Traum und Wirklichkeit
„Die Gefühle haben Schweigepflicht“ heißt ihr originellster Songtitel und gleichzeitig einer ihrer größten Hits. An dieses Motto hält sich „Schlagerkönigin“ Andrea Berg aber nicht - auch nicht am Samstag in der Wiener Stadthalle, wo sie vor ausverkauftem Haus sehr viel über Gefühle sang. Und über Träume. Denn auf dem neuen Album „Atlantis“ zeigt sie vor allem eines: Die Liebe muss man sich schönträumen.
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„Die Liebe ist ein seltsames Spiel“, sang Connie Francis 1960. Mehr als 50 Jahre später ist die Liebe für Berg kein Spiel mehr, sondern bitterer Ernst. Und irgendwie scheint das den Nerv der Zeit zu treffen, denn anders ist ihr Erfolg nicht zu erklären.
Unfassbare Erfolge
Die 48-Jährige hat in ihrer seit 1992 laufenden Karriere 13 Millionen Tonträger verkauft. Ihre letzten sechs Alben erreichten alle die Spitze der Charts in Österreich und Deutschland. Und ihre erste Best-of-Platte hält sich mittlerweile unfassbare 580 Wochen in der heimischen Hitparade: Eigentlich sollte man denken, dass die Platte nach zehn Jahren jeder Haushalt, der sie haben mag, auch bereits hat.

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Die „Schlagerkönigin“ in blauer Robe - viele andere Farben sollten noch folgen
Strittig macht ihr den Schlagerthron nur eine: Helene Fischer, 29-jährige Schlagerprinzessin, die noch dazu mit Florian Silbereisen, Showmoderator für volkstümliche Musik, liiert ist. Zeitweise wurden vergangenes Jahr fünf der Top-Ten-Plätze der heimischen Albumcharts von Berg und Fischer besetzt.
DJ Bobo und Dieter Bohlen als Kollaborateure
Auch Bergs aktuelle CD ist ein Riesenerfolg. Und das Thema Atlantis sollte auch optisch umgesetzt werden, die Bühne als versunkene Stadt. Verantwortlich für die Show ist übrigens DJ Bobo. Der Schweizer hat auch einen Teil der Songs für das Doppelalbum „Atlantis“ beigesteuert, die Lieder der ersten CD stammen von Dieter Bohlen, der schon die beiden Vorgängeralben geschrieben und produziert hat.

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Hinweis für Bühnenbildner: Treppen sollten auch mit Stöckelschuhen in Würde zu bewältigen sein
Musikalisch sind die Lieder der ehemaligen Arzthelferin Massenware im Einheitssound: derselbe Beat, dasselbe Keyboard, die seit Jahrzehnten unveränderte Schlagermelodieführung. Sogar die Fans in der 20-minütigen Pause scheiterten daran, außer „Du hast mich tausendmal belogen“ einen zweiten Hit nachzugrölen. „Biene Maja“ musste dann herhalten.
Dich kenn’ ich doch ...
Und die paar Nummern, die sich ein wenig abheben, kommen einem dann seltsam bekannt vor: „Wirst du mich lieben“ erinnert frappant an Bob Segers „We’ve Got Tonight“, das vor allem durch die Version von Kenny Rogers und Sheena Easton bekannt wurde. Der Refrain von „Hallo“ ähnelt dem von Limahls „Never Ending Story“.
Und bei „Piraten wie wir“ wurde gegen „Komponist“ Bohlen Plagiatsverdacht angemeldet, weil der Song schon sehr an Tina Turners „The Best“ erinnert. Das ist insofern erstaunlich, weil Bergs „Endlich Du“ von 2010 auch schon der Strophe von „The Best“ sehr nahekommt. Eine geborgte Idee, zwei Songs, das ist ökonomisch.
Aus lang mach kurz
Auch etliche der einstudierten Posen Bergs wirken ein bisschen Tina-Turner-artig. Immerhin tritt sie bei dieser Tour erstmals nicht in Lederkluft auf, dafür gibt es unzählige Kostümwechsel, auch mitten auf der Bühne: Auftritt mit langem Kleid, das fetzt dann irgendwer weg - und darunter erscheint ein kurzer Glitzerfummel. Das kennt man schon von Bergs Fernsehshowauftritten, und davor war das wohl einmal bei Song-Contest-Darbietungen modern. Dass sie immer wieder hölzern über die Bühne stelzt, ist egal, denn irgendwann zieht sie reichlich inszeniert die Schuhe aus - und dann geht’s.

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Berg, hier schon vom langen Kleid befreit
Musik mit Freunden
Eine insgesamt achtköpfige Band rund um Frank Buohler im Römerlegionärenlook an den Keyboards werkte so weit unauffällig. Im „intimen“ Rahmen, auf dem Laufsteg vor dem Publikum, sollte gegen Ende des Abends noch der Eindruck der musizierenden Freunde erweckt werden. Auch mit dabei waren Coverversionen wie Drafi Deutschers „Marmor, Stein und Eisen bricht“ und Peter Alexanders „Das kleine Beisl“ (Berg singt: „Beiserl“). Insgesamt schien das meiste, was zu hören war, auch tatsächlich live produziert worden zu sein - wiewohl ja die Schlagerbranche ein recht unbekümmertes Verhältnis zum Playback hat: Musik vom Band gehört da quasi zum guten Ton.
Getanzt wurde auch
Zur Band gesellten sich vier Überlebende eines Fernsehballetts, die hauptsächlich die Themenbereiche Liebe und Leid pantomimisch nachstellten. Während der Coverversion von „What a feeling“ aus dem Soundtrack zu „Flashdance“ (Berg: „Ein romantischer Film der 80er Jahre, der unter Wasser spielt“, wohl als Scherz gedacht) musste eine der Tänzerinnen auch noch unter die Bühnendusche, eine Szene, bei der man wegen Softpornoalarms den paar Kindern im Publikum, die Oma begleiten mussten, gerne die Augen zugehalten hätte.
Du, du, du
Es sind aber vor allem die Texte, die offenbar einen Nerv treffen. Und das ist schon erstaunlich. Denn würde ein braver Deutschlehrer diese korrigieren, gäbe es nur ein Urteil: Wortwiederholung. Bei „Traum“, „Vulkan“, „Hoffnung“, „Nacht“, „Morgen“, „Stern“, „Licht“, „Nacht“, „Herz“ und „Fliegen“. Und: „Ich“ und „Du“.

