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„Konservative Schweiz hat gewonnen“

„Das ist ein Donnerschlag: Das Schweizer Volk nimmt die SVP-Initiative an und stoppt die Personenfreizügigkeit mit der EU.“ Mit diesen Worten ist vom Schweizer Fernsehen (SFR) die direkte Folge des Referendums vom Sonntag zusammengefasst worden. Das knappe und für viele überraschende Ja für Zuwanderungsbeschränkungen gilt nicht nur als Ohrfeige für die Regierung - auch die Beziehung zur EU steht nun auf dem Prüfstand.

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Geht es nach dem Schweizer Präsidenten Didier Burkhalter, wird die Schweiz auch weiterhin ihren grundsätzlichen Kurs gegenüber der EU nicht ändern. Burkhalter erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass die Zusammenarbeit mit der EU stark zum Wohlstand in der Schweiz beigetragen habe. Der Schritt, eine Höchstgrenze für Einwanderer festzulegen, werde das Verhältnis zur EU nun aber ohne Frage stark prägen.

Bei der hinter der Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ stehenden rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) geht man unterdessen davon aus, dass es auch die EU nicht zu einem weitgehenden Bruch mit der Schweiz kommen lässt. Als Grund für diese Annahme wurden die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union genannt. Für den SVP-Abgeordneten Luzi Stamm muss die Regierung „nun den Willen des Schweizer Stimmvolks nach Brüssel tragen“.

Vor allem EU-Bürger betroffen

In der Schweiz müssen die auf den Weg gebrachten jährlichen Höchstzahlen und Kontingente für die Zuwanderung von Ausländern innerhalb von drei Jahren umgesetzt werden. Treffen wird die Vorlage vor allem EU-Bürger. Diese konnten bisher im Rahmen eines Freizügigkeitsabkommens seit rund zehn Jahren problemlos in das Nicht-EU-Land Schweiz ziehen, wenn sie einen Arbeitsplatz haben.

Die Zuwanderung von Fachkräften aus der EU und der praktisch freie Zugang zum riesigen EU-Markt für Schweizer Firmen gelten als Hauptfaktoren für den Wirtschaftsboom in der Schweiz. Wie die EU reagieren wird, wenn das Personenfreizügigkeitsabkommen nicht mehr gilt, ist offen. „Klar ist, dass Kontingente nicht mit der Personenfreizügigkeit vereinbart sind“, sagte die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga. „Wir werden sehen, wie die EU reagiert.“ Auf jeden Fall bedeute es Unsicherheit für die Wirtschaft, sagte Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt.

Verweis auf „Guillotine-Klausel“

Eine konkrete Umsetzung der Initiative ist nach Einschätzung des Schweizer Politologen Laurent Bernhard kaum abzusehen. „Der Initiativtext lässt einen beträchtlichen Spielraum offen“, sagte Bernhard am Sonntag der „Basler Zeitung“ (Onlineausgabe). Vieles werde sich nun auf dem diplomatischen Parkett abspielen. „Ob die EU die bilateralen Verträge mit der Schweiz tatsächlich einseitig aufkündigt, lässt sich mit dem heutigen Ja nicht sagen.“

Aufgrund der „Guillotine-Klausel“ - ein Vertrag kann nicht einzeln gekündigt werden - steht ein Paket von insgesamt sieben Verträgen zwischen der Schweiz und der EU auf dem Spiel. Darin ist nicht nur das Recht auf freien Wohn- und Arbeitsort, sondern auch der privilegierte Zugang der eidgenössischen Wirtschaft zum EU-Binnenmarkt geregelt. Damit wurde bisher der Warenverkehr mit der EU deutlich erleichtert.

Umfragen sahen Mehrheit für Nein

Dass das Argument der guten Beziehungen zur EU bei vielen Schweizer Wählern nicht mehr zieht, ist nach den Worten des Wahlforschers Claude Longchamp vom Institut Gfs.bern unterdessen ein Schnitt in der Geschichte des Landes. „Früher haben die Schweizer die wirtschaftlichen Vorteile immer höher gewichtet als die gesellschaftlichen Nachteile“, sagte er. Als Nachteile der Zuwanderung betrachten viele Eidgenossen steigende Mieten, rekordhohe Hauspreise sowie volle Straßen und Züge. Viele Schweizer sähen ihre Identität infrage gestellt. „Die konservative Schweiz hat gegen die liberale Schweiz gewonnen“, so Longchamp weiter.

Auch von der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“) ist von einer „Zäsur für die Schweiz“ die Rede. Von der Zeitung wurde zudem daran erinnert, dass die Initiatoren des Referendums sich „gegen den Bundesrat, gegen eine parlamentarische Mehrheit, gegen alle Regierungsparteien, gegen die Wirtschaft und ihre Verbände, gegen die Arbeitnehmervertreter und gegen die Empfehlungen fast aller Medien“ durchgesetzt haben.

Bis zuletzt lagen die Gegner der Initiative in Umfragen vorn. Sie sehen den Erfolg der Schweiz durch Abschottung aufs Spiel gesetzt. Die Wahlbeteiligung war mit 56 Prozent sehr hoch. Die Schweiz hat mit 23 Prozent einen besonders hohen Ausländeranteil, das Land wächst durch Einwanderer jährlich um rund 80.000 Menschen. Die seit 2000 vergleichsweise hohe Nettozuwanderung wurde durch den Bedarf Schweizer Firmen an Fachkräften ausgelöst.

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