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„Megathema“ auch im Netz

Ab dem Sommer 1914 wurde Europa zum Schauplatz eines bis dahin beispiellosen Krieges - 100 Jahre später steht im Rahmen eines Gedenkjahres nun eine intensive Auseinandersetzung mit den Ereignissen um den Ersten Weltkrieg auf dem Programm. Es ist ein publizistisches Großereignis, das sich bereits vor Monaten mit einer wahren Bücherflut ankündigte.

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Umfangreiche Wälzer über Vorgeschichte und Kriegsverlauf sowie Bildbände mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen reihen sich neben Biografien und Tagebücher von Staatsmännern ebenso wie von einfachen Soldaten und Zivilisten im Hinterland. Dazu kommen regionalgeschichtliche Publikationen und themenspezifische Berichte etwa über Propaganda, Heimatfront und die Rolle der Frau. Bleibt zu erwähnen, dass die Fülle an Informationsmaterial schon im Vorfeld nicht mehr vollständig, „schon gar nicht objektiv“, überblickt werden konnte, so die „Welt“ mit Verweis auf jene rund 10.000 Bücher, die sich allein in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main dem Ersten Weltkrieg widmen.

Bücher zum Thema 1. Weltkrieg

ORF.at/Zita Köver

Mit zahlreichen Neuerscheinungen hat das Gedenkjahr 2014 auf dem Büchermarkt bereits seine Spuren hinterlassen

„Es lohnt sich“

„Lohnt es sich überhaupt noch, was zum Thema zu schreiben“, lautete in diesem Zusammenhang auch die Frage des Historikers Manfried Rauchensteiner, der mit „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914-1918“ schließlich doch 1.200 Seiten zum Gedenkjahr beisteuerte. „Es lohnt sich“, so Rauchensteiner im „Presse“-Interview weiter. Grund dafür sei unter anderem, dass „zweifellos ein Nachholbedarf vorhanden“ gewesen sei.

In Summe finden sich nun allein im deutschsprachigen Raum weit über hundert Neuerscheinungen - ein gutes Dutzend davon von österreichischen Verlagen. Ähnlich das Bild beispielsweise in Frankreich, wo bereits bis Dezember rund 160 neue Bücher zum Ersten Weltkrieg auf den Markt kamen und es Schätzungen zufolge in Summe rund 300 werden könnten. „Wahrscheinlich ein Weltrekord für ein historisches Thema, mit Sicherheit aber ein Megathema der öffentlichen Gedenkkultur in den kommenden Monaten“, so Christian Brandstätter, Chef des gleichnamigen Wiener Verlagshauses, das sich mit „Untergang einer Welt“ den Bildbeständen des Österreichischen Staatsarchivs widmete.

„Weltkrieg der Dokumente“

Zwar habe man es laut Rauchensteiner bei „No-na-G’schichterln“ und „dem 25. Bildband“ meist mit einem „relativ bescheidenen“ Neuigkeitswert zu tun - zu finden seien aber auch ganz neue Blickwinkel auf die Materie und damit nicht zuletzt auch neue Antworten zum Kriegsgeschehen selbst. Dazu kommt der verstärkte Blick auf sozialgeschichtliche Aspekte, wo nach wie vor riesige Archivbestände auf ihre Aufarbeitung warten. Dem österreichischen Experten für Militärgeschichte zufolge „wird es auch in den nächsten 100 Jahren nicht möglich sein, alle vorhandenen Manuskripte zu durchforsten“.

Von einem „Überangebot an Quellen“ spricht auch der Historiker Christopher Clark, der mit „Die Schlafwandler“ nicht nur wie Rauchensteiner ein neues Standardwerk zum Thema, sondern den unangefochtenen Bestseller zum Gedenkjahr lieferte. Die Schwierigkeiten für die Forschung verdeutlichte Clark anhand der umfangreichen offiziellen Quelleneditionen der kriegsführenden Länder, darunter etwa die acht Bände umfassende Sammlung „Österreich-Ungarns Außenpolitik“.

