Drogen, Wahnsinn, Literatur
William S. Burroughs II. war der verruchte Poet des 20. Jahrhunderts. Ein schwuler Junkie, Waffennarr und Psychotechniker, der sich nicht um die Konventionen seiner Zeit scherte. Die Extremsituationen, die er durchlebte, dienten als Blaupause für seine Texte.
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William S. Burroughs wurde am 5. Februar 1914 in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri geboren. Sein Vater, Mortimer Burroughs, betrieb dort unter anderem eine Glaserei. Glaubt man dem Burroughs-Biografen Victor Bockris, so dominierte seine Mutter Laura Hammon Lee die Familie, ihr Sohn selbst schrieb vom Leben in einer „bösartigen matriarchalischen Gesellschaft“. Seine Eltern sollten ihn und seine Familie aber zeitlebens beinahe bedingungslos unterstützen, angesichts des Lebenswandels ihres Sohnes eine Leistung, die an Selbstaufgabe grenzte.

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1991: Schauspieler Peter Weller, Regisseur David Cronenberg und William Burroughs (v. l. n. r.) auf dem Filmset von „Naked Lunch“
Die Verhältnisse, in denen William S. Burroughs und sein älterer Bruder Mortimer aufwuchsen, lassen sich als gutbürgerlich bezeichnen, aufgezogen wurden die Kinder von einer englischen Gouvernante, die Familie beschäftigte auch einen Koch. Laura Lee stammte aus einer alten Südstaatenfamilie, später sollte Burroughs den Nachnamen seiner Mutter als Pseudonym verwenden.
Geld und Rechenmaschinen
Der Begründer der Dynastie, Williams Großvater William Seward Burroughs I., stammte aus dem Nordosten der USA. In Auburn, im Bundesstaat New York, arbeitete er in den 1880ern als Bankangestellter. Er ging aber nicht in der Monotonie seines Jobs auf, wie Fernando Pessoas virtueller Buchhalter Bernardo Soares. Vielmehr zog er westwärts nach St. Louis und erfand eine Rechenmaschine, die Büroangestellten die mühselige Arbeit erleichtern sollte.
Die von William S. Burroughs’ Großvater gegründete Firma war mit ihren Rechnern sehr erfolgreich, keine Bank kam mehr ohne sie aus. Die Leitung des Burroughs-Konzerns trickste den Nachfahren des Gründers nach dessen Tod 1898 aber recht schnell ihre Firmenanteile ab, wie Burroughs-Biograf Ted Morgan beschreibt. Mortimer Burroughs behielt einige Anteile, deren Wert stark anstieg, und verkaufte sie 1929, kurz vor dem Börsenkrach.
Rund eine Viertelmillion US-Dollar konnte Mortimer Burroughs aus dem Verkauf der Firmenanteile lukrieren. Damit war die Familie zwar nicht superreich, aber wohlhabend genug, ihren Söhnen eine exzellente Ausbildung zu finanzieren. William erhielt lange Zeit monatlich 200 US-Dollar von seinen Eltern - 1940 hatte diese Summe laut der US-Website „Measuring Worth“ die Kaufkraft von rund 3.300 Dollar im Jahr 2012.
Abstecher nach Wien
Zu Beginn lebte William S. Burroughs noch standesgemäß. Er studierte in Harvard Englisch und Anthropologie und hörte 1936/37 Medizin in Wien, nutzte seine Zeit aber hauptsächlich dazu, Europa zu bereisen. In Dubrovnik traf er Ilse Klapper, die als Jüdin nicht mehr in ihre Heimat Deutschland zurückkehren konnte. Burroughs heiratete sie und verschaffte ihr damit das rettende Visum für die USA. 1946 ließen sich die beiden scheiden.
Zurück in den USA scheiterte Burroughs in den verschiedensten Rollen, weder die Armee noch der CIA-Vorgänger OSS wollten ihn haben, auch seine Karriere als Kammerjäger in Chicago 1942 währte nur acht Monate.
Karriereoption Verbrecher
Burroughs begriff sich als schwul und er war, wie Bockris nacherzählt, sich dessen spätestens ab dem Zeitpunkt bewusst, als er sich mit 15 auf der Internatranch Los Alamos in einen Mitschüler verliebt hatte. Das hielt ihn aber nicht davon ab, auch mit Frauen Sex zu haben, in New York lernte er Mitte der 1940er Jahre auf Vermittlung seiner Freunde Jack Kerouac und Allen Ginsberg - den wichtigsten Protagonisten der „Beat Generation“ - Joan Vollmer kennen, 1946 heirateten die beiden.
