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„Habe Scheiße gebaut“

Die Manipulationen beim ADAC-Autopreis „Gelber Engel“ reichen deutlich weiter zurück als bisher bekannt. ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair sagte der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag-Ausgabe), der bisherige ADAC-Kommunikationschef Michael Ramstetter habe nicht nur die aktuelle Abstimmung über das Lieblingsauto der Deutschen verfälscht, sondern auch die Teilnehmerzahlen der Jahre zuvor.

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Wie lange Ramstetter schon Zahlen erfunden hat, ist demnach aber noch unklar. Ramstetter selbst bestätigte der „Süddeutschen Zeitung“ die Manipulationen. „Ich habe Scheiße gebaut“, sagte Ramstetter wörtlich, wollte sich aber nicht eingehend zur Sache äußern. Ramstetter hatte bisher nur zugegeben, dass die Stimmzahlen bei der Wahl des VW Golf zum aktuellen Lieblingsauto der Deutschen „geschönt“ worden seien. Der Kommunikationsleiter des einflussreichen deutschen Automobilclubs legte wegen des Betrugs sämtliche Ämter nieder.

„Alleinige persönliche Verantwortung“

Der ADAC hatte die Manipulationsvorwürfe tagelang als „Unterstellungen“ zurückgewiesen und teils heftige Medienschelte betrieben. Ramstetter übernahm - drei Tage nach der großen Verleihungsfeier der bisher prestigeträchtigen Autopreise - „die alleinige persönliche Verantwortung“. Der Club teilte mit, der 60-Jährige habe alle Funktionen beim ADAC niedergelegt.

ADAC-Geschäftsführer Obermair kritisierte Ramstetter am Montag scharf. Dieser habe die Zahlen „in einer unglaublich dreisten Art und Weise“ nach oben verändert, so Obermair. Geschäftsführung und Präsidium seien bis zum Geständnis des Chefredakteurs der Mitgliederzeitschrift „Motorwelt“ am Freitag von dessen Unschuld ausgegangen.

ADAC-Chef: Habe nichts gewusst

Obermair bestritt am Montag erneut dezidiert, dass jemand in der Führungsriege des ADAC über die jahrelangen Manipulationen Kenntnis gehabt habe. Ramstetter ist laut ADAC alleinverantwortlich. Der Club ist sichtlich bemüht, mit dem Hinauswurf Ramstetters und der Ankündigung, die Causa gründlich aufzuarbeiten und personelle und strukturelle Veränderungen vorzunehmen, die Causa möglichst rasch und geräuschlos aus der Berichterstattung herauszuholen. Unklar ist, ob die ADAC-Führung tatsächlich erst am Sonntag erfuhr, dass auch frühere Wahlen manipuliert wurden. Darüber hatte die Süddeutsche Zeitung" Sonntagnachmittag in ihrer Onlineausgabe berichtet - Stunden später folgte das zweite Eingeständnis binnen 24 Stunden.

Dudenhöffer fordert ADAC-Aufspaltung

Dem ADAC - mit rund 19 Millionen Mitgliedern größter Autofahrerclub in Europa und größter Verein in Deutschland - droht eine massive Vertrauenskrise. Denn die Manipulationen werfen nach Ansicht des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen auch ein Schlaglicht auf andere Tests und Statistiken des ADAC. „Auch die Pannen- und Tunnelstatistik müsste man jetzt untersuchen“, sagte Dudenhöffer der Nachrichtenagentur dpa am Sonntag.

„Wenn sie beim ‚Gelben Engel‘ lügen, kann man das auch für die anderen Bereiche nicht ausschließen“, betonte er. Im ADAC-System laufe grundsätzlich etwas falsch. Der Autoexperte führt das unter anderem auf das Fehlen von Kontrollmechanismen in dem Verband zurück. Dudenhöffer forderte daher eine Aufspaltung des ADAC in ein Pannenservice und ein Wirtschaftsunternehmen. Es gebe Verflechtungen, die mit der Unabhängigkeit einer Testorganisation nichts zu tun hätten, monierte der Autoexperte.

