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Protestparteien als Stimmungsprofiteure

Abseits so mancher Vorgeplänkel rund um die eine oder andere Kandidatur gilt die EU-Wahl Ende Mai als erster wirklicher Stimmungstest nach der schlimmsten Phase der Euro-Krise. Und sie wird Antworten auf zwei diesbezügliche Fragen geben: nämlich jene nach dem Grad der Begeisterung für die EU und jene nach dem Potenzial für rechte und linke Parteien.

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Denn ohne Umfragen zu berücksichtigen, sind die Kennzeichen, unter denen diese Wahl stattfinden wird, durchaus signifikant. Die in vielen Ländern - stärker oder schwächer - spürbaren Auswirkungen der Euro-Krise, die zu einer Rekordjugendarbeitslosigkeit in der Währungsunion geführt hat, erhöhen das Protestpotenzial. Und dieses wird bei EU-Wahlen im Allgemeinen als größer eingeschätzt als bei nationalen Wahlen.

„Welle negativer Kampagnen“

Entsprechend schätzen Experten die momentane Stimmung ein: „Die andauernde Euro-Krise und ihre Auswirkungen können eine Welle negativer Kampagnen in den Europawahlen 2014 gegen die europäische Integration freisetzen und mehr Protestwähler zur Abstimmung bringen, vor allem wenn die EU-Befürworter es nicht schaffen, ihre Argumente energisch und überzeugend der Wählerschaft zu vermitteln“, meinen Corina Stratulat und Janis Emmanouilidis vom Brüsseler Thinktank European Policy Centre (EPC).

Das Euro-Zeichen ist auf einer blauen Fahne durchgestrichen

Reuters/Alexandre Santos

In Ländern wie Portugal, Spanien und Griechenland gibt es viele EU-Gegner, dort erhoffen sich Protestparteien besonders viele Stimmen

Umfragen prognostizieren derzeit ein Erstarken rechter euroskeptischer und antieuropäischer Parteien wie der UKIP in Großbritannien, der Front National in Frankreich und auch der FPÖ. Am linken Rand könnten etwa die italienische Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo und Syriza in Griechenland zu den großen Wahlsiegern zählen. Einige dieser Parteien konnten jüngst bereits auf nationaler Ebene Wahlerfolge einfahren. Im Sog der allgemeinen Euro-Skepsis können sie auch auf EU-Ebene großen Zulauf erwarten.

Neue europäische Spitzenkandidaten

Doch es gibt noch weitere vielleicht mitentscheidende Faktoren. So könnte etwa die größte Neuerung bei dieser Europawahl zusätzlich Einfluss auf das Abstimmungsverhalten haben: Schließlich stellen die Fraktionen heuer erstmals länderübergreifende europäische Spitzenkandidaten auf. Die Wähler können damit - zumindest theoretisch - über den Nachfolger des abtretenden EU-Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso mitentscheiden. Die Sozialdemokratische Partei Europas (PES) legte sich bereits im Vorjahr auf den amtierenden EU-Parlamentschef Martin Schulz als ihren Kandidaten fest.

Die konservativ-christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) will ihren Spitzenkandidaten erst am 7. März wählen. Zwei bekannte Namen gibt es mit dem Luxemburger Ex-Premier Jean-Claude Juncker und dem mächtigen französischen EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier bereits. Auch Lettlands Ex-Regierungschef Valdis Dombrovskis will Spitzenkandidat werden, der irische Regierungschef Enda Kenny wurde zuletzt ebenfalls genannt.

Tusk nimmt sich aus dem Spiel

Aus dem Spiel genommen hat sich hingegen Polens Regierungschef Donald Tusk. Das bekräftigte dieser am Samstag erneut. Finnlands Ministerpräsident Jyrki Katainen, der im Gespräch war, sei ebenfalls kein Kandidat, hieß es zuletzt in Brüssel. Will die EVP auf eine Frau setzen, werden der französischen Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, Chancen eingeräumt. Sie hat sich allerdings bisher nicht zu einer Kandidatur geäußert.

Für die Liberalen (ALDE) wirft sich der belgische Ex-Ministerpräsident Guy Verhofstadt ins Rennen, die Europäischen Grünen (EGP) haben den Franzosen Jose Bove und die Deutsche Franziska „Ska“ Keller nominiert. Und die Europäischen Linken (GUE/NGL) hoffen, mit dem griechischen Oppositionsführer und Syriza-Chef Alexis Tsipras viele Proteststimmen aus Südeuropa zu bekommen.

Viele Posten neu zu besetzen

Der Nachweis, dass diese Europawahl mehr demokratische Mitbestimmung bringt als frühere, wird noch zu erbringen sein. Bei aller Dynamik, die durch europäische Spitzenkandidaten ausgelöst wird, ist es nicht nur dieser Posten, den es neu zu besetzen gilt. Es ist nur ein kleiner Teil eines großen EU-Postenkarussells, das für Wähler kaum bis gar nicht zu überblicken sein wird.

Diese Faktoren machen es wiederum wahrscheinlicher, dass eine Entscheidung über den Barroso-Nachfolger nicht nur an den Wahlurnen, sondern auch im Rahmen eines größeren Personalpakets fällt. Dabei sind auch die Posten des EU-Außenpolitikbeauftragten, des EU-Ratspräsidenten, des nächsten EU-Parlamentschefs, des künftigen NATO-Chefs und anderer hochrangiger Kommissare Teile in einem größeren Puzzle. Und letztlich müssen die EU-Topkandidaten unter den europäischen Staats- und Regierungschefs im Parlament durchgehen.

Wahlbeteiligung konstant rückläufig

Sollte die EU-Wahl zu einer größeren Debatte über Europa führen, könnte sie den negativen Trend umkehren, der seit 1979 zu beobachten ist. Die Wahlbeteiligung ging seit der ersten Direktwahl von 62 auf 43 Prozent im Jahr 2009 zurück. „Diese Europawahlen werden viel politischer als alle vorherigen“, ist zumindest der Sprecher des EU-Parlaments, Jaume Duch, überzeugt.

Bei aller prognostizierten Proteststimmung scheinen die Mehrheitsverhältnisse jedoch kaum verrückbar - zumindest aus derzeitiger Sicht: Sollte ein Erdrutsch von links oder rechts ausbleiben, werden die beiden Großparteien EVP und SPE wieder eine Zusammenarbeit im künftigen Europaparlament suchen und den Einfluss anderer Parteien begrenzen wollen. Nach aktuellen Trends dürfte die Wahl jedenfalls zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Konservativen und Sozialdemokraten werden.

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