Burroughs’ Versuche, eine bürgerliche Existenz zu gründen, waren fehlgeschlagen. Er versuchte sich als Hehler und kaufte einem Kumpel Diebesgut ab, das dieser aus einem Navy-Stützpunkt herausgeschmuggelt hatte: Eine Maschinenpistole und 16 Schachteln mit Morphium-Fertigspritzen. Aus Neugier injizierte sich Burroughs eine Dosis Morphium, der Beginn einer Sucht, an der er sich den Rest seines Lebens abarbeiten sollte.
Hanfbauer in Texas
In New York gescheitert, beschloss Burroughs, sich als Farmer zu versuchen und kaufte einen abgelegenen Bauernhof in Texas, um dort Hanf anzubauen - das aus den Pflanzen gewonnene Marihuana wollte er später in New York teuer verkaufen. Auch Joan zog mit in den Westen. 1947 gebar sie den gemeinsamen Sohn William Seward Burroughs Jr. Der Hanf gedieh prächtig, aber Burroughs und seine Freunde, New Yorker Kleingangster und Bohemiens, wussten nicht, wie sie ihn korrekt weiterverarbeiten mussten. Am Ende waren sie gezwungen, ihre ganze Ernte für 100 Dollar loszuschlagen.
Burroughs verkaufte daraufhin die Farm und zog mit seiner Familie 1948 nach New Orleans. Als Junkie kam er schnell wieder in Konflikt mit der Polizei, er wurde bei einer Kontrolle wegen Drogenbesitzes verhaftet und ließ sich in ein Sanatorium einweisen.
Spiel mit dem Leben
Um weiterem Ärger zu entgehen, setzte er sich im Oktober 1949 mit seiner Familie nach Mexico City ab. Dort kam es im September 1951 zum wohl tragischsten Ereignis im Leben des Schriftstellers: Unter Alkoholeinfluss spielte der Waffennarr Burroughs mit seiner Frau „Wilhelm Tell“. Sie stellte sich ein Glas auf den Kopf, Burroughs holte spielerisch eine geladene Pistole hervor, zielte auf das Glas. Er schoss daneben und traf Joans Kopf. Sie war sofort tot.
In einem Gespräch aus dem Jahr 1974, das Bockris in seinem Buch dokumentiert hat, bezeichnete Burroughs die Tat als „Unfall“, er habe zu dem Zeitpunkt keine Kontrolle über sich gehabt. Auch Gene Allerton und Eddie Woods, zwei Bekannte von Burroughs, die bei der Tat mit im Raum gewesen waren, bestätigten diese Version gegenüber dem Biografen Ted Morgan. Einer längeren Haftstrafe entzog sich Burroughs durch die Tricksereien seines erfahrenen Anwalts.
Tod mit Konsequenzen
Der Richter verurteilte Burroughs zu einer Haftstrafe von fünf Jahren, die er aber nicht sofort hat antreten müssen. Das bot ihm die Gelegenheit, sich in die USA abzusetzen, nachdem in der Zwischenzeit auch sein Anwalt in Konflikt mit dem Gesetz geraten war und ihn nicht mehr schützen konnte. Sein Bruder holte seinen Sohn Billy Junior zu den Großeltern in die USA.
Burroughs hat sich für die Tat nicht weiter vor der Justiz verantworten müssen. Laut Ted Morgan brachte sie ihn aber dazu, sich schreibend an seiner Existenz abzuarbeiten. „Ich muss zu dem schrecklichen Schluss kommen“, zitiert er Burroughs, „dass ich ohne Joans Tod niemals Schriftsteller geworden wäre.“
Sein erster veröffentlichter Roman „Junkie“ (auch: „Junky“) erschien 1953 unter dem Pseudonym William Lee. Während „Junkie“ noch eine klassische lineare Bekennergeschichte über das Leben von Drogensüchtigen im New Yorker Untergrund der 1940er Jahre war, fand Burroughs erst ab 1954 im marokkanischen Tanger zu einer eigenen Stimme, schrieb in den folgenden Jahren die Textsequenzen auf, die ihn berühmt machen sollten.
Literarischer Triumph
1959 erschien „Naked Lunch“, Burroughs’ wichtigstes Buch, eine Textassemblage ohne durchgehende Handlung, die mit ihren teils surrealen, teils hyperrealistischen Darstellungen von Sex und Gewalt die Aufmerksamkeit der US-Justiz erregte. In Los Angeles und Boston befassten sich Gerichte 1965/66 mit dem angeblich unsittlichen Roman. Burroughs’ Verlag Grove Press gewann beide Verfahren.
