Streit um Jerusalem als Auslöser
Vor 158 Jahren, am 30. März 1856, haben die europäischen Großmächte in Paris einen Friedensvertrag unterzeichnet, mit dem der seit 1853 währende Krim-Krieg, einer der größten Konflikte im Europa des 19. Jahrhunderts, beendet wurde.
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Der Friede bedeutete eine entscheidende Veränderung im Kräfteverhältnis der europäischen Staatenwelt und den Zusammenbruch des Systems der nach dem Wiener Kongress von 1814/15 geschaffenen „Heiligen Allianz“ der Mächte Österreich, Russland und Preußen, dem danach die meisten europäischen Staaten beigetreten waren. Anlass für den Krieg waren Streitereien zwischen katholischen und orthodoxen Geistlichen um die heiligen Stätten in dem damals zum Osmanischen Reich gehörenden Palästina. In den Krieg schalteten sich in der Folge Russland sowie die Westmächte Großbritannien und Frankreich ein.
Zar Nikolaus I. forderte in einem Ultimatum an Konstantinopel, die russische Schutzherrschaft über die orthodoxen Christen im Osmanischen Reich anzuerkennen. Dieses Ultimatum wurde von der durch die Westmächte dazu ermutigten Hohen Pforte abgelehnt. Auf das Eindringen russischer Truppen in die Donau-Fürstentümer Moldau und Walachei (heute Teile Rumäniens) reagierten die Türken am 29. September 1853 mit der Kriegserklärung an Russland.
Russland griff türkische Schiffe an
Am 5. Dezember 1853 trat in Wien eine Konferenz der europäischen Großmächte Österreich, Preußen, Frankreich und Großbritannien zusammen, die sich um die Beilegung des russisch-türkischen Konflikts bemühte. Die von der Konferenz vorgeschlagenen Friedensbedingungen wurden aber von Russland abgelehnt. Am 28. April 1854 vereinbarten Österreich und Preußen, mit Waffengewalt gegen Russland vorzugehen, falls St. Petersburg eine Annexion der Donau-Fürstentümer oder einen militärischen Einmarsch auf dem Balkan beabsichtige.
Schon vorher, am 28. März, waren türkische Schiffe im Schwarzen Meer durch die Russen vernichtet worden. Nun schalteten sich die Westmächte in den Konflikt ein, der dadurch europäische Dimensionen annahm. Sie entsandten am 14. September ein Expeditionskorps auf die Halbinsel Krim zur Belagerung des Hafens Sewastopol. Österreich schloss sich den Westmächten an, ohne aber direkt in den Krieg einzugreifen - ein klassisches Beispiel einer „aktiven Neutralität“.
Rund 300.000 österreichische Soldaten marschierten an den Grenzen zu Russland und zu den Donau-Fürstentümern auf. Mit dieser drohenden Haltung wurde Russland zum Rückzug seiner Truppen aus der Moldau und der Walachei gezwungen, die nach dem September 1854 bis nach dem Friedensschluss von den Österreichern besetzt wurden.
Extrem blutiger Stellungskrieg
Der Krieg, der erste Stellungskrieg der modernen Kriegsgeschichte, verlief äußerst blutig. Erschwerend kamen Schlechtwetter und eine Choleraepidemie dazu, die unter den Soldaten zahlreiche Opfer forderten. So war von den 300.000 französischen Soldaten, die Kaiser Napoleon III. zur Unterstützung der Hohen Pforte entsandt hatte, ein Drittel durch Krankheiten und durch die Kälte umgekommen. Fast gleiche Verluste hatten die Briten zu beklagen.
Das erste Zusammentreffen der Franzosen, Briten und Russen bei Alma forderte etwa 2.500 Menschenleben. Bei einer britischen Kavallerieattacke bei Balaklawa am 25. Oktober 1854 fielen über 500 Reiter. Endgültig zum Rückzug wurden die Russen nach der Schlacht bei Inkerman am 5. November gezwungen, bei der 12.000 Mann fielen.
Belagerung von Sewastopol
Am 2. März 1855 starb Zar Nikolaus I., die Nachfolge trat sein Sohn Alexander II. an. Kurz darauf, am 15. März, begannen in Wien erste Friedensverhandlungen, die aber an verschiedenen von Russland gestellten Bedingungen scheiterten.
Erst nach dem Fall von Sewastopol am 10. September 1855 gaben die Russen, die ohne Eisenbahnen keinen ausreichenden Nachschub organisieren konnten, den Krieg auf der Krim auf, in den sich im Laufe des Jahres 1855 auch Sardinien-Piemont auf der Seite der Westmächte eingeschaltet hatte. Doch dauerten im Nordkaukasus Kämpfe gegen die islamischen Bergvölker noch jahrelang an, im Süden war den Russen am 28. November 1855 die Einnahme der türkischen Festungsstadt Kars gelungen.
Friedensverhandlungen in Paris
Am 26. Februar 1856 begannen die endgültigen Friedensverhandlungen in Paris. Den Vorsitz führte der damalige französische Außenminister Alexander Joseph Graf Walewski, ein Sohn Napoleons I. aus seiner Verbindung mit der polnischen Gräfin Maria Walewska. Zu den Verhandlungen wurde Preußen erst nach diplomatischem Protest hinzugezogen. Österreich protestierte zunächst gegen die Teilnahme von Sardinien-Piemont an den Verhandlungen, Frankreich setzte aber seine Vertretung durch.
Im Pariser Frieden vom 30. März 1856 verzichtete Russland auf das Protektorat über die unter türkischer Oberhoheit gebliebenen Donau-Fürstentümer Moldau und Walachei und über die orthodoxen Christen im Osmanischen Reich. Russland trat die Donau-Mündung und das südliche Bessarabien an das Fürstentum Moldau ab, erkannte die Freiheit der Donau-Schifffahrt unter internationaler Kontrolle an und gab Kars an die Hohe Pforte zurück.
Schwarzes Meer entmilitarisiert
Russland musste der Pontusklausel zustimmen: Das Schwarze Meer wurde entmilitarisiert und neutralisiert, der Dardanellen-Vertrag von 1841 (Durchfahrtverbot für alle nicht osmanischen Kriegsschiffe durch Bosporus und Dardanellen) von 1841 wurde bestätigt. Von diesen Verpflichtungen sagte sich Russland 1870 los, was in einer Konferenz in London im gleichen Jahr bestätigt wurde. Die europäischen Mächte garantierten das Osmanische Reich in seinem territorialen Bestand sowie den Schutz der Christen in diesem Reich.
Harald Krachler, APA
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