„So eine Hingabe, so kreativ“
Das in den frühen Morgenstunden des Sonntag zu Ende gegangene Eurosonic Festival in der niederländischen Stadt Groningen hatte einen Österreich-Schwerpunkt: 18 Konzerte von heimischen Bands vor Fachpublikum wie Konzertbuchern und Agenten - und natürlich vor interessierten Besuchern. Der Kampf um das Überspringen des Funkens war hart.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Aber gekämpft haben sie, die Österreicher. Hinter vorgehaltener Hand klagen manche, dass es ordentlich mühsam sein kann, vor der Musikbranche aufzugeigen: Man muss so tun, als ob man gerade das Konzert seines Lebens vor einer brodelnden Masse gibt - obwohl man hauptsächlich Nerd-Brillen tragende, Notizen machende Talentescouts vor sich hat, dazu die mitreisenden Österreicher und ein paar Holländer, die mitunter wirken, als ob sie sich verlaufen hätten, weil sie vom Deutschen nichts verstehen.
Attwenger: Das funktioniert
Grundsätzlich erwies sich als zutreffend, was mehrere Brancheninsider ORF.at gegenüber erklärt hatten: je ausgefallener, desto eher kommt Publikum - und bleibt auch. Zum Beispiel Attwenger, jenes Duett, das seit bald 25 Jahren mit Ziehharmonika und Schlagzeug zwischen Punk, Beats und Volksmusik changiert. Die ersten drei Reihen tanzten, immer wieder „Yeah“. Eine Holländerin sagt: „Unglaublich, grandios die beiden. So eine Hingabe, und so kreativ.“ Ein anderer: „Wow. Normalerweise gibt es keine Volksmusik hier. Aber spitze.“

ORF.at/Simon Hadler
Das Publikum auf Touren bringen in 45 Minuten: Attwenger
Markus Binder, Schlagzeuger und Sänger von Attwenger, sagt, dass die Band eigentlich schon lange auch international auftritt, von Texas bis Spanien. Zuerst reagiere das Publikum stets erstaunt - dann „funktioniert das schon“. Einfach ein gutes Konzert geben - mit weiteren Ambitionen sei man nicht hergekommen. Visitenkarten werden nicht verteilt: „Wir spielen eh schon auf der ganzen Welt.“ Normalerweise, so Binder, spiele die Band gar nicht auf Showcase-Festivals, diesmal aber wegen des Österreicher-Schwerpunkts doch.
Spezieller Auftritt für Ja, Panik
Jene Band, die mit den größten Vorschusslorbeeren kam, war Ja, Panik. Sie wurden von Medienleuten aus ganz Europa zu jenem Act gewählt, den man am gespanntesten erwartete. Der Kern der Band kommt ursprünglich aus dem Burgenland, mittlerweile leben sie längst in Berlin. Für Ja, Panik war der Auftritt in Groningen etwas Besonderes, nicht nur wegen der Chance auf Buchungen und auch nicht wegen der bevorstehenden Veröffentlichung des neuen Albums.

