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Der Jahrmarkt der Hässlichkeit

Ein Salz- und Pfefferstreuer in Form einer nackten Frau, Plastik-Weihwasserbehältnisse in Form der Jungfrau Maria und richtig hässliches Geschirr: Im Wiener Hofmobiliendepot ist derzeit die Ausstellung „Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks“ aus dem Berliner Werkbundarchiv - Museum der Dinge zu Gast. Gezeigt werden rund 500 Exponate, die allesamt ohne Umweg direkt aus der Souvenir-, Devotionalien- und Scherzartikelhölle zu kommen scheinen.

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Da wird auf ebenso unterhaltsame wie erschreckende Weise klar: Der Mensch ist zu unheimlich schlechtem Geschmack fähig, ob wissentlich oder in unschuldiger Naivität, ist dabei völlig egal. Doch die Ausstellung geht glücklicherweise viel tiefer, als sich nur über Kitsch und Krempel lustig zu machen. Vielmehr wird vermittelt, warum es nicht genug ist, einen bestimmten Stil zum allein gültigen zu küren, den eigenen Geschmack als Maß aller Dinge zu begreifen oder jenen anderer Menschen ins Lächerliche zu ziehen.

Ausstellungsexponate

ORF.at/Zita Köver

Ein Tixo-Popsch für den Schreibtisch

Dafür haben sich die Berliner Kuratorinnen Renate Flagmeier und Imke Volkers Gustav E. Pazaurek als Leitfigur für die Ausstellung gewählt, besser gesagt, dessen Kriterienkatalog zur Einteilung von Objekten in „gut“ und „böse“, „schön“ und „hässlich“.

„Schundwaren“ und „Hausgreuel“ am Pranger

Pazaurek, Mitglied im Deutschen Werkbund und Direktor des Stuttgarter Landesgewerbemuseums, gründete 1912 die „Abteilung der Geschmacksverirrungen“, um damit „Schundwaren“ und „Hausgreuel“ als abschreckende Beispiele an den Pranger zu stellen. Zur Kategorisierung diente ihm eine sehr komplexe Systematik, nach der Objekte klassifiziert wurden. Die drei Hauptkategorien (Material-, Konstruktions- und Dekorfehler) gliedern sich in zahlreiche Unterkategorien, dazu kommt ein Kapitel, das sich ausgiebig den verschiedenen Varianten des Kitschs widmet.

Der Deutsche Werkbund

Der Deutsche Werkbund wurde 1907 gegründet und verstand sich als pädagogische Instanz zur Durchsetzung der angestrebten ästhetisch und moralisch „guten Form“. Als Instrumente dafür dienten Mustersammlungen, Bücher und Zeitschriften - unter anderem zu den Themen Wohnen und Einrichten -, in denen stets ganz klar und deutlich zwischen Gut (Schön) und Böse (Hässlich) differenziert wurde.

Mit dem Kriterienkatalog wurde nun einerseits das „Schreckenskabinett“ von damals rekonstruiert, andererseits wurde versucht, aktuelle Gestaltungstendenzen unter die Lupe zu nehmen. Das ist nicht immer ganz unproblematisch, denn wie Flagmeier auch im Katalog schreibt, erinnern viele der radikalen Sätze Pazaureks frappierend an die später verwendete Nomenklatur des Nationalsozialismus, etwa im Bereich der „Entarteten Kunst“.

Geschmack kann man nicht verordnen

Tatsächlich war der Museumsleiter von recht unerbittlicher Härte in seinem Kampf gegen die „Vergiftung des guten Geschmacks“, dennoch hielt er fest, dass es zwar in der Ästhetik nie einen kategorischen Imperativ geben könne, dass aber „die kulturell Höherstehenden“ trotzdem „die edle moralische Verpflichtung“ hätten, „nicht mit verschränkten Armen teilnahmslos zuzusehen, wie sich der Ungeschmack verbreite.

