Mehr Mitsprache für EU-Bürger
Es ist ein Jahr des Sesselrückens in Brüssel: Neben dem Mandat von Kommissionschef Jose Manuel Durao Barroso laufen auch die Amtszeiten des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton aus. Ebenfalls neu für die Wähler bei der Europawahl im Mai: Sie haben erstmals mehr Mitspracherecht bei der Bestimmung des Kommissionspräsidenten.
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Die Fraktionen stellen heuer zum ersten Mal länderübergreifende, europäische Spitzenkandidaten auf. Diese sollen automatisch auch Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten sein. Auf diesen Mechanismus hat man sich innerhalb der beiden aussichtsreichsten Fraktionen, in der Europäischen Volkspartei (EVP) und in der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), geeinigt.
Entscheidung liegt formal beim Parlament
Formal werden die EU-Wahlen auf Grundlage des Lissabon-Vertrags durchgeführt, der vorsieht, dass die EU-Volksvertreter im Parlament den nächsten Kommissionschef wählen. Sie tun das auf Basis eines Kandidatenvorschlags der europäischen Staats- und Regierungschefs, der ausdrücklich das Ergebnis der Europawahlen zu berücksichtigen hat. Nach dem früheren EU-Vertrag von Nizza hatte das Europaparlament nur ein Zustimmungsrecht bei der Ernennung des Kommissionschefs.
Schulz will für Sozialdemokraten an die Spitze
Das Postenkarussell dreht sich jedenfalls schon seit langem, wenn auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Der amtierende EU-Parlamentschef und deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz ist seit dem Vorjahr Kandidat seiner Partei für die Nachfolge von Kommissionschef Barroso. Sollte die SPE als Siegerin aus den EU-Wahlen im Mai hervorgehen, käme der Gipfel der Staats- und Regierungschefs wohl nur schwer an Schulz vorbei, wenn sie dem neu gewählten Europaparlament einen Kandidaten für die Barroso-Nachfolge unterbreiten müssen.
Den stärksten Gegenkandidaten hat Schulz wohl aus den Reihen der konservativ-christdemokratischen EVP zu erwarten, der derzeit größten Gruppe im EU-Parlament. Nach aktuellen Trends dürfte die Europawahl zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Konservativen und Sozialdemokraten werden. Wer neben Schulz der zweite Kopf in dem Rennen ist, ist noch offen.
EVP ringt noch um Spitzenkandidaten
Inoffiziell, berichtet die „Welt am Sonntag“ („WamS“) unter Berufung auf Kreise in Brüssel und Berlin, hat man sich in der EVP bereits auf einen Kandidaten geeinigt: Die Konservativen wollen demnach den früheren luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker ins Rennen schicken. Damit hätte der 59-Jährige gute Chancen auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten.
Europas Konservative und Christdemokraten dementierten den Bericht jedoch umgehend. Die Gespräche liefen noch und es gebe keine gemeinsame Festlegung, hieß es aus ÖVP-Kreisen. Interesse an dem Posten des Kommissionspräsidenten hatte vonseiten der EVP auch EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier bekundet. Zudem hatte es Spekulationen gegeben, dass die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, interessiert sein könnte. Die EVP will ihren Spitzenkandidaten am 7. März in Dublin küren.
Linke wollen Proteststimmen fischen
In den meisten anderen Fraktionen hat man sich bereits auf den Spitzenkandidaten geeinigt: Die Liberalen (ALDE) treten mit dem früheren belgischen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt an, der 2004 vom damaligen britischen Premier Tony Blair als Chef der EU-Behörde verhindert wurde. Und die Europäischen Linken (GUE/NGL) erhoffen sich mit dem griechischen Oppositionsführer Alexis Tsipras vor allem Proteststimmen in den südeuropäischen Ländern. Die Grünen (EGP) entscheiden über ihren Spitzenkandidaten im Februar.
Mehr Mitbestimmung oder politisches Kalkül
Der Nachweis, dass diese Europawahl mehr demokratische Mitbestimmung bringt als frühere, wird noch zu erbringen sein. Denn neben der Dynamik, die durch europäische Spitzenkandidaten ausgelöst wird, gibt es noch andere Faktoren: Die Mehrheitsverhältnisse scheinen zumindest aus heutiger Sicht nahezulegen, dass die beiden Großparteien EVP und SPE wieder eine Zusammenarbeit im künftigen Europaparlament suchen und den Einfluss anderer Parteien begrenzen wollen. Und der EU-Kommissionspräsident ist nur ein Teil im Rahmen eines EU-Postenkarussells.
Das alles macht es wahrscheinlicher, dass eine Entscheidung über den nächsten EU-Kommissionspräsidenten nicht nur an den Wahlurnen, sondern im Rahmen eines größeren Personalpakets fällt. Dabei sind auch die Posten des Hohen Repräsentanten als EU-Außenpolitikbeauftragten, des ständigen EU-Ratspräsidenten, des nächsten EU-Parlamentschefs, andere hochrangige Kommissarsposten und sogar der künftige NATO-Chef Variablen in einem größeren Puzzle. Letztlich müssen die EU-Topkandidaten unter den europäischen Staats- und Regierungschefs im Parlament durchgehen.
Kommissionsgröße: „Weniger manchmal mehr“
Für Diskussionsstoff sorgt auch eine von mehreren Seiten angedachte Verkleinerung der Kommission. Schulz hatte das Thema zuletzt aufs Tapet gebracht. Bisher schickt jedes der 28 EU-Länder einen Vertreter in die EU-Kommission. Im Mai hatten die Staats- und Regierungschefs beschlossen, daran festzuhalten, obwohl der EU-Vertrag eine Verkleinerung des Gremiums ermöglichen würde. Es dürfe nicht um die Zahl der Kommissare gehen, „sondern darum, dass die Kommission ihre Aufgaben ordentlich erfüllt“, sagte Schulz kürzlich. „Da ist weniger manchmal mehr.“
Bereits fix ist eine Änderung bei der EU-Wahl in Österreich: Der Nationalrat segnete diese Woche eine Gesetzesänderung ab, wonach die Vorzugsstimmenhürde bei EU-Wahlen gesenkt wird. Statt sieben Prozent der Parteistimmen sind nur noch fünf Prozent notwendig, um auf der Liste nach vorne zu rücken.
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