Regime nennt 55.000 Bilder „gefälscht“
Das syrische Justizministerium hat einen Bericht dreier Juristen aus Großbritannien und den USA über systematisch zu Tode gefolterte Häftlinge in Gefängnissen des Landes als parteilich zurückgewiesen. In einer Erklärung hieß es, dem Bericht fehle es an „Aufrichtigkeit“, „Objektivität“ und „Professionalität“. Die beigefügten Fotos seien „gefälscht“.
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Die Bilder waren vor eineinhalb Wochen an die britische Tageszeitung „Guardian“ und den US-TV-Sender CNN weitergespielt worden. Sie sollen die systematische Folter und Tötung von Häftlingen in „industriellem Ausmaß“ zeigen. „Jeder, der im Bereich kriminalpolizeilicher Ermittlungen arbeitet, wird sagen, dass diese Fotos gefälscht sind und in keiner Weise mit Häftlingen in syrischen Gefängnissen zu tun haben“, hieß es danach in der Erklärung des syrischen Regimes.
„Ausländische Terroristen“
Bei einigen der auf den Fotos gezeigten Toten handle es sich um „ausländische Terroristen“, die im Kampf gegen Regierungstruppen getötet worden seien, oder um Menschen, die von „bewaffneten terroristischen Gruppen“ getötet oder zu Tode gefoltert worden seien. Ziel des unmittelbar vor der internationalen Syrien-Konferenz in Montreux veröffentlichten Berichts sei es, die Friedensbemühungen für Syrien zu torpedieren.
„Guardian“ und CNN beriefen sich auf Angaben der Rechtsanwälte, die in der Vergangenheit maßgeblich an den UNO-Tribunalen zu Jugoslawien und Sierra Leone beteiligt waren. Sir Desmond de Silva, Sir Geoffrey Nice und Professor David Crane hatten den Berichten zufolge Fotos und Unterlagen der syrischen Sicherheitskräfte zu angeblich 11.000 Todesfällen in der Haft zwischen März 2011 und August 2013 ausgewertet. Der Bericht wurde von einer britischen Anwaltskanzlei, die in Katar tätig ist, verfasst. Katar ist seit Beginn des Bürgerkriegs einer der vehementesten Unterstützer der Opposition.
31-seitiger Bericht
Viele der insgesamt 55.000 Bilder zeigten demnach Leichen mit Folterspuren. Einigen seien die Augen ausgestochen worden, andere seien erdrosselt oder durch Stromstöße getötet worden, hieß es. Die drei Juristen befragten laut „Guardian“ auch den Informanten, der die Fotos zur Verfügung stellte. Es handelt sich demnach um einen syrischen Polizisten, der geheim mit der Opposition kooperierte und später außer Landes flüchtete - und die Fotos auf Speichersticks mitnahm.
Auch die UNO und Menschenrechtsorganisationen dokumentierten in der Vergangenheit Gewaltanwendung und Missbrauch sowohl durch das Regime als auch Oppositionsgruppen - der nunmehr publik gewordene 31-seitige Bericht (PDF, von „Guardian“ publiziert) ist aber die laut „Guardian“ mit Abstand ausführlichste und detaillierteste Dokumentation von Gewaltverbrechen im syrischen Bürgerkrieg.
Gezielte Veröffentlichung vor Konferenz
In drei Treffen binnen zehn Tagen kamen die Juristen zur Überzeugung, dass seine Angaben glaubwürdig seien. Einer der drei Juristen, De Silva, betonte gegenüber dem „Guardian“, dass das Material „das Töten in industriellem Ausmaß dokumentiert“. Der „Guardian“ selbst schreibt, dass der Bericht durch die syrische Opposition absichtlich zu diesem Zeitpunkt - unmittelbar vor Beginn der Syrien-Konferenz - an die Medien gespielt wurde.
Hochbürokratisches System
Der im „Guardian“ als „Caesar“ bezeichnete Informant sagte demnach den drei Juristen, seine Aufgabe sei es gewesen, „Bilder der getöteten Gefangenen“ zu machen. Laut eigenen Angaben war er selbst bei keiner Exekution oder Folter anwesend. Doch er schilderte das bürokratisch durchorganisierte Foltersystem.
Wenn Häftlinge im Gefängnis getötet wurden, seien deren Leichen in ein Militärspital gebracht worden. „Caesar“ sei zusammen mit einem Arzt und einem Gerichtsvertreter dorthin geschickt worden, so der Bericht. „Caesars“ Aufgabe war es demnach, die Leichen zu fotografieren. „Es kam vor, dass an einem Tag bis zu 50 Leichen zu fotografieren waren. Für jede einzelne Leiche dauerte das 15 bis 30 Minuten.“
Fotos als Kontrolle durch Vorgesetzte
Dass die Leichen fotografiert wurden, hatte laut dem Bericht zwei Gründe: Einerseits wurde es dadurch möglich, einen Totenschein auszustellen, ohne dass ein Familienmitglied die Leiche identifizieren musste. Dadurch sei es vermieden worden, dass die Familien den Behörden Fragen zum Tod ihrer Angehörigen stellen konnten. Andererseits dienten die Fotos auch als Bestätigung dafür, dass die Hinrichtungen tatsächlich ausgeführt wurden.
Den Angehörigen sei mitgeteilt worden, der Häftling sei an einem „Herzstillstand“ oder „Atemproblemen“ gestorben. Laut dem Bericht erhielt jeder getötete Häftling eine Nummer zugewiesen, welche die Verbindung zu dem für die Inhaftierung und den Tod verantwortlichen Sicherheitsdienst herstellt. Das könnte im Falle einer künftigen gerichtlichen Aufarbeitung des Bürgerkriegs noch große Bedeutung erlangen.
Forensiker prüften Fotos
Drei erfahrene Forensiker untersuchten laut „Guardian“ Teile der 55.000 Fotos. „Insgesamt gibt es den Beweis, dass eine große Anzahl der Gestorbenen ausgemergelt war und eine bedeutende Minderheit davon gefesselt oder mit stangenförmigen Gegenständen geschlagen wurden oder beides“, heißt es in dem Bericht.
Nur bei einer Minderheit der Fälle habe aber auf den Fotos eine Verletzung gefunden werden können, die klar die Todesursache darstelle. In dem Bericht betonten die Forensiker aber zugleich, dass auf den Fotos mögliche tödliche Verletzungen am Rücken nicht zu sehen seien. Im Bericht heißt es wörtlich weiter: „Das Team der Forensiker betont, dass es viele Möglichkeiten gibt, jemanden zu töten, und dabei nur minimale oder gar keine sichtbaren Beweise für die Tötungsart zu hinterlassen.“
Bericht: Glaubwürdige Beweismittel
Das Prüfteam der drei Juristen zieht im Bericht den Schluss, dass die Fotos „ein klarer Beweis“ seien, der auch von einem Gericht als glaubwürdiges Beweismittel anerkannt werden könnte. Die Fotos würden „den Verdacht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterstützen und könnten auch den Verdacht von Kriegsverbrechen durch das aktuelle syrische Regime stützen“.
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