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Ausdruckstänzer als Stellvertreter für das große Du
Berg besingt andauernd das Du. Es ist der Mann, ohne den es nicht zu gehen scheint, sehr oft aber auch nicht mit ihm. Und den muss sie sich dann schönträumen. Ein „radikales antifeministisches Projekt“ nannte das der Autor Georg Seeßlen vergangenes Jahr in einem recht scharf geratenen Text in der Zeitschrift „Freitag“.
Wenn Träume dann doch enden
Es gibt aber auch andere Lieder: die vom neuen Anfang. „Du bis mein Neubeginn“, singt Berg, „lässt mich Gefühle wieder spüren.“ Und sie singt nicht von der Trennung vom ersten Freund mit 17. Es geht um die Generation 50 plus, für die die Versprechungen von ewiger Treue und „bis dass der Tod Euch scheidet“ dann doch an der Realität zerschellen und die sich dann alleine wiederfinden mit Kindern, Kredit und zu großem Haus im Grünen.
Und damit ist Berg trotz auf den ersten Blick kryptisch-diffuser Textzeilen plötzlich sehr nahe an den realen Lebenswelten. Und die thematische Zielgruppe spiegelt sich auch im Publikum wieder. Die Hälfte der Stehplätze musste für zusätzliche Tribünen weichen, angereist wurde gerne im Familienverbund, durchaus auch aus dem Wien umgebenden Bundesland.

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Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos
Von den „Stürmen des Lebens“ spricht Berg, die hölzern wirkend einen Text zwischen den Nummern rezitiert. „Reden sollt’s ned“, meint irgendwer nebenan im Publikum. „Ihr“ Atlantis sei der Platz zum Träumen. Und sie wünsche manchmal sich einen Panzer, sagt sie dann, als eine überlebensgroße Schildkröte die Bühne betritt. Sie heißt „Sushi“ und antwortet leider nicht auf Bergs Frage, ob sie schon mal Schmetterlinge im Bauch gehabt hätte. Schildkröten sind übrigens Allesfresser.
Das große Schweigen über Schlager
Dennoch: Wieso auch immer scheint Berg authentisch zu wirken, als Identifikationsfigur zwischen Kumpeltyp und sexy Hausfrau. Und selten waren Schlager erfolgreicher als heute. Dabei gilt das Genre irgendwie als Schmuddelkind in der Musikbranche, niemand von außen streift gern an.
Während über Klassik und Pop in den Medien schwadroniert wird und sich über finnischen Minimal Electro und Geigenwunderkinder, die Vivaldi und Hendrix crossovern, Seiten füllen lassen, herrscht bei Schlager gähnende Leere. Und auch eine sonstige Auseinandersetzung gibt es kaum, wohl weil man sich dabei ordentlich die Finger verbrennen kann.
Schlager als Feindbild
Vor allem die ideologiekritischen Schriften der Frankfurter Schule der 60er und 70er Jahre, allen voran Theodor Adornos „Einführung in die Musiksoziologie“, rechneten mit dem Schlager ab - und auch gleich mit seinem Publikum: Es seien „Unmündige“, die mit der realitätsfernen Gute-Laune-Musik die Unzufriedenheit über ihr frustrierendes Leben kompensieren.
Eine derartig kulturpessimistische Sichtweise ist freilich kaum zu halten: Schlagerfans zu sagen, dass sie nur Schlagerfans sind, weil ihr Leben so armselig ist, ist nicht nur nicht besonders nett, sondern auch subjektiv falsch. Beim Konzert wirkten die meisten Menschen jedenfalls eigentlich ganz glücklich, zumindest im letzten Drittel des Konzerts, als dann ordentlich mitgeklatscht wurde.
Ist mit dem Leben nicht zu spaßen?
Wobei schon beobachtet werden kann, dass in Zeiten wirtschaftlicher Krise, Schlager zumeist Hochkonjunktur hat. In den 70er und 80er Jahren war es häufig der Traum vom Süden, vom Exotischen, der in Schlagern besungen wurde. In den 90er Jahren gab es dann eine Phase der ironischen Brechung, Schlagerpartys waren plötzlich auch für Junge irgendwie lustig, vereinzelt gab es auch Künstler wie Guildo Horn, die dem halbwegs erfolgreich Rechnung trugen.
In Bergs Konzept passt Ironie nicht - wie auch? Abgesehen von ein paar einstudierten Pointen war das Konzert durchgehend humorbefreit. Mit Leben ist offenbar nicht zu spaßen. Und Innovation im deutschen Schlager gilt offenbar seit jeher als verkaufshemmend. Geht ja auch ohne sehr gut. Am 9. August will Berg ein Konzert in der Wiener Krieau geben, 40.000 Besucher wären da möglich. Ob das zielgruppenadäquat ist - man wird sehen.
Christian Körber, ORF.at
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