Der juristische Wirbel um „Naked Lunch“ festigte den Ruf des Autors als Grenzgänger noch. Außerdem markierte das Verfahren das Ende der Literaturzensur in den USA. „‚Naked Lunch‘ war das letzte literarische Werk, das von der Post, dem Zoll und von der Regierung eines US-Bundesstaates zensuriert wurde“, schrieb Burroughs-Biograf Ted Morgan.
1958 verließ Burroughs Tanger Richtung Paris, wo er von dem Maler Brion Gysin, den er bereits in Marokko kennengelernt hatte, die „Cut-up-Methode“ übernahm: Die beiden zerschnitten nach dem Vorbild der Zwischenkriegsavantgarde Bilder und Texte und rekombinierten sie, um neue Assoziationen zu schaffen. Auf Grundlage dieser Technik produzierte Burroughs unter anderem seine „Nova“-Romantrilogie.
Großvater des Punk
Als der Schriftsteller 1974 von London nach New York zurückkehrte, war er in seiner Heimat beinahe schon vergessen. Was dann folgte, hat Bockris in seinem „Bericht aus dem Bunker“ dokumentiert. Der Schriftsteller wurde, nachdem er sich in dem ehemaligen Umkleideraum einer YMCA-Turnhalle in der Lower East Side niedergelassen hatte, von den Protagonisten der Proto-Punk-Szene wie Patti Smith „adoptiert“, die in Burroughs einen ihrer Vorläufer erkannten - oder sich in seiner Aura authentischer Verruchtheit sonnen wollten.
Zum Verdruss seiner echten Freunde wie James Grauerholz, der heute Burroughs’ künstlerischen Nachlass verwaltet, brachten die neuen Fans auch gerne Heroin als Gastgeschenk mit.
Liebling der Society
Produktiv blieb Burroughs dennoch, in der letzten Phase seines literarischen Schaffens schrieb er unter anderem die „Red Night“-Romantrilogie. In diesem Spätwerk näherte sich Burroughs wieder konventionellen Erzähltechniken an und entfaltete nochmals ein Privatuniversum, das es stellenweise durchaus mit der Wucht von „Naked Lunch“ aufnehmen kann, etwa in dem Fantasy-Western „The Place of Dead Roads“, dessen Hauptfigur, der schwule Revolverheld Kim Carsons, gegen das Establishment antritt.
In seinen späten Jahren genoss Burroughs hohe Akzeptanz in der New Yorker Kunstwelt, wie Bockris dokumentiert. Alte Freunde wie Allen Ginsberg frequentierten seine Wohnhöhle, den „Bunker“, ebenso wie Susan Sontag, Mick Jagger, Andy Warhol und Lou Reed. 1978 veranstaltete der Literaturwissenschaftler Silvere Lotringer die Konferenz „Nova Convention“, die ganz Burroughs gewidmet war und den Subkulturhelden noch zu Lebzeiten in den US-amerikanischen Literaturkanon einschrieb.
Tod in Kansas
1981 verlegte Burroughs seinen Wohnsitz aus New York nach Lawrence in Kansas. Im selben Jahr starb sein Sohn, William S. Burroughs Jr., im Alter von 33 Jahren an selbst verschuldeten Komplikationen einer Lebertransplantation, er hatte mit psychischen Problemen und den Folgen seiner Amphetaminsucht gekämpft.
Einen letzten großen Aufmerksamkeitsschub erfuhr Burroughs’ Werk 1991, als David Cronenbergs Verfilmung von „Naked Lunch“ in die Kinos kam. Ansonsten verbrachte er seine Zeit mit Malerei und Schießen, am liebsten mit einer Fusion aus beidem, den „Shotgun Paintings“.
Den USA der 1990er Jahre konnte Burroughs nicht mehr viel abgewinnen. „Wo bleiben die Kavallerie, das Raumschiff, die Rettungsmannschaft? Wir sind auf diesem von verlogenen und beschränkten Scheißern beherrschten Planeten uns selbst überlassen worden“, zitiert Bockris seinen Tagebucheintrag vom 26. Mai 1997. Am 2. August desselben Jahres verstarb William S. Burroughs II. im Alter von 83 Jahren an den Folgen eines Herzanfalls an seinem Wohnort in Kansas.
Günter Hack, ORF.at
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