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„Justiz keine gesonderte Macht“

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat bei seinem Besuch bei der EU-Spitze in Brüssel am Dienstag betont, dass sein Land „Motor der EU und keine Belastung“ sein will. Angesprochene rechtsstaatliche Bedenken aufgrund Erdogans Einmischung in die Justiz wies dieser von sich - die Justiz könne nicht als gesonderte Macht angesehen werden, so der Ministerpräsident.

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Nach dem Treffen zeigte sich Erdogan zuversichtlich, in diesem Jahr weitere Verhandlungskapitel für den EU-Beitrittsprozess eröffnen zu können. Auch Ratspräsident Herman Van Rompuy bekräftigte, dass der Beitritt, wie 2004 und 2005 festgelegt, das erklärte Ziel der EU-Türkei-Verhandlungen sei.

Erdogan verweist auf türkische Wirtschaft

Erdogan verwies auf eine beträchtliche wirtschaftliche Leistung, so stehe nach seinen Aussagen die Türkei heute besser da als vor zehn Jahren. Damals habe das Bruttoinlandsprodukt 230 Milliarden Dollar (knapp 170 Mrd. Euro) betragen, heute seien es 800 Milliarden Dollar (rund 590 Mrd. Euro). Die Türkei sei die 18.-größte Wirtschaft der Welt. Daher sei sein Land als EU-Mitglied ein wichtiger „Motor und keine Belastung“.

Martin Schulz,Tayyip Erdogan,  Herman Van Rompuy  und Jose Manuel Barroso

Reuters/Yves Herman

EP-Präsident Martin Schulz, Recep Tayyip Erdogan, Van Rompuy, Barroso

Auf die jüngsten Unruhen in seinem Heimatland angesprochen, machte Erdogan „Desinformation“ von Gegnern geltend. Nachdem EU-Kommissionspräsident Barroso seine Sorgen aufgrund fehlender Rechtsstaatlichkeit ausdrückte, versicherte Erdogan, dass die „Prinzipien des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz voll eingehalten werden“.

Verschiedene Rechtsauffassungen

Auch Van Rompuy bekräftigte, es gebe ständige Kontakte. Erdogan habe seine Situation erörtert. „Wir machen nicht unsere eigene Analyse. Es liegt an der Türkei, ihre eigene Analyse zu machen“, so der Ratspräsident. Jedoch zeigten die EU-Spitzen und der türkische Ministerpräsident durchaus verschiedene Auffassungen über rechtsstaatliche Prinzipien.

Van Rompuy forderte Erdogan auf, dafür zu sorgen, dass die Justiz des Landes „ohne Diskriminierung oder Bevorzugung transparent und unparteiisch funktionieren kann“. Erdogan wies die Vorhaltungen zurück: „Wenn wir die Justiz als gesonderte Macht betrachten, dann würde das zu einem Land unter der Herrschaft der Justiz führen und nicht zur Demokratie. Wir glauben an die Demokratie, die einzige Macht ist die der Menschen“, sagte er.

Korruptionsskandal in Regierungskreisen

Hintergrund der Kritik ist der seit Dezember andauernde Korruptionsskandal rund um den türkischen Ministerpräsidenten. Seit Bekanntwerden von Korruptionsermittlungen in den höchsten Rängen der Politik wurden bereits Hunderte Beamte entlassen und versetzt. Dabei handelte es sich insbesondere um hochrangige Polizisten und Beschäftigte der Justiz.

Erdogan plante, eine großangelegte Justizreform in Gang zu setzen. Kritiker sprachen in diesem Zusammenhang von einer einseitigen Kontrolle Erdogans. Das Vorhaben endete im Parlament in tumultartigen Szenen. Erdogan sieht in den Korruptionsermittlungen eine Verschwörung regierungsfeindlicher Kräfte.

Kritik von Amnesty International

Am Dienstag traf ebenso der Chef von Amnesty International (AI), Salil Shetty, in Brüssel ein und forderte die Europäische Union auf, angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in der Türkei eine härtere Position gegenüber der Regierung in Ankara einzunehmen.

„Aber bei der Türkei und der EU haben wir das Problem, dass im Fall von größeren Volkswirtschaften Handelsfragen wichtiger werden“, sagte Shetty der Nachrichtenagentur AFP. Angesichts des aggressiven Vorgehens der türkischen Polizei gegen Demonstranten forderte Shetty von der EU ein Verbot für die Lieferung von Tränengas und Gummigeschoßen an die Türkei.

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