Russische Flagge gehisst
Auf der ukrainischen Halbinsel Krim haben bewaffnete Männer offenbar in den frühen Morgenstunden des Donnerstags die Gebäude von Parlament und Regionalregierung in der Stadt Simferopol besetzt. Parlamentsführer Refat Tschubarow - selbst Teil der ukrainischen Bevölkerungsgruppe der Tataren - bestätigte entsprechende Pressemeldungen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Die Männer trügen Uniformen ohne erkennbare Kennzeichen, zitierten mehrere Medien eine Facebook-Botschaft von Tschubarow. Es habe zunächst keine Forderungen gegeben. Unter Berufung auf Behördenangaben berichtete die russische Agentur Interfax, die Männer hätten sich mit Waffengewalt Zutritt zu dem Gebäude verschafft. Das Regierungsgebäude der autonomen Halbinsel war schon seit Tagen Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen Ukrainern und prorussischen Gruppierungen, vor allem Kosaken, gewesen.
Zugänge von innen verbarrikadiert
Die rund 30 bis 50 Besetzer des Parlaments dürften prorussische Milizionäre sein. Sie sollen mit modernsten Waffen ausgestattet sein und haben die Parlamentswachen aus dem Gebäude gedrängt. Laut Augenzeugen wurde über dem Gebäude die russische Flagge gehisst, die Zugänge wurden von innen verbarrikadiert. Etwa hundert Polizisten marschierten vor dem Gebäude auf, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Krim-Regierungschef Anatoli Mohiljow wollte mit den Männern verhandeln, kündigte aber auch nicht näher genannte „Maßnahmen“ an.
Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow sagte, Spezialeinheiten der Polizei seien in Bereitschaft versetzt worden. Damit solle ein „Blutbad unter der Zivilbevölkerung“ vermieden werden. Das Stadtzentrum sei abgeriegelt worden. Awakow sprach von „Provokateuren“ und rief dazu auf, „einen kühlen Kopf“ zu bewahren. Die Mehrheit der Krim-Bewohner sind ethnische Russen. Der Hafen Sewastopol beherbergt den Stützpunkt der russischen Schwarzmeer-Flotte. Moskau hatte den Konflikt zuletzt selbst angeheizt.
Russischer Gesandter einberufen
Parallel dazu finden derzeit Übungen der russischen Streitkräfte in unmittelbarer Nähe zur Krim statt. Das ukrainische Außenministerium ist um Aufklärung bemüht und bestellte am Donnerstag den russischen Gesandten in Kiew ein. Man wolle sofortige Konsultationen mit der russischen Regierung, hieß es aus dem ukrainischen Außenministerium.

APA/ORF.at
Russland versetzte Kampflugzeuge an der Westgrenze in Kampfbereitschaft und kündigte an, seine Landsleute in der Ukraine zu schützen. Gleichzeitig findet eine Truppenübung mit 150.000 Soldaten verschiedener Waffengattungen statt, wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch bekanntgab: „Alle Panzer werden schießen, alle Flugzeuge werden im Kampfmodus fliegen.“
Chaos in Sewastopol
Die „dringliche Übung“ stehe in Einklang mit internationalen Verträgen, versicherte Schoigu. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bestätigte, dass die Manöver ordnungsgemäß angezeigt worden seien. Er forderte am Donnerstag Russland jedoch auf, alles zu unterlassen, was zur Eskalation der Lage in der Ukraine oder zu Missverständnissen führen könnte. Auch die Ukraine zeigt sich beunruhigt: Sollten sich Angehörige der Schwarzmeerflotte „unangemeldet außerhalb der festgelegten Zonen“ bewegen, werde dies als „militärische Aggression“ gewertet, sagte Interimspräsident Alexander Turtschinow am Donnerstag in Kiew.
Moskau ließ die russischen Militärstützpunkte in Sewastopol de facto vom Militär abriegeln. Seit Tagen herrschen dort chaotische Zustände. Moskautreue Kräfte richteten „Grenzposten“ zur Ukraine ein. Als neuer Bürgermeister agiert der Russe Alexander Tschalyi, dessen einzige Legitimierung dazu die Kür per Straßenabstimmung ist. Die neue Führung der Ukraine hat de facto keine Kontrolle mehr über weite Teile der Krim.
Jazenjuk: Neues Kabinett steht
Unterdessen wird in Kiew fieberhaft an einer neuen Regierung gearbeitet. Alle Unterlagen für die Koalitionsbildung im ukrainischen Parlament seien vorbereitet worden, das Abkommen darüber schon unterzeichnet, erklärte der interimistische Premier und Fraktionschef der Partei Batkiwschtschyna (Vaterland), Arseni Jazenjuk, gegenüber Journalisten am Donnerstag.
Mit einer funktionstüchtigen Regierung will er Abspaltungstendenzen so rasch wie möglich eindämmen. Doch die Probleme, denen er sich stellen muss, sind gravierend. Die Ukraine steht vor dem Staatsbankrott und braucht laut Jazenjuk allein heuer dringend Hilfe im Ausmaß von mindestens 35 Milliarden US-Dollar (25,5 Mrd. Euro). Bisher hatte Moskau die Ukraine finanziell stark unterstützt.
Mit dem Umsturz und der Absetzung des bisherigen kremltreuen Präsidenten Viktor Janukowitsch stoppte Russland den Geldfluss. Der Westen zögert und will mit Stand von Mittwochabend vorerst nur rund 2,5 Mrd. Dollar bereitstellen. US-Außenminister John Kerry mahnte zwar, dass „jedes Land die territoriale Unversehrtheit und die Souveränität der Ukraine respektieren sollte“. Zugleich betonte er aber: „Was wir jetzt nicht brauchen, ist eine alte Konfrontation nach Art des Kalten Krieges.“
Links: