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Währung stürzt ab, Regale sind leer

In Venezuela wird es für Präsident Nicolas Maduro immer schwieriger, das Erbe seines vor einem Jahr verstorbenen Vorgängers Hugo Chavez zu retten. Die Unzufriedenheit mit dem autoritären Stil der Regierung, der wirtschaftlich desolaten Lage und der enormen Kriminalität steigt von Tag zu Tag. Gemeinsam ergeben diese drei Faktoren ein explosives Gemisch, das sich seit Wochen in Protesten entlädt.

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Maduro weiß sich bisher offenbar nicht anders zu helfen als mit Rundumschlägen gegen „faschistische Banden“ und andere reale und virtuelle Gegner, die das Land destabilisieren wollten. Parallel dazu kam es zu Hunderten Festnahmen von Regierungsgegnern. Am Samstag kam es bei Protesten gegen Maduro erneut zu gewaltsamen Zusammenstößen. 41 Demonstranten, unter ihnen acht Ausländer, seien festgenommen worden, hieß es in einer von staatlichen Fernsehsender VTV verbreiteten Erklärung.

Die Entsendung eines Fallschirmjägerbataillons in die Protesthochburg San Cristobal im Westen des Landes vor einigen Tagen sprach ebenfalls eine deutliche Sprache. Dem US-Sender CNN drohte Maduro mit Abschaltung. Die Situation im Land, vor allem die wirtschaftliche, hat sich seit Maduros Amtsantritt im April des Vorjahres - er hatte die Amtsgeschäfte des Präsidenten wegen Chavez’ schwerer Erkrankung faktisch schon 2012 übernommen - nicht verbessert.

Demonstranten flüchten vor Tränengas

APA/AP/Fernando Llano

Demonstranten versuchen, eine Straße in Caracas zu blockieren

Die jährliche Teuerungsrate lag zuletzt bei astronomischen 56 Prozent. Die Währungsreserven des Landes schrumpfen trotz Einnahmen von laut „Financial Times“ („FT“) rund 100 Mrd. Dollar (rund 73 Mrd. Euro) pro Jahr aus dem Erdölexport.

Schwarzmarkt: Schattenseite der Regulierung

Um die explodierende Inflation zu bremsen, verfügte Maduro zuletzt eine Art gesetzliche Preisbremse mit gleichzeitiger Androhung von Haftstrafen für die „Destabilisierung der Wirtschaft“. Gleichzeitig wurde den Venezolanern ein Limit für Kreditkartenzahlungen im Ausland verordnet, um die Kapitalflucht aus dem Land zu drosseln.

Doch auch diese Schüsse dürften nach hinten losgehen, zitierte die „FT“ den Wirtschaftswissenschaftler Humberto Garcia von der Universidad Central de Venezuela (UCV). Jeder weitere Regulierungsschritt würde in Wirklichkeit nur die Schwarzmarktpreise noch weiter nach oben treiben.

Schwarzmarktkurs für Dollar steigt

Die Preiskontrollen würden „perverse Impulse, die nur Spekulation und Verknappung“ verstärkten, schaffen. Der Dollar würde weiter gegen den Bolivar aufwerten und „Preise und Mangel an Milch, Speiseöl, Toilettenpapier verschärfen“.

Der Schwarzmarktwert des Dollar macht laut „FT“-Bericht mittlerweile das Zehn- bis Zwölffache des offiziellen Wechselkurses aus. Anders gesagt: Der neuerdings geltende Mindestlohn von 519 Dollar ist auf dem Schwarzmarkt im besten Fall 52 Dollar wert. Für 2014 peilt die Regierung ein Wachstum von vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an, die Teuerungsrate will sie halbieren. Wie Letzteres gelingen soll, ist in der derzeitigen Situation schwer vorstellbar.

Kein Rezept gegen ausufernde Kriminalität

Ein weiteres, ganz zentrales Problem Venezuelas neben andauernden Versorgungsengpässen und Hyperinflation ist die ausufernde Gewaltkriminalität. Gegen diese hat weder Maduro ein Rezept noch hatte es Chavez. Zuletzt geriet das Thema wieder in die Schlagzeilen, als die ehemalige Miss Venezuela, Monica Spear, vor den Augen ihrer fünfjährigen Tochter bei einem Überfall getötet wurde.

Als sich noch unter Chavez’ Präsidentschaft die venezolanische Tageszeitung „El Nacional“ mit dem Problem Gewaltkriminalität auseinandersetzte und ein Cover mit Bildern von Mordopfern aus einem Leichenschauhaus in Caracas zeigte, ließ der „Comandante“ die Veröffentlichung derartiger Bilder verbieten, berichtete damals die „New York Times“ („NYT“).

Symptomatisch: Kopf in den Sand

Chavez reagierte damit auf eine Weise symptomatisch, wie es auch sein Nachfolger Maduro tut. Probleme und Missstände werden totgeschwiegen, Kritiker als Feinde der Revolution, „Faschisten“ und „Putschisten“ gegeißelt.

„El Nacional“ berichtete 2010 von rund 15 Millionen illegaler Schusswaffen im Land - bei einer Bevölkerungszahl von damals rund 28 Millionen, die „NYT“ davon, dass ein Jahr zuvor in Venezuela mehr Menschen ermordet worden seien, als es 2009 zivile Opfer im Irak oder im mexikanischen Drogenkrieg gegeben habe.

Die konkreten Zahlen dazu gehen weit auseinander: Die Regierung spricht von einer Mordrate - Tendenz sinkend - von 39 unter 100.000, die Nichtregierungsorganisation (NGO) Oberservatorio Venezolano de Violencia von 79 und einer Vervierfachung in den letzten 15 Jahren. In der Hauptstadt Caracas würden von 100.000 Menschen jährlich 200 Opfer eines Mordes. Damit stellt Caracas die Hauptstadt des Nachbarlandes Kolumbien, Bogota, die eine internationale Drehscheibe des Kokainhandels ist, deutlich in den Schatten. Über 90 Prozent der Morde in Venezuela blieben ungeklärt.

Reale Auswirkungen auf die Wirtschaft

Die enorme Kriminalität koste das Land rund fünf Prozent seines BIP, schätzte Ende Jänner Jorge Restrepo von der Universität Javeriana in Bogota gegenüber der „Bloomberg Businessweek“. Der Präsident der venezolanischen Handelskammer, Jorge Roig, sagte, Bewaffnete Banden erpressten Unternehmen in so gut wie allen Sektoren, die Gewalt halte Firmen davon ab, sich im Land niederzulassen. Inzwischen böten Kinos in den Städten teils keine Abendvorstellungen mehr an, weil die Menschen bei Dunkelheit aus Angst ihre Wohnungen kaum noch verließen.

Chavez starb am 5. März des Vorjahres im Alter von 58 Jahren nach einer jahrelangen schweren Krebserkrankung. Er hatte mehrere Operationen und Chemotherapien, zuletzt in Kuba, hinter sich. So umstritten Chavez im Westen war, war er neben dem kubanischen Revolutionär und späteren Regierungschef Fidel Castro eine der Ikonen der Linken in Südamerika. Nach dem Tod des „Comandante“ wurde am 14. April eine Präsidentschaftswahl abgehalten, bei der sich Maduro gegen den Oppositionskandidaten Henrique Capriles durchsetzte.

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