VW stellt Wert des Preises infrage

Europas größter Autohersteller Volkswagen erwartet volle Aufklärung von dem Automobilclub. „Wir müssen denen natürlich auch eine Chance geben, die Sache aufzuklären“, sagte ein Sprecher des Wolfsburger Konzerns auf Anfrage. Erst dann werde entschieden, wie weiter vorzugehen ist. „Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass der Golf das Lieblingsauto der Deutschen ist.“ Die Frage sei jedoch, was dieser Preis bei den Begleitumständen überhaupt noch wert sei.

Deutschlands zweitgrößter Autofahrerclub, der Auto Club Europa (ACE), bewertete derartige Auszeichnungen für die Automobilbranche als überflüssig und als „aufgeblasene Selbstinszenierung“ des ADAC. Wer wirklich wissen wolle, welche Wagen am beliebtesten seien, solle auf die fälschungssicheren Zulassungszahlen des Kraftfahrtbundesamtes schauen, teilte der ACE in Stuttgart mit.

Minister rät ADAC zu mehr Bescheidenheit

Selbst der deutsche Verkehrsminister, Alexander Dobrindt (CSU) kommentierte die Causa: Der ADAC müsse nach den Manipulationen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, indem er die Karten offen auf den Tisch lege. Die Vorgänge zeigten, dass „großen Verbänden manchmal etwas mehr Bescheidenheit im Auftreten guttäte“, so der Minister. Zuvor hatte bereits Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter vom ADAC Aufklärung verlangt.

Häme im Netz

Mit bissigen Kommentaren reagierten viele Internetnutzer auf den Skandal. In Sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter sparten die User nicht mit Kritik und Häme. So twitterte etwa ein Nutzer, der sich „E.Fried“ nennt: „Kommt nach der Austrittswellle aus der Kirche nun die aus dem beliebtesten Verein Deutschlands, dem #adac?“ Und der User mit dem Namen Carsten Albrecht scherzt: „Oh, jetzt hat auch der #ADAC einen Knacks weg? Gar nicht mitbekommen. Das ist der Untergang Deutschlands -, ja des Abendlandes! ;-)“. Twitterer Andreas Laux spottete: „Noch kein einziges ‚Gefallene Engel‘-Wortspiel entdeckt. Was ist da los, Kalauer-Deutschland?“

34.299 statt 3.409

Der Automobilclub bemühte sich am Wochenende um Schadensbegrenzung. Bei den Wahlen sei nur die Zahl der abgegebenen Stimmen geschönt worden, aber nicht die Rangfolge der Ergebnisse, wurde betont. Zur Dimension der Zahlenmanipulation machte der ADAC aber weiter keine Angaben. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte am Dienstag als erstes Blatt über Mauscheleien beim „Gelben Engel“ berichtet. Nach ihren Informationen soll es bei der jüngsten Wahl nur 3.409 Stimmen für das Siegerauto VW Golf gegeben haben, ein ADAC-Papier vom Dezember 2013 habe dagegen als offizielles Ergebnis 34.299 Stimmen genannt.

Widersprüchliche Angaben

Widersprüchlich ist jedenfalls das Vorgehen des ADAC: Bis zum Wochenende wurde gemauert und dementiert - offenbar sollte die feierliche Preisverleihung mit zahlreichen Größen der Autobranche am Donnerstag um jeden Preis noch über die Bühne gehen, obwohl die Vorwürfe zwei Tage zuvor bekanntgeworden waren. Am Sonntag erklärte der ADAC dagegen, unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen Ramstetter hätten Geschäftsführung und Präsidium eine lückenlose interne Prüfung angeordnet und entsprechende Schritte initiiert.

Noch vor Abschluss dieser Untersuchung habe Ramstetter am Freitag seinen Fehler eingeräumt. Weder Geschäftsführung noch Präsidium seien zu irgendeinem Zeitpunkt zuvor „über diese Unregelmäßigkeiten bei der Leserwahl“ unterrichtet gewesen. Der Autoclub betonte, er wolle Vertrauen zurückgewinnen, und kündigte an, bis 2015 für die Abstimmung zum Lieblingsauto ein notariell überwachtes Verfahren zu entwickeln, das über jeden Zweifel erhaben sei.

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