Patrick Münnich
Ja-Panik-Sänger Andreas Spechtl, selbstvergessen singend
Wie Bassist Stefan Pabst im Gespräch mit ORF.at erzählt, war es das erste Konzert in der neuen Formation: Zwei Mitglieder der ursprünglichen Besetzung hatten sich im Lauf der letzten zwei Jahre verabschiedet, die weitere Existenz von Ja, Panik war fraglich. Aber man wollte nicht aufgeben, zwei Neue standen deshalb in Groningen erstmals mit auf der Bühne. Kein leichtes Pflaster, eine harte Feuertaufe. Wie Pabst sagt, funktioniert die Band nicht zuletzt wegen ihrer zu Recht hochgelobten Texte.
Das Motto: „Stur bleiben“
Fällt diese Ebene aufgrund der Sprachbarriere weg, fehlt etwas. Das internationale Publikum hatte sich trotz einer beachtlichen Performance der fünf bis zum Ende ganz schön gelichtet. Für Groningen sei die Band wohl nicht deutsch genug gewesen, was den Deutschland-Fun-Faktor betrifft, mutmaßt Pabst. Ja, Panik seien eben nicht Kraftwerk oder Rammstein. In Afrika, wo sie vor zwei, drei Jahren eine Handvoll Auftritte gehabt hatten, sei das ganz anders gewesen. Dort habe die Musik gewirkt.
Ja, Panik ist jedenfalls gelungen, wovon viele heimische Bands träumen: In Deutschland zu reüssieren. Zweimal zierten sie bereits das Cover des renommierten Musikmagazins Spex. Ein Patentrezept für junge Bands hat Pabst dennoch nicht parat. Wenn man woanders punkten wolle, müsse man eben woanders hingehen, sagt er. Und man dürfe sich nicht zufriedengeben, bevor man erreicht habe, was man wolle. Als Devise gelte: „stur bleiben“.
„Es geht in Richtung Ausland“ für Koenigleopold
Die nächste Band beweist, was die Experten sagen: dass das Abseitige eher gefragt ist als etwas, das man schon kennt. Bei Koenigleopold steht das Publikum dicht gedrängt, und die Menschen wirken so, als ob sie wirklich extra für den Auftritt gekommen wären. Ein Slowene, den es nach Groningen verschlagen hat, sagt: „Eindeutig das beste Konzert beim Eurosonic. Ich bin hier, weil ich mir die Band schon vorher im Internet angeschaut habe. Das ist Dadaismus, Groove und Hip Hop zugleich, das ist genauso lustig wie intelligent - und ich liebe die Distanz von Koenigleopold zur Ernsthaftigkeit des Musikbusiness.“

ORF.at/Simon Hadler
„Dadaismus“, sagt ein slowenischer Konzertbesucher, um Koenigleopold zu loben
In den Visuals wird abgekotet, die zwei Protagonisten tragen blaue Anzüge und zeigen viel Haar - im Gesicht wie auf der Brust. Leo Riegler führt vor, wie man gleichzeitig Wein aus der Flasche trinken, damit Gurgeln und singen kann. Dadaismus trifft es gut, was den Auftritt, die Texte und die Musik betrifft. Die Begeisterung im Publikum war tatsächlich groß. Auch die Band hat gespürt, dass es „gut gepasst hat“, sagt Sänger Riegler, selbst wenn er zuerst etwas schockiert war aufgrund der Masse an Menschen, die sich in den Miniclub drängte.
All das für kein Geld? Bei Showcase-Festivals tritt man ohne Gage auf. Riegler sagt: „Wir sind hier, weil man uns gesagt hat, dass es wichtig ist.“ Normalerweise trete man nicht gratis auf. Die Hoffnung ist, für Gigs gebucht zu werden. Denn man spielt schon Konzerte außerhalb von Österreich - eines gab es in Dublin, auch in Deutschland traten Koenigleopold auf und sogar in Japan: „Das muss noch mehr werden. Es geht in Richtung Ausland.“ Ob es das Eurosonic für die Band gebracht hat, wird die Zukunft weisen.
„Oh Yeah, she performs“
Da gehen einem die Metaphern aus. Rock’n’Roll ist nur schwer zu beschreiben, wenn er funktioniert. Die österreichische Band Sex Jams haben Sonic Youth die nonchalante Coolness ausgetrieben, was bleibt, sind die pure Energie und der Spaß an der Ekstase. Beim ersten Song springt die Sängerin ins Publikum. Bei Minute zwanzig stürzt der Bassist von der Bühne. Minute 35 - die Frontfrau steckt sich das Mikro bis zum Anschlag in den Mund. „Oh Yeah, she performs“, will man da in Anlehnung an einen Filmtitel sagen.

