„Aufgeblasene Selbstinszenierung“
Zuerst hatte der deutsche Autofahrerclub ADAC noch von Unterstellungen gesprochen und die Kritiker verspottet. Nun musste das Pendant zum heimischen ÖAMTC klein beigeben und Manipulationen beim Autopreis „Gelber Engel“ eingestehen.
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Der Imageschaden ist selbst verschuldet - auch der Rücktritt des ADAC-Kommunikationschefs und Chefredakteurs der Mitgliederzeitschrift „Motorwelt“, Michael Ramstetter, dürfte daran nichts mehr ändern. Die Zahl der abgegebenen Stimmen sei in der Kategorie Lieblingsauto der Deutschen, zu dem der VW Golf gewählt wurde, seit Jahren „geschönt“ und höher dargestellt worden, wie ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag-Ausgabe) bestätigte.
„Ich werde nichts sagen“
Zuvor hatte der ADAC die Manipulationsvorwürfe tagelang als „Unterstellungen“ zurückgewiesen und teils heftige Medienschelte betrieben. Ramstetter übernahm nun - drei Tage nach der großen Verleihungsfeier der bisher prestigeträchtigen Autorpreise - „die alleinige persönliche Verantwortung“. Der Club teilte mit, der 60-Jährige habe alle Funktionen beim ADAC niedergelegt.
Ramstetter habe sich für sein Fehlverhalten entschuldigt, hieß es weiter in der Pressemitteilung des Vereins. Der 60-Jährige habe bedauert, der Glaubwürdigkeit des ADAC Schaden zugefügt zu haben. Ramstetter selbst wollte sich am Sonntag nicht äußern. „Ich werde nichts sagen“, betonte er. Die „Bild am Sonntag“ hatte schon vor der Veröffentlichung des Autoclubs über die Folgen für Ramstetter berichtet. Deutschlands zweitgrößter Autofahrerclub, der Auto Club Europa (ACE), bewertete derartige Auszeichnungen für die Automobilbranche als überflüssig und als „aufgeblasene Selbstinszenierung“ des ADAC.
34.299 statt 3.409
Dem ADAC - mit rund 19 Millionen Mitgliedern größter Autofahrerclub in Europa und größter Verein in Deutschland - droht nun eine massive Vertrauenskrise. Der Automobilclub bemühte sich am Sonntag sofort um Schadensbegrenzung. Bei der Wahl des Lieblingsautos sei nur die Zahl der abgegebenen Stimmen geschönt worden, aber nicht die Rangfolge der Ergebnisse, wurde betont. Zur Dimension der Zahlenmanipulation machte der ADAC aber weiter keine Angaben.
Die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) hatte am vergangenen Dienstag als erstes Blatt über Mauscheleien beim Preis „Gelber Engel“ berichtet. Nach ihren Informationen soll es nur 3.409 Stimmen für das Siegerauto VW Golf gegeben haben, ein ADAC-Papier vom Dezember 2013 habe dagegen als offizielles Ergebnis 34.299 Stimmen genannt.
ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair hatte am vergangenen Donnerstag bei der offiziellen Feier zur Auszeichnung des VW Golf mit dem „Gelben Engel“ vor Gästen noch von „Unterstellungen und Unwahrheiten“ gesprochen. Er hatte gespottet, immerhin seien die vier Buchstaben des ADAC richtig abgedruckt worden. Im Übrigen sei nichts älter als die Tageszeitung von gestern: „Mit der packt man den Fisch ein.“
Widersprüchliche Angaben
Am Sonntag erklärte der ADAC dagegen, unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen Ramstetter hätten Geschäftsführung und Präsidium eine lückenlose interne Prüfung angeordnet und entsprechende Schritte initiiert. Noch vor Abschluss dieser Untersuchung habe Ramstetter am vergangenen Freitag seinen Fehler eingeräumt. Weder die Geschäftsführung noch Präsidium seien zu irgendeinem Zeitpunkt zuvor „über diese Unregelmäßigkeiten bei der Leserwahl“ unterrichtet gewesen.