Ausstellungsexponate

ORF.at/Zita Köver

Auch Musterbeispiele des (nach Ansicht Pazaureks) guten Geschmacks werden gezeigt

Im Hofmobiliendepot wird nun gezeigt, wie man dennoch verhindern wollte, dass sich der schlechte Geschmack ausbreitet, und dazu gehört nicht nur die Ausstellung der „Bösen“, sondern auch die Veranschaulichung „guter Dinge“ wie etwa eine Werkbundkiste, mit der Schülern schönes Design nähergebracht werden sollte. Als Gegenpol dazu baut sich die Ausstellung nach der Fehlersystematik Pazaureks auf, die zusätzlich durch Begleittexte erläutert wird. Da finden sich etwa „Material-Vergewaltigungen“ wie ein Teeservice mit Korkoberfläche, „Konstruktionsattrappen und Künstlerscherze“ wie ein Tintenfass in Form eines Totenschädels und „Unpassende Schmuckmotive“ wie eine Stehlampe mit einem goldenen Gewehr als Standfuß.

Zeitgenössischer Massentrash und Kunst

Dazu haben sich die Kuratorinnen aber auch zeitgenössische Produkte, vom Massentrash (wie etwa einem Helm mit Bierdosenhalterung) bis zu Kunstwerken (etwa Leihgaben aus dem Museum für angewandte Kunst) gesucht, die sie anhand der Pazaurek’schen Systematik einzuordnen versuchten. Weil es, wie Vokers und Flagmeier beschreiben, heute schwieriger scheint, eindeutige „Fehlerkategorien“ auszumachen, hätten sie versucht, den Katalog um heutige Kategorien zu ergänzen.

Ausstellungsexponate

ORF.at/Zita Köver

Die Ausstellung ist mehr als eine Anhäufung von subjektiv betrachtet „bösen“ Dingen, sondern zeigt die Grenzen der Objektivierung von gutem Geschmack auf

Damit sind es nicht mehr nur Ästhetik und Material, die in die Bewertung einfließen, sondern auch soziale und ökologische Faktoren. Umweltverschmutzung, unfaire Produktionsbedingungen und Kinderarbeit sind damit ebenso ausschlaggebend dafür, dass Produkte auf die Liste und damit in die Ausstellung der „bösen Dinge“ gelangen, wie sexistische oder rassistische Gestaltung. Auch die geplante Obsoleszenz, also vom Hersteller erwünschter Verschleiß, wird thematisiert, was auch auf den ersten Blick gar nicht hässliche Gegenstände wie einen iPod ins Ausstellungsregal bringt.

Warum hässliche Dinge nicht böse sind

Auch wenn damit der Begriff des „Bösen“ einmal mehr ausgeweitet wird, zeigt die Ausstellung dennoch hauptsächlich, dass es genauso einfach wie falsch sein kann, in Sachen guter Geschmack allzu belehrend oder engstirnig zu sein. Schon alleine weil anzunehmen ist, dass die Kuratorinnen den Titel „Böse Dinge“ mit Absicht gewählt haben, obwohl vermutlich nichts in der Ausstellung tatsächlich böse ist, dafür umso hässlicher. Und genau da steckt die Ironie.

Ausstellunghinweis

„Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks“, von 19. Februar bis 6. Juli, Hofmobiliendepot Wien, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, montags geschlossen. Zur Ausstellung ist ein Katalog (203 Seiten, 15 Euro) erschienen.

Lachen darf man jedenfalls in der Ausstellung. Und weil dem schlechten Geschmack auch wirklich keine Grenzen gesetzt sind, ruft das Hofmobiliendepot die Besucher der Ausstellung auf, selbst „böse“ Objekte beizusteuern. Gefragt sind Dinge, die man selbst verschenken würde, die man aber nicht bekommen möchte. Die ideale Gelegenheit also loszuwerden, was man nicht dem ungeliebtesten Kollegen schenken würde (oder was man von dem zuletzt geschenkt bekam). Aus logistischen Gründen nicht erwünscht ist alles, was höher, breiter und tiefer als 25 Zentimeter ist oder noch lebt. Bis zur Finissage der Ausstellung im Juli werden die eingebrachten Beiträge ausgestellt, dann werden sie verkauft - der Erlös kommt dem Neunerhaus und damit Obdachlosen zugute.

Sophia Felbermair, ORF.at

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