Ungeachtet eines „unleugbaren Wertes für die Forschung“ gelte es hier auch zu berücksichtigen, dass der Grund der freigebigen Offenlegung nur bedingt einen wissenschaftlichen Hintergrund habe - vielmehr galt es auch Argumente rund um die bis heute umstrittene „Kriegsschuldfrage“ zu liefern. Angesichts dessen sprach der Militärhistoriker Bernhard Schwertfeger bereits 1929 auch von „Munition in einem Weltkrieg der Dokumente“.

Screenshot europeana-collections-1914-1918.eu

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Mit Europeana Collections 1914-1918 wollen europäische Bibliotheken „ein digitales Gedächtnis für den Ersten Weltkrieg“ schaffen

840.000 Seiten im „virtuellen Zeitungslesesaal“

Verstärkte Offenlegung der Bestände - wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen - lautet zum Gedenkjahr nun auch das Motto der vielen großen und kleinen Weltkriegssammlungen. Von der Österreichische Nationalbibliothek werden im Rahmen des internationalen Projekts Europeana Collections 1914 - 1918 75.000 Objekte online gestellt. Dazu kommen 840.000 Seiten aus Zeitschriften und Zeitungen der Jahre 1914 bis 1918, wobei derzeit im „virtuellen Zeitungslesesaal“ laut Nationalbibliothek die Ausgabe vom 29. Juni 1914 (der Tag nach der Ermordung von Franz Ferdinand in Sarajevo, Anm.) die Suchanfragen anführt.

„Die Vielschichtigkeit und Komplexität dieses Themas aufgreifen“ wollen unterdessen auch die Macher des Fachportals für Geschichtswissenschaften Clio Online. Geboten wird „Zugriff auf Forschung, Publikationen, Quellen und sonstige Materialien“, darunter neuerdings auch eine grobe Bestandsaufnahme des Wiener Kriegsarchivs. Ein „global orientiertes englischsprachiges virtuelles Handbuch zum Ersten Weltkrieg“ verspricht 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War. Umfangreiche Hintergrundinformationen plus Hunderte Stunden digitalisiertes Originalmaterial zum Thema „Erster Weltkrieg und Film“ werden zudem vom EU-Projekt European Film Gateway 1914 angeboten.

Screenshot 1914-1918-online.net/

Screenshot 1914-1918-online.net/

1914-1918-online nennt sich ein engagiertes zum Weltkrieg-Gedenkjahr gestartetes Enzyklopädieprojekt

Damit nicht genug: Auch zahlreiche nationale und regionale Projekte widmen sich intensiv dem Thema. 1418 nennt sich beispielsweise ein Digitalisierungsprojekt italienischer Büchereien, Centenaire 2014 eine eigens zur Organisation der vielfältigen Gedenkfeierlichkeiten gegründete Interessenvereinigung in Frankreich und First World War Centenary der offizielle Gedenkjahrauftritt Großbritanniens. Auch in Österreich wird von Regierungsseite über das vom Bundeskanzleramt initiierte Kalendarium auch online über historische Gedenkjahre und damit auch über Veranstaltungen zum Ersten Weltkrieg informiert.

Suche nach neuem Material

Geht es nach dem Britischen Staatsarchiv, soll Laien aber nicht nur der Zugang zu Archivmaterial und sonstigen Quellen und Informationen erleichtert werden - erwartet wird auch ein konstruktiver Beitrag zur Forschungsarbeit. Hier findet sich auch einer der Hintergründe der Operation War Diary, bei der nun über 1,5 Millionen Seiten aus britischen Kriegstagebüchern online gestellt werden - mehr dazu in science.ORF.at.

Gleichzeitig macht sich etwa Europeana auf die Suche nach neuem Material - gesucht werden „Fotos, Briefe, Postkarten, Souvenirs oder andere Gegenstände aus dem Ersten Weltkrieg“ sowie Geschichten und Anekdoten „über jemanden, der involviert oder betroffen war“. Mit zusätzlichem Archivmaterial wird aber auch bei der Österreichischen Nationalbibliothek gerechnet - konkret wurde bereits angekündigt, die Websites zum Gedenkjahr 2014 im Web@rchiv Austria „auch in Zukunft für Interessierte greifbar“ zu halten.

Peter Prantner, ORF.at

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