„Keine Anzeichen, dass es mehr werden“
Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist erneut in Verzug geraten. Wie die für die Vernichtung zuständige Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) bestätigte, wurden bisher weniger als fünf Prozent der gefährlichsten syrischen Kampfstoffe außer Landes gebracht.
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Seit Anfang Jänner verließen demnach nur zwei Schiffsladungen mit jeweils rund 16 Tonnen Chemiewaffen der Kategorie eins den syrischen Mittelmeer-Hafen Latakia. Das sind nur knapp über vier Prozent der insgesamt rund 700 Tonnen Chemikalien, die eigentlich schon bis Ende Dezember außer Landes gebracht werden sollten, um in letzter Instanz auf einem eigens dafür adaptierten Schiff vernichtet zu werden.
Doch auch aus jetziger Sicht scheinen baldige Lieferfortschritte nicht absehbar: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass es mehr werden“, verlautete aus Kreisen der OPCW, bevor es eine offizielle Bestätigung dafür gab. Die 32 Tonnen C-Waffen befinden sich offenbar noch immer an Bord dänischer und norwegischer Schiffe - schließlich hatte es im Vorfeld geheißen, dass im angesteuerten italienischen Hafen Gioia Tauro lediglich die Umladung und keine Lagerung der C-Waffen erfolgt.
„An Verpflichtungen erinnern“
Überdies sei es „nahezu sicher“, dass auch die neue Frist bis zum 5. Februar nicht eingehalten werde, wurde ein Insider aus dem Umfeld der OPCW zitiert. Das Vorhaben sei sechs bis acht Wochen hinter den Plänen zurück. Laut offiziellen Angaben wollte die Organisation am Donnerstag darüber beraten, wie der Druck auf das syrische Regime erhöht und es an seine „Verpflichtungen erinnert“ werden kann.
Auch aus Washington kamen am Donnerstag dringende Aufforderungen an Syrien, die Lieferungen der C-Waffen zu verstärken. „Es liegt in der Verantwortung des Assad-Regimes, die C-Waffen zu liefern. Wir erwarten, dass Syrien dieser Verpflichtung auch nachkommt“, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Das Land müsse sich an das Abkommen halten, sagte unterdessen US-Verteidigungsminister Chuck Hagel vor Journalisten in Warschau. Die US-Regierung sei besorgt, dass die syrische Regierung nicht wie vereinbart vorankomme und den Zeitplan nicht einhalten könne. Er habe seinen russischen Amtskollegen Sergej Schoigu gebeten, seinen Einfluss auf Syrien in dieser Sache geltend zu machen.
Frankreich ruft zu „Wachsamkeit“ auf
Es sei unklar, ob es sich um Inkompetenz oder bewusste Verzögerung handle. Auf jeden Fall müsse die syrische Führung das Problem „in den Griff bekommen“, sagte Hagel. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius rief indes die internationale Gemeinschaft zur „Wachsamkeit“ auf. Es müsse aufgepasst werden, „dass Syrien seine Verpflichtungen einhält“, sagte Fabius in Paris.
Nach einem tödlichen Einsatz von Chemiewaffen bei Damaskus im August hatte Syrien angesichts der Drohung mit einem US-Militärschlag zugesagt, sein gesamtes Chemiewaffenarsenal unter internationaler Aufsicht zu zerstören. Gemäß einer vom UNO-Sicherheitsrat im September verabschiedeten Resolution müssen die syrischen Chemiewaffen bis Mitte 2014 vollständig vernichtet sein. Die gefährlichsten Kampfstoffe - darunter Senfgas, Sarin und das Nervengas VX - sollten bereits bis Ende Dezember außer Landes gebracht werden, was nicht annähernd gelang.
US-Spezialschiff ausgelaufen
Bereits Anfang der Woche war das US-Spezialschiff „MV Cape Ray“ zu seiner Mission zur Zerstörung der C-Waffen aufgebrochen. Das mit zwei Hydrolysesystemen ausgerüstete Frachtschiff der US-Marine habe am Montagabend (Ortszeit) den Hafen von Norfolk an der Küste des US-Bundesstaats Virginia verlassen, so ein US-Militärsprecher. Das Schiff werde in etwa „zwei, drei Wochen“ in dem süditalienischen Hafen Gioia Tauro eintreffen, hieß es. Dort soll das Schiff - so sieht es der Plan vor - die C-Waffen an Bord nehmen, um sie anschließend auf offener See zu vernichten.
US-Verteidigungsminister Chuck Hagel sprach gegenüber dem Kapitän und dessen 135-köpfiger Crew von einer „historischen Mission“, mit der sie dazu beitragen würden, die Welt sicherer zu machen. Die Kampfstoffe sollen in den Hydrolyseanlagen mit Hilfe von heißem Wasser und verschiedenen Chemikalien unschädlich gemacht werden. Übrig bleibt toxischer Abfall, der ähnlich wie Industriemüll entsorgt werden kann. Ein Militärsprecher versicherte, die Überreste würden nicht in die Luft oder ins Meer gelangen, sondern gemäß den internationalen Gesetzen und Bestimmungen entsorgt. Die Operation soll 45 bis 90 Tage dauern.
Tausende Tote bei Giftgasangriffen
Im syrischen Bürgerkrieg wurden bei mehreren Gasangriffen Tausende Menschen getötet, darunter auch viele Zivilisten. Nach einer Drohung aus Washington hatte die syrische Regierung der Vernichtung ihrer chemischen Kampfstoffe unter den Augen der OPCW zugestimmt. Für den Abtransport hatte der UNO-Sicherheitsrat ursprünglich eine Frist bis zum 31. Dezember 2013 gesetzt. Diese hatte wegen Kämpfen, Transportproblemen und schlechten Wetters aber nicht eingehalten werden können.
Gemäß einer vom UNO-Sicherheitsrat im September verabschiedeten Resolution müssen die Chemiewaffen bis Mitte 2014 vollständig vernichtet sein. Bereits zuletzt hatten sich Hinweise darauf verstärkt, dass auch diese wichtige Zeitvorgabe kaum einzuhalten sein wird.
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