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Beziehung zur EU infrage gestellt

Am Sonntag stimmt die Schweiz über eine Begrenzung der Zuwanderung ab. Mit der „Initiative gegen Masseneinwanderung“ fordert die nationalkonservative Volkspartei (SVP) die Wiedereinführung von Ausländerkontingenten und eine Neuverhandlung der Personenfreizügigkeit mit der EU.

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Während SVP-Präsident Toni Brunner betont, eine Ablehnung der Initiative käme einer „Kapitulation vor der maßlosen Einwanderung“ gleich, sehen die Gegner ein Schweizer Erfolgsmodell in Gefahr. Die Regierung, eine Parlamentsmehrheit und die Wirtschaftsverbände sind sich einig, dass die Personenfreizügigkeit zum Wohlstand der Schweiz beigetragen hat. Die Gegner der Anti-Zuwanderer-Initiative warnen zudem, ein „Ja“ könne die vielen bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU gefährden - von denen auch die Schweiz profitiert.

In Umfragen hat es lange Zeit so ausgesehen, als habe die Initiative an der Urne kaum Chancen. Doch gemäß der jüngsten Prognose dürfte es knapp werden: 43 Prozent wollen dafür stimmen und 50 Prozent dagegen. Zuvor wollten noch 37 dafür und 55 Prozent dagegen stimmen.

Ein Plakat gegen die Masseneinwanderung in der Schweiz

APA/EPA/Steffen Schmidt

Anti-Zuwanderer-Plakate mit martialischen Botschaften

Zuwanderung nach Zahlen

Rund 23 Prozent der acht Millionen Bewohner der Schweiz sind Zuwanderer. Am zahlreichsten sind die Italiener und Deutschen mit 291.000 beziehungsweise 284.200 Einwohnern. Es folgen den amtlichen Angaben zufolge die Portugiesen (237.000) und Franzosen (104.000). Es leben rund 38.000 Österreicher in der Schweiz. Fast 400.000 Zuwanderer kommen aus europäischen Ländern, die nicht der EU angehören.

Unentschiedene werden Ausschlag geben

Die Unentschiedenen spielen bei Schweizer Referenden meist bis zuletzt eine wichtige Rolle. Von ihnen hängt auch diesmal ab, auf welche Seite sich die Waage neigen wird. Der Wirtschaftsminister und ehemalige Unternehmer Johann Schneider-Ammann von der liberalen Partei FDP, ein Gegner der Anti-Zuwanderer-Initiative, rief seine Landsleute auf, mit dem Kopf und nicht aus dem Bauch heraus abzustimmen.

Knapp wird es auf jeden Fall. Laut dem Meinungsforschungsinstitut gfs.bern sind die Kernargumente der Zuwanderungsgegner im Prinzip in der Schweiz mehrheitsfähig - nämlich dass das Land mehr Kontrolle über die Zuwanderung haben sollte und sich durch die Personenfreizügigkeit die Lebensqualität vermindere. Die Hälfte der Befragten stellt ferner die Kriminalität in Zusammenhang mit der Zuwanderung.

Grafik zeigt Schweizer Einwohner und Anteil Ausländer sowie Herkunftsländer

APA/Margret Schmitt; ORF.at

Die schweizerische Zuwanderung in Zahlen

Politologe warnt vor „Chaos“ bei „Ja“

Ein Politologieprofessor an der Genfer Universität, Pascal Sciarini, zeigt sich im Gespräch mit der französischen Nachrichtenagentur AFP überzeugt, dass die Schweizer sich beim Thema Einwanderung „verkrampfen“. Wenn sich das Ja zur SVP-Initiative durchsetze, werde „das Chaos“ die Folge sein. Doch vielleicht werde es eine Mehrheit für das Nein geben, weil die Schweizer andernfalls um die Beziehungen zur Europäischen Union fürchteten.

Bis zu 80.000 ausländische Arbeitskräfte sind seit der schrittweise eingeführten Personenfreizügigkeit jährlich in die Schweiz gekommen, drei Viertel davon aus dem EU-Raum. Die wirtschaftsnahe „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) unterstrich dazu jüngst in einem Leitartikel, die Schweiz sei eine Oase in einer Landschaft, die derzeit vielerorts nicht blüht. „Das macht sie attraktiv für Zuwanderung“ und sichere dem Land und seinen Bewohnern Wohlstand.

Auszug aus dem Initiativtext

  • Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.
  • Die jährlichen Höchstzahlen und Kontingente für erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer sind auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer auszurichten; die Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind einzubeziehen.

Angst vor internationaler Isolation

Die wachsende Bevölkerung und steigende Wirtschaftsleistung haben auch ganz konkret Unzufriedenheit ausgelöst. Ihnen werden etwa überfüllte Züge und verstopfte Hauptverkehrsachsen sowie steigende Immobilienpreise angekreidet. Fälle von Lohndumping sorgen ebenfalls für Unmut. Die SVP kampagnisiert martialisch mit „Bald mehr Ausländer als Schweizer“.

Auf der anderen Seite beurteilt eine Mehrheit das von der SVP-Initiative verlangte Kontingentsystem - also eine streng geregelte Zuwanderung - skeptisch. Es führe zu mehr Bürokratie und höheren Kosten für Unternehmen, die Mitarbeiter suchen. Eine Mehrheit ist zudem der Meinung, die Schweiz isolierte sich in Europa mit einem Ja zur Initiative.

Die EU-Frage

Ob ein Ja am 9. Februar einen Teil der bilateralen Abkommen mit Brüssel außer Kraft setzt, ist umstritten. EU-Botschafter Richard Jones sagte im Dezember, die Idee, diese neu zu verhandeln, sei vom Tisch. Bern müsse das Abkommen dann kündigen.

Laut dem Schweizer Außenministerium (EDA) gibt es dafür zwar keine Verpflichtung, die Situation wäre aber kaum tragbar. Die Kündigung könnte auch Brüssel übernehmen, doch das Verfahren wäre kompliziert. Gemäß Europarechtlerin Christa Tobler brauchte es „einen einstimmigen Entscheid“. Neben dem Parlament müsste auch der Ministerrat und in diesem jedes einzelne der 28 Mitgliedsländer Ja sagen zur Kündigung.

Fremdenfeindliche Volksentscheide haben der Schweiz jedenfalls zuletzt einen schlechten Ruf beschert. 2009 entschied sich eine Mehrheit gegen den Bau neuer Minarette. In Umfragen zuvor war zwar ein klares Nein gegen das Bauverbot ermittelt worden, am Tag der Abstimmung kam es dann aber anders als vorgesehen. Das könnte auch diesmal der Fall sein.

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