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Zugeständnisse nicht weitreichend genug

Die ukrainische Opposition hat Regierungschef Viktor Janukowitsch eine Abfuhr erteilt. Oppositionsführer Witali Klitschko erklärte am Samstagabend vor Anhängern in Kiew, man habe die von der Staatsführung angebotenen Regierungsämter abgelehnt. Ungeachtet des Kompromissangebots bestehe man auf die Abhaltung von Präsidentschaftswahlen noch in diesem Jahr, so Klitschko.

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Er wolle von seinen Forderungen „nicht abweichen“ und die Verhandlungen mit Janukowitsch weiterführen, so der Chef der Partei Udar (Schlag). Der frühere Außenminister Arseni Jazenjuk sagte auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan), die Opposition sei bereit, die Regierung zu übernehmen - aber nur, um das Land dann in die Europäische Union zu führen. Seine Bewegung habe keine Angst, Verantwortung zu übernehmen. „Aber wir glauben der Staatsmacht kein einziges Wort“, rief Jazenjuk. Unter dem Jubel der Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz kündigte Oleg Tjagnibok von der rechtsextremen Freiheitspartei (Swoboda) an: „Der Kampf geht weiter.“

Direkt im Anschluss an die Rede der Oppositionsführer griffen 2.000 Demonstranten ein von Sicherheitskräften genutztes Gebäude an. „Schande“, riefen viele Protestierende, während einige in das Gebäude im Stadtzentrum vordrangen und im Innern Sprengsätze zündeten, wie ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Die eingeschlossenen Einsatzkräfte setzten Blendgranaten ein. Zahlreiche Fensterscheiben gingen zu Bruch.

Oppositionsführer der Ukraine

APA/EPA/Zurab Kurtsikidze

Die Opposition will weiter kämpfen

„Vergiftetes Angebot, um Bewegung zu spalten“

„Das war ein vergiftetes Angebot von Janukowitsch, um unsere Demonstrationsbewegung zu spalten“, sagte Klitschko später der Zeitung „Bild am Sonntag“. „Wir werden weiter verhandeln und fordern weiterhin vorzeitige Neuwahlen.“ Der Protest der Ukrainer „gegen den korrupten Präsidenten“ dürfe nicht umsonst gewesen sein.

Nach den schweren Ausschreitungen der vergangenen Tage hatte Janukowitsch der Opposition am Samstag führende Regierungsämter angeboten. Jazenjuk solle neuer Regierungschef und Klitschko dessen Stellvertreter werden, hieß es aus der Präsidialverwaltung. Zuvor war die Staatsführung um Janukowitsch mit Oppositionsführern zu einem weiteren Krisentreffen zusammengekommen.

Amnestie für inhaftierte Oppositionelle angeboten

Das Angebot an die Opposition sah auch eine Straffreiheit für Demonstranten vor, die bei den seit Wochen andauernden Protesten festgenommen worden waren. Im Gegenzug sollten alle blockierten Plätze und Gebäude im Zentrum von Kiew geräumt werden. Janukowitsch hatte auch eine Verfassungsänderung mit gestärkten Rechten für das Parlament in Aussicht gestellt. Bislang hat der Präsident alle zentralen Machtbefugnisse in seiner Hand.

Zudem bot Janukowitsch eine Änderung der zuletzt verabschiedeten Gesetze zur Einschränkung der Demonstrations- und Pressefreiheit an. Dies ist eine zentrale Forderung der Opposition. Diese international scharf kritisierten neuen Gesetze waren Auslöser der gewalttätigen Proteste Mitte Januar gewesen.

Mehrere Tote bei Ausschreitungen

Regierung und Opposition liefern sich seit zwei Monaten einen erbitterten Machtkampf, der die frühere Sowjetrepublik in eine tiefe Krise stürzte. Bei den jüngsten Ausschreitungen starben mindestens vier Menschen, Hunderte wurden verletzt. Die Europäische Union und die Bundesregierung riefen den Staatschef mehrfach mit Nachdruck zum Einlenken auf.

Demonstrant zwischen brennenden Reifen wirft Molotov-Cocktail

APA/EPA/Zurab Kurtsikidze

Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Zusammenstößen von Demonstranten und Polizei

Erst am Samstag hatte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle bei einem Besuch in Kiew alle Konfliktparteien aufgefordert, die Gewalt zu stoppen. Die Proteste waren ausgebrochen, nachdem Janukowitsch im November auf Druck Russlands ein von der Opposition als historische Chance betrachtetes Annäherungsabkommen mit der EU gestoppt hatte.

Nur ohne Janukowitsch und dessen enge Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin könne der zweitgrößte Flächenstaat Europas den Weg der Westintegration gehen, betonte der Ex-Boxweltmeister Klitschko. Die Opposition hatte auch eine Freilassung der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko zur Bedingung für einen politischen Neubeginn gemacht.

Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei

Es blieb bis zum Abend unklar, wie sich das Angebot von Janukowitsch auf die andauernden Straßenproteste in Kiew auswirkt. In der Hauptstadt war es am Freitagabend nach einer zwischenzeitlichen Beruhigung erneut zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Regierungsgegnern mit Brandsätzen und Tränengas gekommen. Demonstranten versuchten zudem, nach der Besetzung des Agrarministeriums auch das Energieministerium zu stürmen. Die Behörde gilt als Schlüsselressort: Die Ukraine ist das wichtigste Transitland für russische Gaslieferungen in die EU. Die Demonstranten verließen aber nach kurzer Zeit das Gebäude wieder.

Im nationalistisch geprägten Westen des Landes hielten Demonstranten in mehreren Städten weiter offizielle Gebäude besetzt. So stürmten in Winniza Regierungsgegner den Sitz des örtlichen Verwaltungsrats. Im Osten der Ukraine, der als Hochburg von Janukowitsch gilt, erklärten sich Fanclubs einflussreicher Sportvereine solidarisch mit den Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew.

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