastrophe sieht die INRAG, dass keine unabhängige Atomaufsicht existiert habe. „Die in sich geschlossene nukleare Gesellschaft aus Betreibern, Regierungsstellen und Aufsichtsbehörden hat dies verhindert“, heißt es in einer Aussendung der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, wo sich derzeit auch die Geschäftsstelle der INRAG befindet.

Greenpeace: „Nichts gelernt“

„Dass die japanische Regierung nichts aus der nuklearen Katastrophe gelernt hat, zeigen die Pläne des Ministerpräsidenten Shinzo Abe, der ankündigte, einige der 48 stillgelegten Reaktoren wieder hochfahren zu wollen“, so Julia Kerschbaumsteiner, Atomkraftsprecherin von Greenpeace. Der AKW-Betreiber komme für die wahren Kosten der Katastrophe nicht auf, kritisierte Kerschbaumsteiner. Entsprechende Konventionen schützten nicht die Bevölkerung, sondern die Atomindustrie.

„Herumstümpern der Behörden“ Ende bereiten

„Die Betreibergesellschaft TEPCO ist heillos überfordert mit der Aufgabe, die ständig neu auftretenden Probleme unter Kontrolle zu bekommen“, so Global 2000. Die Regierung Abe sei mehr daran interessiert, die noch nicht explodierten Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen, als sich der Herausforderung der Verstrahlung der Bevölkerung „adäquat“ zu stellen. Global 2000 forderte ein Mandat für die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) zur Überwachung und Kontrolle auch ziviler Nuklearanlagen, um dem „Verschleiern und Herumstümpern der japanischen Behörden ein Ende zu bereiten“.

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