Die anderen Kategorien beim Preis „Gelber Engel“ seien von den Vorgängen nicht betroffen, betonte der Autoclub. Er will Vertrauen zurückgewinnen und kündigte an, bis 2015 für die Abstimmung zum Lieblingsauto ein notariell überwachtes Verfahren zu entwickeln, das über jeden Zweifel erhaben sei.
Auch bei früheren Wahlen gemogelt?
Doch die Affäre dürfte für den ADAC damit längst nicht ausgestanden sein. Die „SZ“ berichtete am Sonntag in ihrer Onlineausgabe prompt, dass die Zahlen wohl auch in den Jahren zuvor gefälscht, ja teils frei erfunden worden seien.
VW stellt Wert des Preises in Frage
Europas größter Autobauer Volkswagen erwartet volle Aufklärung von dem Automobilclub. „Wir müssen denen natürlich auch eine Chance geben, die Sache aufzuklären“, sagte ein Sprecher des Wolfsburger Konzerns auf Anfrage. Erst dann werde entschieden, wie weiter vorzugehen ist. „Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass der Golf das Lieblingsauto der Deutschen ist.“ Die Frage sei jedoch, was dieser Preis bei den Begleitumständen überhaupt noch wert sei.
Der ACE wandte sich grundsätzlich gegen Auszeichnungen in der Automobilbranche. Wer wirklich wissen wolle, welche Wagen am beliebtesten seien, solle auf die fälschungssicheren Zulassungszahlen des Kraftfahrtbundesamtes schauen, teilte der ACE in Stuttgart mit. „Demgegenüber ist alles andere offenbar nur Blendwerk und aufgeblasene Selbstinszenierung“, hieß es in der Stellungnahme. Es sei erklärungsbedürftig, warum Repräsentanten namhafter Autohersteller sich diese „peinliche Farce“ weiter antun wollen.
Alle ADAC-Statistiken fragwürdig?
Die Manipulationen werfen nach Ansicht des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen auch ein Schlaglicht auf andere Tests und Statistiken des ADAC. „Auch die Pannen- und Tunnelstatistik müsste man jetzt untersuchen“, sagte Dudenhöffer der Nachrichtenagentur dpa am Sonntag. „Wenn sie beim ‚Gelben Engel‘ lügen, kann man das auch für die anderen Bereiche nicht ausschließen“, betonte er. Im ADAC-System laufe grundsätzlich etwas falsch. Der Autoexperte führt das unter anderem auf das Fehlen von Kontrollmechanismen in dem Verband zurück.
Minister rät ADAC zu mehr Bescheidenheit
Selbst der deutsche Verkehrsminister, Alexander Dobrindt (CSU), kommentierte die Causa: Der ADAC müsse nach den Manipulationen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, indem er die Karten offen auf den Tisch lege. Die Vorgänge zeigten, dass „großen Verbänden manchmal etwas mehr Bescheidenheit im Auftreten guttäte“, so der Minister. Zuvor hatte bereits Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter vom ADAC Aufklärung verlangt.
Häme im Netz
Mit bissigen Kommentaren reagierten viele Internetnutzer auf den Skandal um geschönte Zahlen bei der ADAC-Wahl zum „Lieblingsauto“. In Sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter sparen die User nicht mit Kritik und Häme. So twitterte etwa ein Nutzer, der sich E.Fried nennt: „kommt nach der Austrittswellle aus der Kirche nun die aus dem beliebtesten Verein Deutschlands, dem #adac ?“ Und der User mit dem Namen Carsten Albrecht scherzt: „Oh, jetzt hat auch der #ADAC einen Knacks weg? Gar nicht mitbekommen. Das ist der Untergang Deutschlands -, ja des Abendlandes! ;-)“. Twitterer Andreas Laux spottet: „Noch kein einziges ‚Gefallene Engel‘-Wortspiel entdeckt. Was ist da los, Kalauer-Deutschland?“
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