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Kranke Mutter in Deutschland behandelt

Der am Freitag begnadigte und freigelassene Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski ist am Nachmittag in Deutschland gelandet. Rund eine Stunde, nachdem die russischen Behörden mitgeteilt hatten, der 50-Jährige habe Russland mit dem Flugzeug in Richtung Deutschland verlassen, landete Chodorkowski in Berlin.

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Chodorkowski landete auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld, wo ihn Deutschlands Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher empfing. Der FDP-Politiker bestätigte der Nachrichtenagentur dpa die Ankunft des früheren Ölmilliardärs. Chodorkowski kam mit einem Firmenflugzeug der Unternehmensgruppe OBO Bettermann aus Menden im Sauerland nach Berlin, das Genscher organisiert hatte. An der Ausreise waren auch die deutsche Botschaft in Moskau und das Auswärtige Amt beteiligt.

Deutsche Polizeiautos, in dem der russische Oligarch Michail Chodorkowski vermutet wird

Reuters/Fabrizio Bensch

Chodorkowski an Bord? Ein Polizeikonvoi verlässt den Flughafen Berlin-Schönefeld

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte die Haftentlassung Chodorkowskis. Laut Regierungssprecher Steffen Seibert habe sich Merkel in den vergangenen Jahren wiederholt beim russischen Präsidenten Wladimir Putin für die Freilassung von Chodorkowski eingesetzt. Zugleich würdigte die Kanzlerin die Bemühungen von Ex-Außenminister Genscher, der sich hinter den Kulissen intensiv um den Fall gekümmert habe. „Mit großem Einsatz hat er sich - mit Unterstützung der Bundeskanzlerin und des Auswärtigen Amts - erfolgreich um Lösungswege bemüht.“

Überraschung über rasche Freilassung

Die Ereignisse am Freitag überschlugen sich. Chodorkowski wurde von Präsident Wladimir Putin begnadigt und aus dem Gefangenenlager entlassen. Die rasche Freilassung des Kreml-Kritikers und ehemaligen Chefs des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos hatte für Überraschung gesorgt. Einem Zeitungsbericht zufolge übte der russische Geheimdienst auf den früheren Oligarchen im Hintergrund Druck aus.

Russischer Oligarch Michail Chodorkowski

AP/Sergey Ponomarev

Chodorkowski am 22. Oktober 2010 auf dem Weg zu einem Gerichtstermin

Die Zeitung „Kommersant“ berichtete am Freitag unter Berufung auf anonyme Quellen, Anfang Dezember habe es ein Gespräch von Geheimdienstmitarbeitern mit Chodorkowski gegeben, bei dem kein Anwalt zugegen gewesen sei. Dabei sei ihm gesagt worden, dass sich der Gesundheitszustand seiner krebskranken Mutter verschlechtert habe und ihm ein dritter Prozess drohe.

Schuldeingeständnis oder nicht?

Daraufhin habe sich Chodorkowski, der bisher immer ein Gnadengesuch verweigert hatte, an Putin gewandt. Chodorkowskis Anwälte und seine Mutter hatten am Donnerstag angegeben, keine Kenntnis von dem von Putin erwähnten Gnadengesuch zu haben. Chodorkowski hatte es bisher immer abgelehnt, um Begnadigung zu bitten, weil er ein damit verbundenes implizites Schuldeingeständnis vermeiden wollte. Diesen Triumph wollte er Putin nicht vergönnen.

Putins Sprecher Dimitri Peskow betonte nun, dass der Gnadenakt aus Sicht des Kreml eine Anerkennung der Urteile bedeute - also eine Niederlage für Chodorkowski. Dagegen meinte der Parlamentsabgeordnete Pawel Krascheninnikow von der Kreml-Partei Geeintes Russland, dass ein Schuldeingeständnis keine Bedingung für eine Begnadigung sei.

Mutter meldete sich zu Wort

Putin begründete seine Entscheidung mit einer Erkrankung von Marina Chodorkowskaja, der Mutter des Putin-Gegners. Auch die Anwälte des einst reichsten Russen waren von der Nachricht überrascht worden. Chodorkowskaja besitzt nach Aussage Chodorkowskis die größte moralische Autorität. „Nach außen hat sie immer gelächelt und stolz ihren Kopf gehoben“, schrieb der 50-Jährige vor gut drei Wochen in einem Beitrag für die „New York Times“ („NYT“) über seine fast 80-jährige Mutter. „Seine Entscheidung kann nur beurteilen, wer selbst zehn Jahre in Haft gesessen hat“, sagte Chodorkowskaja nun. Sie hatte weltweit bei Reisen um Unterstützung für ihren Sohn geworben.

Um 12.20 Uhr wieder in Freiheit

Putin hatte die Begnadigung am Donnerstag überraschend angekündigt. Auf Grundlage der Prinzipien der Humanität befreie er den 50-Jährigen von dessen weiterer Haftstrafe, hieß es in dem veröffentlichten Ukas. Die Entscheidung trat sofort in Kraft. Chodorkowski ist daher nach zehn Jahren Haft wieder in Freiheit. Er verließ das Straflager in der Stadt Segescha im Norden Russlands an der finnischen Grenze am Freitag um 12.20 Uhr (9.20 Uhr MEZ), wie die Agentur Interfax meldete. Der Anwalt Chodorkowskis bestätigte am Freitag, sein Mandant habe die in Nordwestrussland gelegene Haftanstalt verlassen.

Der schärfste Gegner Putins hätte regulär nach zwei international umstrittenen Urteilen im August nächsten Jahres wieder in Freiheit kommen sollen. Eine weitere Anklage war allerdings bereits auf Schiene. Der frühere Chef des einst größten russischen Ölkonzerns Yukos war gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Platon Lebedew unter anderem wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Diebstahls verurteilt worden.

Als politischer Gegner ausgeschaltet

Der Prozess gegen ihn wurde international als politisch motiviert kritisiert. Auch Chodorkowski, der die zunehmende Korruption unter Putin kritisiert und auch die Opposition finanziert hatte, hält die Verfahren gegen sich bis heute für politisch gesteuert. Neben seiner Kreml-Kritik setzte sich der einst reichste Mann Russlands zudem für den Bau einer von seiner Firma kontrollierten Ölpipeline nach China ein, die den staatlichen Firmen Konkurrenz gemacht hätte.

Beobachter gehen davon aus, dass es Putin egal sein kann, ob Chodorkowski in Freiheit möglicherweise seinen Kampf fortsetzen werde oder nicht. Demnach stelle der 50-Jährige keine politische Bedrohung mehr dar, Putin habe Macht und Einfluss gefestigt.

Freundliche Miene vor Sotschi-Spielen

Dass er nun freikam, gilt als Zugeständnis des Kreml an den Westen vor den Olympischen Winterspielen, die am 7. Februar in Sotschi am Schwarzen Meer eröffnet werden. Russland sah sich zuletzt wegen der Menschenrechtslage zunehmend unter Druck. Mehrere Politiker, darunter US-Präsident Barack Obama und der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sowie die Staatsspitzen von Frankreich, Belgien und Luxemburg, hatten angekündigt, auf Reisen zu den Spielen zu verzichten. Kommentatoren in Russland nannten unterdessen die Nachricht von der Begnadigung Chodorkowskis eine „handfeste Sensation“.

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