ORF.at/Simon Hadler
Sex Jams haben für ihren fulminanten Gig eine Visitenkarte aus Seattle erhalten
Für das Publikum ging das fast einen Tick zu schnell. Aber wer auch immer im Booker ist, muss diese Band buchen. Der Auftritt war keinen Moment lang peinlich, weil diese Truppe ganz offensichtlich an das glaubt, was sie tut. Ein junger Holländer im Publikum, der eigentlich wegen der nächsten Band gekommen ist, hat sich sichtlich mitreißen lassen. Er sagt: „Das war total chaotisch - und zwar in der ursprünglichen Bedeutung von Chaos.“
Wie auch immer, er meint das positiv und fügt hinzu: „So viel Enthusiasmus!“ Zwei Burschen schließen sich an: „Schräg, ein großer Spaß - und der Bassspieler ist ein cooler Typ, den würden wir gern zu unserem nächsten Angelausflug mitnehmen!“ Die Uhrzeit: drei Bier nach neun. Auch den Profis scheint es gefallen zu haben. In ihrem FM4-Konzertblog berichtet die Band, man habe nach dem Gig neben viel Lob auch die Visitenkarte eines Bookers aus Seattle erhalten.
Auf dem Riesenradi blasen
Erstaunte Blicke im Publikum - und schon nach einer Minute alle Smartphones oben. Was rund 200 Facebook-Statusmeldungen eine weitere Minute später berichtet haben: Beim offiziellen Österreicher-Empfang in Groningen spielte das Wiener Gemüseorchester. Alle Instrumente sind frisch aus Gemüse gebastelt. Der Kürbis als Basedrum, auf dem Riesenradi wird geblasen, der Karfiol gerubbelt. Mit der Auswahl an Songs wird gezeigt, dass man alles kann - von Noise bis Weltmusik.
Im Publikum befindet sich unter anderem Carsten Schumacher vom „Intro“-Magazin. Der deutsche Markt ist besonders wichtig für die Österreicher - und nicht unbedingt leicht zu beackern. Was also sagt der Journalist zur Salatrubbelorgie? „Das ist eigentlich Performance-Kunst für Leute mit Musikverständnis oder mit Liebe zum veganen Leben.“ Und er weiß den Bruch zu würdigen - im konzertanten Halbkreis sitzend - und dann „Krautrock“ im Wortsinn spielen: „Originell und interessant.“

ORF.at/Simon Hadler
All diese Menschen mussten wieder gehen, weil kein Platz mehr war: Klangkarussell waren in Holland Platz eins in der Hitparade
Hitparadentechno und Mr. Hardcore Österreich
Aber was finden die Holländer nicht „interessant“, sondern so richtig, richtig gut? Klangkarussell. Die Österreicher waren unlängst mit „Sonnentanz“ auf Platz eins der niederländischen Hitparade (und Platz drei in Großbritannien). Der simple, druckvolle Techno brachte das Publikum so richtig zum Tanzen und Lachen. Und führte - österreichisch formuliert - das Ö3-Publikum zum Eurosonic, wo sonst eher FM4-Klientel anzutreffen ist.
In noch eine Band haben sich die Niederländer verliebt: Fuckhead. Performer und Sänger Didi Bruckmayr und seine Truppe gehören eigentlich zum UNESCO-Kulturerbe erhoben. Tätowiert, halbnackt, führen sie ihre (aber nur ein bisschen) ironisch gebrochene Testosteronshow auf: die letzten Wilden der alten Schule. Bruckmayr beim Abschied vom Publikum, das wirklich begeistert war: „So machen wir das in Österreich.“ Eine hübsch gekleidete Dame blieb bis zum Schluss und sagte dann zu ihrem Begleiter: „Fantastisch!“

ORF.at/Simon Hadler
Fuckhead - Didi Bruckmayrs (rechts) Hardcore-Performance-Projekt
Es hat gefallen
Eine bemerkenswerte Stimme hat die Sängerin des Elektropop-Quartetts Ghost Capsules, Laura Gomez. In Trockeneisrauch getaucht, mit wabernden Synthesizern im Hintergrund, ohrenbetäubend laut, nahm sie den gut gefüllten Saal in ihren Bann. Jazzig und virtuos ging es schließlich bei Schlagwerker Manu Delago und seiner Band zu. Das Publikum saß in rotem Plüsch und dankte mit lang anhaltendem Applaus für ein inspiriertes Konzert.
Was bleibt nach vier Tagen Eurosonic? Für die Bands Visitenkarten und in der Folge - so die Hoffnung - die eine oder andere Einladung zu Gigs und Festivals oder am Ende sogar ein Vertriebspartner im europäischen Ausland. Und, gerade auch für die große österreichische Entourage, die Erkenntnis: Österreich ist heute wieder ein Musikland - schräg, vielleicht, aber gut schräg. Den Niederländern hat’s gefallen.
Simon Hadler, ORF.at, Groningen
Links: